Asylsuchende in Traiskirchen

Warum tut sich Österreich mit Einwanderern so schwer?

Österreich blickt verklärt auf seine Vergangenheit. Mit Flüchtlingen und Einwanderern tat sich das Land immer schon schwer.

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Die österreichische Geschichte der Zuwanderung beginnt in der Regel mit den Ungarn-Flüchtlingen von 1956 oder mit den Gastarbeitern. Das erste Kapitel, das von der größten demografischen Veränderung im 20. Jahrhundert handelt, wird meist übersprungen. Schätzungsweise eine Million deutschsprachige Vertriebene und Aussiedler aus Mittel-und Osteuropa waren zwischen 1945 und 1960 ins Land gekommen.

Ihre Eingliederung in das hungergeplagte Nachkriegsösterreich verlief alles andere als reibungslos. Etwas freundlicher wurden die Flüchtlinge aus dem kommunistischen Ungarn (1956) empfangen. Bis heute heftet sich das offizielle Österreich seine einstige Großzügigkeit gern an die Fahnen. Dabei ließ sich von rund 180.000 Flüchtlingen nur jeder Zehnte nieder, das Gros zog in die USA und nach Kanada weiter. Ähnlich war es 1968, nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige Tschechoslowakei: Bis auf 12.000 kehrten die meisten später zurück.

Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, schlug die Herzlichkeit in Feindseligkeit um. Zuwanderung galt als Bedrohung für die Sicherheit. Selbst der für Untergriffe nicht gerade berüchtigte damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) wetterte gegen "Salami-, Schnaps und Zigarettenhändler auf unseren Straßen". Bis die gesetzlichen Schrauben nachgezogen waren, vergingen Jahre. Im Fremdenpolizeigesetz 1992 erst schlugen sich die epochalen Verschiebungen nieder. Anfang der 1990er-Jahre zerfiel Jugoslawien. Der Bosnien-Krieg (1992 bis 1995) entwurzelte zwei Millionen Menschen; davon landeten 95.000 in Österreich. Innenminister Franz Löschnak (SPÖ) boxte damals gerade ein Arbeitsverbot für Asylwerber durch.

Die Bosnier sollten befristet Schutz bekommen und nach Ende der Kämpfe zurückkehren. Als die Aktion 1998 auslief, hatten 65.000 einen Job gefunden. Sie blieben im Land, und niemanden kratzte es, dass die meisten von ihnen muslimisch waren. Der bosnische Islam galt als moderat und europatauglich. Unter Generalverdacht gerieten Muslime erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001.

Die Hetze gegen Ausländer war freilich auch damals bereits in Mode. 1992 startete die FPÖ ihr Anti- Ausländer-Volksbegehren und mobilisierte damit eine Gegenbewegung, die -angeführt von der Grünen-Politikerin Friedrun Huemer und André Heller -im sogenannten Lichtermeer mündete. Auch danach blieb der Tonfall in den Debatten diskreditierend; nur die Stereotypen wechselten im Laufe der Jahre. Einmal waren polnische Autoschieber das Übel schlechthin, dann waren es rumänische Einbrecher, später nigerianische Drogendealer, schließlich tschetschenische Messerstecher.

Nach der schwarz-blauen Wende im Februar 2000 dominierten sicherheitspolitische Anliegen: Illegale Migration und Asylmissbrauch sollten rigoros bekämpft werden. Die ÖVP/FPÖ-Regierung erließ eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Albaner, Armenier und Georgier wurden über Nacht aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen verwiesen. Kurz vor Weihnachten 2004 warf Innenminister Ernst Strasser, der die Gesprächsbasis zu NGO-Vertretern verloren hatte, das Amt hin. Mit seiner Nachfolgerin Liese Prokop (ÖVP) kehrten höflichere Umgangsformen ein, inhaltlich blieb die Linie hart. 2005 verabschiedete das Parlament ein umstrittenes Fremdenrechtspaket. Besonders tief gingen die Schnitte ins Asylwesen: Der Rechtsschutz wurde hinuntergefahren, der Zugang zu Beratung erschwert. Selbst Minderjährige, Schwangere und Traumatisierte kamen in Schubhaft -unter ihnen viele Tschetschenen. Bis 2007 bekamen über 80 Prozent der tschetschenischen Antragsteller Asyl; 2008 fiel die Quote auf 46,9 Prozent.

Asylsuchende in Traiskirchen

In den 1970er-und 1980er-Jahren hatten sich viele Migranten mit einer Arbeitserlaubnis niedergelassen, die durchaus Chancen auf Asyl gehabt hätten. Das hatte sich umgedreht: Mangels Alternativen setzen Arbeitsmigranten zunehmend auf die Asylschiene. Eine Bleiberechtsdebatte hob an, die 2007 am "Fall Arigona Zogaj" eskalierte. Die damals 15-jährige Kosovarin versteckte sich vor der Polizei, Teile ihrer Familie wurden abgeschoben. Sogar die "New York Times" berichtete. Der Rechtsstaat dürfe sich nicht erpressen lassen, sagte Ex-Innenminister Günther Platter (ÖVP). Maria Fekter, die ihm Mitte 2008 nachgefolgt war, ätzte: "Ich habe nach den Gesetzen vorzugehen, egal ob mich Rehlein-Augen aus dem Fernseher anstarren oder nicht."

Die EU-Mitgliedsstaaten hatten auch im vereinten Europa die Kontrolle über die Einwanderung und das Asylverfahren gewahrt. Einheitliche Standards gibt es bis heute nicht. Mit diesem Geburtsfehler war 2003 die sogenannte Dublin- Vereinbarung in Kraft getreten. Diese besagt, Asyl sei in EU-Staaten mit einer Außengrenze zu beantragen. Der Dublin-Pakt implodierte in der Flüchtlingskrise 2015. In diesem Jahr wanderten netto 113.100 Menschen in Österreich ein, etwa die Hälfte davon Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges