Klima

Klimaticket: Alles auf eine Karte

Als die Regierung die AUA rettete oder das Erneuerbare-Wärme-Gesetz beerdigte, zückte Leonore Gewessler stets das Klimaticket als Beweis für grüne Erfolge. Die Kosten sind hoch, die Passagierzahlen auch. Der Effekt des Klimatickets ist aber schwer messbar.

Drucken

Schriftgröße

Seit wann gibt es das Klimaticket?

Der Nationalfeiertag gehört PR-technisch für gewöhnlich dem Bundespräsidenten mit seiner Rede, dem Bundesheer mit seiner Leistungsschau, dem Nationalratspräsidenten mit dem Tag der offenen Tür im Parlament. 2021 gehörte der Feiertag, zumindest ein bisschen, auch der Klimaschutzministerin: Am 26. Oktober 2021 galt zum ersten Mal ein österreichweites Klimaticket. Es ist das Vorzeigeprojekt von Ministerin Leonore Gewessler: Immer, wenn man den Grünen vorwirft, nicht genug Klimamaßnahmen gegen den schwarzen Koalitionspartner durchzusetzen, zückt sie das Ticket als Gegenbeweis.

Wurde das Klimaticket wie geplant eingeführt?

Nein. Die Strecke zum Klimaticket war lang, das Projekt fuhr mit einiger Verspätung ab. Pläne für ein österreichweites Öffi-Ticket fanden sich seit den 2000er-Jahren in Regierungsfahrplänen, spätestens bei der Finanzierung verlor die Idee aber stets an Fahrt. Im Nationalratswahlkampf 2019 baute dann die SPÖ ihre Klimapolitik auf leistbarem öffentlichen Verkehr auf und forderte ein dreistufiges „Klimaticket“: ein Euro pro Tag für ein Bundesland, zwei Euro für eine Region und drei Euro für ganz Österreich. Noch im Wahlkampf übernahm Grünen-Chef Werner Kogler den Duktus der SPÖ. Die neue türkis-grüne Regierung schrieb dann das Modell als „1-2-3-Österreich-Ticket zur Erreichung der Klimaziele“ ins Regierungsprogramm.

Für die Umsetzung brauchte es allerdings eine Krise. Als die Fluggesellschaft AUA durch den Corona-Lockdown im Juni 2020 in finanzielle Turbulenzen geriet, sprang der Staat ein. Um nicht als fossile Verkehrsministerin zu gelten, sicherte sich Leonore Gewessler im Gegenzug 240 Millionen Euro für das österreichweite Öffi-Ticket. Doch das reichte nicht. Verkehrsbünde und Bundesländer entlockten der Regierung nach und nach mehr Geld. Allein die Länder bekamen im Mai 2021 zusätzlich 100 Millionen Euro, aufgeteilt nach Bevölkerungsschlüssel. Die Ostregion drohte dennoch, zum Start beim österreichweiten Klimatickets nicht mitzumachen. Ein Ticket für ganz Österreich – außer Wien, Niederösterreich und das Burgenland – wäre eine Niederlage gewesen. Erst zwei Tage vor Vorverkaufsbeginn am 1. Oktober 2021 konnte die Blamage abgewendet werden. Zum Nationalfeiertag 2021 nutzten dann bereits rund 80.000 Personen ein Klimaticket. Zwei Jahre später, sind es mehr als 260.000.

Wie viel kostet das österreichweite Klimaticket?

Für drei Euro am Tag durch ganz Österreich fahren, das liest sich auf einem Werbeplakat besser als im Budget. Das Klimaticket kostet im Vollpreis 1095 Euro und ermäßigt 821 Euro, knapp die Hälfte der Bezieher fährt mit einem reduzierten Abo. Durch den Verkauf wird also nur ein Teil der Kosten gedeckt. Das ist politisch gewollt, der Umstieg auf öffentlichen Verkehr soll für möglichst viele leistbar sein. Dadurch muss aber der Bund ausgleichen, was die Kunden nicht bezahlen und die Verkehrsunternehmen mit dem traditionellen Ticketverkauf nicht einnehmen.

Im ersten vollen Laufjahr des Klimatickets, 2022, gab das Ministerium von Gewessler netto 192,2 Millionen dafür aus. Für das laufende und das kommende Jahr sind 366,7 Millionen beziehungsweise  544,5 Millionen budgetiert. Darin enthalten sind Werbekosten, 2023 zum Beispiel zwei Millionen Euro, vor allem aber die Mittel für die einzelnen Verkehrsbetriebe. Wie viel Geld sie vom Bund für das Klimaticket bekommen, hängt vom vereinbarten Abrechnungsmodell ab. Bei den ÖBB fließt das Geld pro gefahrenem Personenkilometer.

Warum sind seit dem Klimaticket die Öffis voller?

Seit seiner Einführung ist das Klimaticket beinahe zu erfolgreich. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hat die ÖBB ein Fünftel mehr Fahrgäste im Fernverkehr. Immer wieder muss das Bahnunternehmen überfüllte Züge räumen lassen und empfiehlt daher, im Fernverkehr zu reservieren – mit oder ohne Klimaticket. 

allen zurückgelegten Wegen etwa zwischen 2012 und 2022 kaum gestiegen, wie eine Mobilitätsstudie der beiden Bundesländer zeigt. Das liege allerdings vor allem am demografischen Wandel, sagt Berthold Pfeiffer von der Gesamtverkehrsplanung Oberösterreich: „Die Bevölkerung wird älter, die Schüler weniger. Somit sinkt auch das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs.“ Bei den Berufstätigen habe der Anteil der mit Öffis zurückgelegten Wege zugenommen – und in absoluten Zahlen gebe es signifikante Fahrgaststeigerungen.

Das spüren auch die regionalen Verkehrsbetriebe. Alle von profil angefragten Unternehmen berichten vor allem 2022 von einem starken Anstieg der Fahrgastzahlen. Auf das Klimaticket allein lässt sich der großflächige Umstieg aber nicht zurückführen. 2020 und 2021 waren die Fahrgastzahlen durch die Corona-Maßnahmen niedriger. Und als im Frühjahr 2022 in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Benzinpreise in lichte Höhen schossen, ließen viele ihr Auto stehen. 

Wie viele Fahrgäste nutzen das Klimaticket?

Im Salzburger Verkehrsbund liegt die Zahl der Fahrgäste mit Klimaticket je nach Verkehrsmittel und Verbindung zwischen 60 und 80 Prozent. In Vorarlberg werden laut dem dortigen Verkehrsbund rund drei von vier Öffi-Fahrten mit einem Klimaticket zurückgelegt. Dazu tragen auch die regionalen Öffi-Jahreskarten bei, die seit der Einführung des österreichweiten Klimatickets ebenfalls einen Verkaufsboom erlebten. Insgesamt haben laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) bereits mehr als 1,5 Millionen Menschen in Österreich eine Jahreskarte für die Öffis. Nur in Wien, wo es seit 2012 ein Öffi-Jahresticket gibt, ist laut Wiener Linien kein Anstieg der Fahrgastzahlen im Vergleich zu 2019 zu verspüren, und: Am häufigsten wird das österreichweite Öffi-Ticket in der Hauptstadt an der Station Hauptbahnhof vorgewiesen.

Zahlt es sich aus, ein Klimaticket zu kaufen?

Das ist vom persönlichen Bedarf abhängig. Berufspendlerinnen und -pendler können durch das Klimaticket mit dem Umstieg auf Bus oder Schiene aber tatsächlich Geld sparen, rechnet der VCÖ vor: Wer täglich von Wels nach Linz fährt, müsse etwa allein an Spritkosten mit 1800 Euro pro Jahr rechnen.

Und auch abseits des Berufslebens wird das Klimaticket genutzt. Der Oberösterreichische Verkehrsverbund verzeichnete in Regionalbussen bis zu 80 Prozent mehr Fahrgäste an Wochenenden als noch 2019. Insgesamt stieg die Fahrgastzahl der oberösterreichischen Regionalbusse nur um rund 15 Prozent.

