1994 jubelte die SPÖ-ÖVP-Regierung: Johanna Dohnal, Alois Mock, Franz Fischler, Erhard Busek, Peter Kostelka, Maria Rauch-Kallat, Franz Vranitzky, Viktor Klima
Österreich

Österreich, Zentrum der EU-Muffel

Die Euphorie über den Beitritt hielt nicht lange – auch weil „Brüssel“ als Symbol für alle Veränderungsschmerzen herhalten muss.

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Der 12. Juni 1994 war ein Festtag der Großen SPÖ-ÖVP-Koalition, an dem ideologische Grenzen verschwammen: Das überwältigende Ja zum EU-Beitritt bei der Volksabstimmung wurde gefeiert und begossen. ÖVP-Obmann und Vizekanzler Erhard Busek schaute im SPÖ-Zelt vorbei und sang im Feierüberschwang sogar die „Internationale“ mit – und SPÖ-Europastaatssekretärin Brigitte Ederer begab sich auf Wallfahrt. So optimistisch-freudig und quer über Parteigrenzen sollte die Europastimmung aber nicht lange bleiben.

Im Gegenteil. Die Euphorie schlug bald in Ablehnung um.

Mittlerweile belegt Österreich einen unrühmlichen Europameister-Titel: Nirgendwo sonst ist die EU-Skepsis so hoch wie hierzulande. Nur eine Minderheit von 42 Prozent beurteilt die EU-Mitgliedschaft insgesamt als positiv – in der großen EU-Barometer-Erhebung die geringste Zustimmung aller Mitgliedstaaten, überall sonst zwischen Helsinki und Valletta ist die Zustimmung größer. Seit dem Brexit, dem Austritt der europakritischen Briten, ist Österreich das Zentrum der EU-Muffel. Und weder die lange Liste der Vorteile – Reisen ohne Grenzkontrollen, Geldwechseln und Roamingkosten – noch penible Statistiken über gestiegene Exporte oder gesunkene Preise vermögen daran nachhaltig etwas zu ändern.

Warum ist die Gegnerschaft zur EU ausgerechnet in Österreich so groß? Die schnelle Abfolge von Krisen, von der Euro- über die Flüchtlings- bis zur Corona- und Ukrainekrise, traf andere EU-Staaten genauso (oder sogar stärker), sie taugt also nicht als Erklärung. Schon eher ist ein Teil der Antwort in der medialen und politischen Grundaufstellung zu finden: In allen EU-Staaten mit dominantem Boulevard-Mediensektor wird das Negativimage der EU sorgsam gepflegt, von angeblich überbordender EU-Bürokratie bis zu teuren Spesenskandalen.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin