Koalition

ÖVP-Wirtschaftsbund bremst Gewessler

Die ÖVP-Wirtschaft behindert die Projekte von Umweltministerin Gewessler seit Beginn der Koalition, auch das Klimaschutzgesetz.

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Vorvergangenen Donnerstag traf im Klimaschutzministerium die hohe Politik auf die hohe Kunst. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Vizekanzler Werner Kogler hatten Erstunterzeichnerinnen eines im September veröffentlichten „Appells“ namhafter Künstlerinnen und Künstler „an die Bundesregierung, fehlende Klimaschutzmaßnahmen zu beschließen“ zum Gedankenaustausch geladen. Die Schauspielerinnen Valerie Huber, Verena Altenberger, Hilde Dalik und Lilian Klebow freuten sich anschließend, „Gehör von Teilen der Regierung bekommen zu haben“. Kritisiert wurde allerdings das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG), das „so lange von diversen Seiten blockiert“ worden sei, „bis nur noch ein Minimalkompromiss übrig war“.

Für Leonore Gewessler ist der „Minimalkompromiss“ ein Erfolg, wie sie in einer Pressekonferenz mit Werner Kogler und Bundeskanzler Karl Nehammer erklärte. Ursprünglich hatte sich die Regierung schon im Juni 2022 auf das EWG geeinigt. Damals hieß es in seiner Langform „Bundesgesetz zum Ausstieg aus der fossil betriebenen Wärmebereitstellung“ und umfasste elf Seiten, nunmehr „Bundesgesetz über die erneuerbare Wärmebereitstellung in neuen Baulichkeiten“ mit drei Seiten.

Die erste Version sah den Ausstieg aus Gasheizungen bis 2040 und aus Ölheizungen bis 2035 vor, in allen Häusern des Landes, auch in bestehenden. In der neuen Version fällt dieses Stilllegungsgebot. Gasheizungen und Ölheizungen sind ab 2024 nur in Neubauten verboten.

Ein Jahr lang hatte der ÖVP-Wirtschaftsbund gegen das akkordierte Gesetz gekämpft und sich letztlich durchgesetzt. Zum Trost erhielt Gewessler die Zustimmung der ÖVP zum Gratis-Klimaticket für 18-Jährige.

Kein Bestes aus beiden Welten

Das „Beste aus beiden Welten“ hatten der damalige ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Werner Kogler im Jänner 2020 bei der Bildung der Koalition beschlossen. In der Praxis sah dies so aus: Die Grünen akzeptierten den türkisen Law-and-Order-Kurs beim Themenkomplex Migration und sicherten sich als Gegengeschäft Gestaltungsfreiheit im Umwelt- und Klimaschutzbereich. Im ÖVP-Wirtschaftsbund, immer noch die mächtigste Teilorganisation der Volkspartei, witterte man schon damals Ungemach. Um die neue mächtige Bundesministerin Leonore Gewessler – verantwortlich für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie – zumindest ein wenig in ihrem Eifer bremsen zu können, wurde ihr der Vorarlberger Magnus Brunner als Staatssekretär beigestellt. Brunner war von 2002 bis 2006 politischer Direktor des Wirtschaftsbunds.

Zum ersten großen Krach kam es, als Gewessler im Dezember 2021 ankündigte, das Milliarden-Projekt zum gesetzlich fixierten Bau des Lobautunnels in Wien nicht weiter zu verfolgen. So groß war der Ärger im Wirtschaftsbund, dass allen Ernstes geprüft wurde, eine Ministeranklage gegen Gewessler beim Verfassungsgerichtshof einzubringen.

Im Oktober 2022 wurde die CO2-Steuer in Österreich eingeführt. Schon im November darauf forderte der Generalsekretär des Wirtschaftsbunds Kurt Egger, die für 2023 akkordierte Erhöhung der Steuer aufgrund der gestiegenen Energiepreise auszusetzen. Im April 2023 regte der ÖVP-Abgeordnete und Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf, sogar die Abschaffung der CO2-Steuer nach den nächsten Wahlen an.

Tabuloses und altes Denken

Im heurigen Mai attackierte Wirtschaftsbund-Chef und Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer Gewessler frontal. Es gebe im Klimaministerium „eine Liste für tabuloses Denken“, die man in eine „Realismus-Liste“ transformieren müsse, in dem man viele Gewessler-Vorhaben streiche. Dazu kündigte er einen eigenen „Energiemasterplan“ als Gegenentwurf zu Gewesslers Politik an. Die Grünen bezeichneten Mahrer daraufhin als „Aktivist des alten Denkens“.

Das Verhältnis zwischen Gewessler und Brunner gilt seit ihrer gemeinsamen Zeit im Klimaministerium als gestört. Die Ministerin muss es als Foul betrachten, dass Brunner nun plant, in seinem Ressort einen „Climate Hub“ einzurichten. Gern betont Brunner in Richtung Gewessler, er stehe für „eine Klimapolitik mit Hausverstand“.

Bei den heurigen Budgetverhandlungen mit dem Finanzminister versuchte Gewessler, ihre Zustimmung an eine Einigung zum überfälligen Klimaschutzgesetz zu verknüpfen, das einen Rahmen für die Politik bis zur für 2040 geplanten Klimaneutralität schaffen soll. Gewesslers erster Entwurf enthielt die Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung, Adhoc-CO2-Steuern bei Überschreiten von Emissionsgrenzwerten, einen Klimacheck für alle Gesetzesvorhaben und eine Möglichkeit für Bürger, den Klimaschutz auch rechtlich einzuklagen. „Ideologiegetriebene Bestrafungsfantasien“ nannte das Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf. Kaum ein Spitzenvertreter des Wirtschaftsbunds glaubt, dass das Klimaschutzgesetz bis zu den Wahlen im Herbst 2024 noch kommt – und falls doch, dann höchstens als „Minimalkompromiss“. 

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.