Warum bekommen junge Menschen das Klimaticket zum 18. Geburtstag geschenkt?

Das Klimaticket ist eine Erziehungsmaßnahme in Scheckkartenform: Wer schon in seiner Jugend viel und günstig mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, wird es ein Leben lang machen, ist die Hoffnung der Grünen. Gewessler soll deswegen in den Budgetverhandlungen kurzfristig und vehement auf eine Neuerung gepocht haben. Durchaus zum Unmut des Finanzministers, aber erfolgreich. Wieder war das Klimaticket das Projekt, mit dem sich Gewessler schmücken konnte – während sie beim Erneuerbare-Wärme-Gesetz eine Niederlage einstecken musste.

Ab 2024 wird nun jedenfalls allen Menschen in Österreich zum 18. Geburtstag ein Klimaticket geschenkt, das sie innerhalb von drei Jahren einlösen können. Die Zielgruppe ist relativ groß, derzeit leben 88.900 17-Jährige im Land. 120 Millionen Euro sind dafür im nächsten Jahr budgetiert. Darin enthalten sind – neben dem Preis für das Ticket – auch die Mehrkosten, auf denen der Staat bei jedem verkauften Ticket sitzen bleibt: 90.000 Klimatickets würden selbst im Vollpreis keinen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen.

Wer bekommt überhaupt das Klimaticket geschenkt?

Gratis-Öffis gibt es nicht nur für bald 18-Jährige. Auch Grundwehrdiener, Zivildiener und Polizeischüler erhalten ein kostenloses Klimaticket. Am Frequency und Electric Love verschenkte das Ministerium einzelne Tickets an Festival-Besucher, die sich Klimasujets tätowieren ließen. Kostenpunkt für die Aktion, bei der sich insgesamt 42 Personen tätowieren ließen: 23.000 Euro.

Vergünstigte Tickets gibt es aber für alle Altersklassen. In vielen Ortschaften und Vereinen liegen einzelne Klimatickets auf, die sich Bürger ausborgen können, in Salzburger Gemeinden bekommen die Einwohner 40 Prozent des Kaufpreises rückerstattet. Als Jobticket ist das Klimaticket in ganz Österreich steuerfrei, viele Unternehmen locken damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In den meisten Fällen ist die großzügige Preisübernahme Absicht, eine Erziehungsmaßnahme eben. Nur in Tirol passierte bei einer Gesetzesänderung eine Panne: Neben Landesbediensteten haben auch alle Mitarbeiter in Gemeinden Anspruch auf ein Gratisticket, wenn sie auf ihren Fahrtkostenzuschuss verzichten. Das sollte ursprünglich nur eine Option für Gemeinden sein. 

Wie entwickelt sich das Klimaticket weiter?

Weitere Geschenke sind im Budget für 2024 nicht vorgesehen, im  Nationalratswahlkampf aber durchaus vorstellbar. Immerhin erfreut sich das Klimaticket hoher Beliebtheitswerte, wie  Gewessler unermüdlich wiederholt. Neun von zehn Klimaticket-Besitzer sind laut Ministerium mit dem Angebot zufrieden. Bis Jahresende soll das Klimaticket auch digital gültig sein. Seit Februar sind außerdem die ÖBB und einige regionale Unternehmen an der „One Mobility GmbH“, die für den Bund den Vertrieb des Klimatickets übernimmt, beteiligt. Das Ziel der Kooperation ist eine einheitliche Verkaufsplattform der Verkehrsbetriebe.

Dass mit dem Klimaticket eine einheitliche Strecke aus dem Dschungel der Öffi-Tickets gelegt wurde, ist für Christian Gratzer vom VCÖ bereits ein erster Erfolg: „Man steigt ein und fährt. Man muss sich nicht darum kümmern, wo man einen Fahrschein bekommt.“ Als weiteren Ausbau würde er sich eine „Mobilitätskarte“ wünschen. