Gesundheitsminister Rudolf Anschober

Neues Epidemiegesetz: Recht und Unordnung

Die Juristen des Gesundheitsministeriums sorgten schon mehrfach für Chaos. Ein neues Epidemiegesetz soll nun tiefe Eingriffe in das Leben der Bürger möglich machen. Experten üben massive Kritik.

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(Anmerkung: Dieser Artikel ist in profil 36/20 vom 30. August erschienen)

Gesundheitsminister Rudi Anschober musste sich zuletzt ein paar Tage Ruhe verordnen. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt blieb er in Oberösterreich und mied die Öffentlichkeit. Stellungnahmen des Ministers erfolgten zuletzt nur schriftlich.

Diese Woche wird Anschober ins Büro zurückkehren. Gesundheitlich sei alles okay, heißt es im Kabinett. Politisch läuft es derzeit allerdings eher unrund. Am Freitag endete die (sehr kurze) Begutachtungsfrist für eine vom Gesundheitsministerium entworfene Gesetzesnovelle, mit der das Epidemiegesetz und das Covid-19-Maßnahmengesetz adaptiert werden sollen. Selten waren sich die Experten so einig wie diesmal: In der aktuellen Form sei der Entwurf inakzeptabel und sehr wahrscheinlich verfassungswidrig, heißt es reihum.
 

"Das war einfach schlechte Arbeit"

Um die Rechtssicherheit im Land machte sich Anschobers Ressort auch davor nicht verdient. Jüngst geriet eine Verordnung zur Ein- und Durchreise aus Risikogebieten unter Beschuss, weil deren penible Auslegung in Kärnten zu einem Stau historischen Ausmaßes vor dem Karawankentunnel geführt hatte; bis zu 15 Stunden standen Autofahrer in der Kolonne. Es ist ein Wunder, dass in dieser Ausnahmesituation alle halbwegs die Nerven behielten und nichts wirklich Schlimmes passierte. Schon vor einiger Zeit hatte der Verfassungsgerichtshof einen großen Teil der Lockdown-Gesetzgebung ausgehebelt, die ebenfalls aus dem Gesundheitsministerium kam. Anschober war darüber selbst zerknirscht: "Das darf nicht passieren. Das war einfach schlechte Arbeit", räumte er ein.

Rudi Anschober ist derzeit Österreichs beliebtester Politiker. Man darf unterstellen, dass die ÖVP das nicht allzu gerne sieht und den Darling der Nation nicht mit Volldampf unterstützt. Es stimmt auch, dass Anschobers Vorgängerin im Amt, Beate Hartinger-Klein von der FPÖ, im Ministerium ein Durcheinander hinterlassen hat und bisher kaum Zeit zum Aufräumen blieb. Die Leitung der für Öffentliche Gesundheit und Seuchenschutz zuständigen Sektion IV ist seit über einem Jahr unbesetzt. Aber reicht das schon als Erklärung für die Pannenserie?
 

"Der Verfassungsdienst ist fast immer mit am Tisch gesessen"

Ende Juli hatte Anschober angekündigt, das Ministerium umzubauen und weitere Juristen anzustellen. "Die neue Geschäftseinteilung ist im Gange und sollte noch im Herbst fertig werden", sagt Kabinettschefin Ruperta Lichtenecker auf Anfrage. Wegen der anhaltend negativen Berichterstattung seien die Juristen im Haus sehr betroffen, meint sie. Die Kritik ist ihrer Meinung nach unfair: "Der Verfassungsdienst ist fast immer mit am Tisch gesessen." Einwände gegen die Novelle zum Epidemiegesetz würden selbstverständlich ernst genommen, Änderungen seien möglich, sagt Lichtenecker. Auch der Chef sieht das so: "Es ist der Sinn eines Begutachtungsverfahrens, Gegenvorschläge und Kritik zu ermöglichen", erklärte der Minister in einer Aussendung.

