ÖVP: Warum die Obmanndebatte diesmal ganz anders abläuft

In der ÖVP beginnt die nächste Obmanndebatte, doch diesmal läuft vieles anders. Gernot Bauer über die Unterschiede zwischen Reinhold Mitterlehner und seinen gescheiterten Vorgängern.

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Ein Erfolgserlebnis wird man Reinhold Mitterlehner nie nehmen können. Er ist der erste ÖVP-Obmann seit Langem, der dabei zusehen durfte, wie zur Abwechslung einmal die SPÖ ihren Vorsitzenden austauschte. Werner Faymanns Rücktritt im Mai machte Mitterlehner sogar für eine Woche zum Regierungschef. So weit hinauf hat es seit Wolfgang Schüssel kein ÖVP-Obmann geschafft. Die zweite Spitzenleistung des Bundesparteiobmanns ist dagegen von zweifelhafter Natur: Nach nicht einmal zwei Jahren als ÖVP-Chef benötigt Mitterlehner mit dem steirischen Abgeordneten Werner Amon, 47, nun schon seinen dritten Generalsekretär.

Amons Vorgänger Peter McDonald hatte seinen Job vergangenen Sonntag nach nur elf Monaten verloren. Es sei ihm nicht gelungen, seine Pläne für die Volkspartei schnell genug umzusetzen, gestand er freimütig ein. Zumindest das Ende kam schnell. Dass McDonald angeschlagen war, wusste jedes ÖVP-Vorstandsmitglied. Die Bundespräsidentwahl endete mit einer historischen Schlappe (wofür McDonald freilich nichts konnte). Die von den Landesparteien geforderte Rauflust konnte der ÖVP-Generalsekretär nicht bedienen (was auch am Bundesparteiobmann liegt). Dazu kamen persönliche Schwächen: Es dauerte Wochen, bis McDonald einen Kommunikationschef für die ÖVP rekrutierte. Und dass der Generalsekretär im Sommer mehrere Wochen am Stück auf Urlaub weilte, soll - so das parteiinterne Gemurmel - Zweifel an seiner professionellen Einstellung geweckt haben.

Die Wahl des Zeitpunkts der Ablöse war eine Einzelentscheidung des Bundesparteiobmanns, auch wenn vor allem die Niederösterreicher bereits heftig auf McDonalds Rausschmiss drängten. Dem Generalsekretär selbst soll Mitterlehner erst tags zuvor nahegelegt haben, von seiner Funktion zurückzutreten.

Jobverlust als Erlösung?

Für den 43-jährigen Oberösterreicher McDonald dürfte der Jobverlust bei allem Frust auch eine Erlösung bedeuten. Reinhold Mitterlehner gilt nicht gerade als einfacher Parteichef. Schon simple Termine wie Fotoshootings für neue Plakate sollen kaum zu akkordieren sein. Und manche parteiinterne Kritik wirkt ungerechtfertigt. Ein Generalsekretär kann immer nur so kämpferisch sein, wie es sein Parteichef zulässt. Von allzu heftiger Schelte am roten Koalitionspartner hält Mitterlehner freilich wenig. Seine Vorstandskollegen sehen das anders: Stundenlang diskutierten die ÖVP-Spitzen Sonntag vergangener Woche über den Zustand ihrer Partei und das Verhältnis zum Koalitionspartner. Der Chef teilte genervt aus, musste aber umso mehr einstecken. Die Hauptkritik: Wenn schon nichts weitergehe in der Koalition, sei es zumindest notwendig, die eigenen Positionen kantig zu vertreten.

Wer dieser Tage mit Reinhold Mitterlehner spricht, trifft dennoch auf einen relaxten Mann. Wann Entspanntheit in Wurstigkeit übergeht, ist bei ihm freilich nicht immer feststellbar. Beim "Sommergespräch“ im ORF erklärte der ÖVP-Chef, er würde nicht im Wege stehen, sollte sich seine Partei einen anderen Spitzenkandidaten für die nächsten Wahlen wünschen. Der Konjunktiv ist hier der falsche Modus: Mitterlehner wird nicht Spitzenkandidat sein. Die Partei will einen anderen.

Einem Bundesparteiobmann nicht einmal die Gelegenheit zu gönnen, bei einer Nationalratswahl zu scheitern, ist ein Novum in der ÖVP - umso mehr, als Mitterlehner im Vergleich zu Michael Spindelegger oder Wilhelm Molterer ein besserer Spitzenkandidat wäre. Er kann reden, versprüht einen sarkastischen Charme und verfügt über die in der Außenwirkung hilfreichen "good looks“.

Auch sonst läuft bei der aktuellen Obmanndebatte in der ÖVP im Vergleich zu früheren einiges anders. Der Hauptunterschied besteht schon einmal darin, dass es keine "Debatte“ gibt. Eine solche würde unterschiedliche Meinungen voraussetzen. Was Reinhold Mitterlehners Zukunft betrifft, herrscht parteiintern allerdings seltene Einigkeit. Wenn Landeshauptmann Josef Pühringer dem Parteichef die Mauer macht, ist dies Höflichkeit, keine abweichende Meinung. Auch die oberösterreichischen Schwarzen wissen, dass ihr Landsmann derjenige ÖVP-Obmann der jüngeren Parteigeschichte sein wird, der schon vor der Wahl zu gehen hat und nicht danach.

Eindeutige Thronfolge

Dies hängt ursächlich mit dem zweiten Novum im Ablauf einer ÖVP-Obmanndebatte zusammen. Beim Abschied von Erhard Busek (1995), Wolfgang Schüssel (2007), Wilhelm Molterer (2008), Josef Pröll (2011) und Michael Spindelegger (2014) stand der Nachfolger nicht mit hundertprozentiger Sicherheit fest. Namhafte Landes- oder Bündechefs hätten jeweils andere Kandidaten bevorzugt. Selbst Josef Pröll war nicht gänzlich unumstritten. Diesmal ist die Thronfolge so eindeutig wie im britischen Königshaus. Nächster Inhaber des ÖVP-Chefsessels ist Sebastian Kurz, das "Trumpf-Ass“ (Steiermarks Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer) der Volkspartei. Man müsse nur genau überlegen, so Schützenhöfer, wann man dieses "ausspiele“.

Das richtige Timing der Kurz-Inthronisierung verleiht dem angeschlagenen Amtsinhaber eine gewisse Macht. Die Vorstellung, ein entnervter Mitterlehner könnte, wie sein Vorgänger Spindelegger, den Parteivorsitz über Nacht hinschmeißen, macht die ÖVP nervös. Reinhold Mitterlehner ist damit in der Obmanndebatte nicht interessierter Zuschauer, sondern Mitspieler (Novum Nr. 3). Auch das "Trumpf-Ass“ Sebastian Kurz hat kein Interesse daran, den undankbaren Vizekanzler-Job vor der Zeit zu übernehmen. Novum Nr. 4: Früher konnte die Partei einen umstrittenen Obmann wegen Gefahr in Verzug nicht schnell genug loswerden, diesmal würde ein rascher Abgang auch den Nachfolger beschädigen.

Wo Trümpfe, da auch Bummerl. Die ÖVP hat zwar seit dem Vorjahr ein neues Parteiprogramm, aber auch alte Gesichter und Strukturen. Chefwechsel änderten in der Vergangenheit nichts an den Spielregeln der Partei. Das hätten diejenigen, die den Obmann absetzten, auch gar nicht zugelassen - woran nicht zuletzt der vermeintliche Erlöser Josef Pröll scheiterte.

Neue Ausrichtung zu erwarten

Beim nächsten Austausch könnte es anders laufen, denn in der Tiefenstruktur der ÖVP stehen große Veränderungen an. Am Wochenende wählte der Arbeitnehmerbund ÖAAB den 41-jährigen Innviertler August Wöginger zum neuen Obmann. Wirtschaftsbund-Präsident Christoph Leitl wird sich voraussichtlich 2017 nach fast 20 Jahren zurückziehen. In Oberösterreich steht Landeshauptmann Josef Pühringer vor dem Abschied. In Niederösterreich verdichtet sich die Ahnung zur Erkenntnis, dass auch die Amtszeit eines Erwin Pröll begrenzt ist. Und vom dann 17. Parteiobmann der ÖVP ist zu erwarten, dass er eine komplett neue Truppe präsentiert - sowie eine neue Ausrichtung dazu: mehr CSU, weniger CDU; mehr Konfrontation, weniger Konsens; mehr Partei, weniger Sozialpartnerschaft.

Die ÖVP des Sebastian Kurz würde also eine andere sein. Aber: Wird sie noch sein? Derzeit grundelt die Partei in Umfragen bei 18 Prozent. Die aus Sicht ihrer Spitzenfunktionäre bittere Erfahrung: Da setzt man sich in der Flüchtlingsproblematik, der zentralen politischen Frage der vergangenen Monaten, gegen den Koalitionspartner durch, weiß darin die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung hinter sich - und der Bürger dankt es nicht. Auch dies wird parteiintern dem Chef angelastet, der zu einem schärferen Kurs in der Flüchtlingsfrage von Sebastian Kurz und Anhang erst vehement gedrängt werden musste.

Der Austausch des Generalsekretärs dürfte die letzte Personalentscheidung von Reinhold Mitterlehner gewesen sein. Wie der ÖVP-Obmann vor den Parteigremien referierte, soll der neue Mann, Werner Amon, die Arbeit von Ministern, Partei und Klub koordinieren. Ein Plan, der an Mitterlehners Realitätssinn zweifeln lässt. Die ÖVP ist eine unkoordinierbare Veranstaltung: Finanzminister Hans Jörg Schelling informiert nicht einmal seinen vorgesetzten Vizekanzler, wenn er eine Idee hat. Und Klubobmann Reinhold Lopatka tut und sagt, wie es ihm beliebt. Wenn Amon in seiner Antrittskonferenz "Überraschungen“ ankündigte, könnte dies für ihn und seinen Chef böse enden. "Eine Partei ist kein Selbstzweck, sie ist Mittel zum Zweck“, sagt der neue Generalsekretär. Der ÖVP und ihrem aktuellen Parteiobmann gehen allmählich die Mittel aus.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.