Wenn der Staat schon so autoritär auftritt wie im Rahmen dieser Pandemie, sollten die Gesetze und Verordnungen wenigstens Hand und Fuß haben. Beim Entwurf des neuen Epidemiegesetzes scheint das nicht der Fall zu sein. Massive Einwände kamen von Verfassungsrechtlern, von der Volksanwaltschaft, der Rechtsanwaltskammer, Transparency International, von der politischen Opposition und sogar von einigen Regierungskollegen. Nikolaus Scherak, stellvertretender Klubchef der NEOS, kritisierte die "unfassbare Machtfülle",die Anschober durch das Gesetz bekäme. FPÖ-Chef Norbert Hofer sprach-leider nicht zu Unrecht-von einem "Werkzeug, mit dem die österreichische Bevölkerung de facto über Wochen eingesperrt werden könnte".

Im Alleingang das Land zum Stillstand bringen
Zwar wird in den Erläuterungen darauf hingewiesen, dass ein neuerlicher Lockdown derzeit nicht geplant sei. Falls sich das ändert, könnte der Gesundheitsminister aber praktisch im Alleingang das Land zum Stillstand bringen und weit in den privaten Lebensbereich der Bürger hineinregieren. Unter Artikel 3, Paragraf 2, heißt es etwa: "Beim Auftreten von Covid-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten oder öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit geregelt werden.( ) Weiters kann das Betreten gänzlich untersagt werden, sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen." Gewisse Formulierungen seien "hochgradig verwirrend",analysierte der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk im "Standard". Außerdem bezweifelt der Experte, dass derart umfassende Ausgangsbeschränkungen überhaupt mit der Verfassung vereinbar seien.

Florian Horn ist Rechtsanwalt in Wien und empfahl schon im März, Strafen wegen der Covid-Gesetze erst einmal nicht zu bezahlen, weil sie einer juristischen Überprüfung höchstwahrscheinlich nicht standhalten würden (profil 16/2020).Wie sich herausstellte, hatte er recht. Zum neuen Gesetzesentwurf verschickte Horn nun eine vierseitige Stellungnahme an das Ministerium, die vernichtend ausfiel. Für derart drastische Maßnahmen seien die Anforderungen viel zu vage formuliert, meint Horn im Gespräch mit profil. Er stößt sich etwa an der Formulierung "Beim Auftreten von Covid-19". "Dieser Begriff ist vollkommen unbestimmt und potenziell äußerst weitgehend, zumal mit einem gänzlichen Verschwinden des Virus überhaupt nicht zu rechnen ist",heißt es etwa in seiner Stellungnahme. Sozusagen im Vorbeigehen verstoße der Gesetzesentwurf gegen das Bundesstaatsprinzip, wenn davon die Rede ist, dass der Minister per Verordnung Landeskompetenzen an sich ziehen könne. Auch eine Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung findet Horn im Text des Entwurfs; das wäre klar verfassungswidrig.

Wie unlogisch das Gesetz im Detail ist, erkennt man auch als Laie: Wirte sollen etwa die Daten ihrer Gäste erheben, damit das Contact-Tracing im Falle eines positiven Corona-Tests leichter fällt. Die Gäste sind allerdings nicht verpflichtet, Name und Adresse preiszugeben. Gastronomen und der ebenfalls betroffene Handelsverband protestieren bereits gegen die wahrscheinlich sinnlose Bürokratie.

Hang zur Zettelwirtschaft
Letztlich war es auch der ministerielle Hang zur Zettelwirtschaft, der das Stauchaos in Kärnten auslöste. Mag sein, dass die Kärntner etwas missverstanden haben, wie Anschobers Kabinett meint. Aber die Verordnung, dass jeder Ein-und Durchreisende ein Formular dabeihaben muss, kam aus dem Gesundheitsministerium. Selbst wenn der Zettel an der Grenze nur stichprobenartig kontrolliert wird, bleibt unklar, wieso man die Autofahrer nicht einfach fragen kann, woher sie kommen und wohin sie fahren. Im Live-Interview würden sie vielleicht sogar öfter die Wahrheit sagen als auf einem Stück Papier.

Auf dem angespannten Arbeitsmarkt müssten ein paar fähige Juristen zu finden sein. Rudi Anschober sollte mit der Anwerbung lieber nicht zu lange warten.
 

Rosemarie Schwaiger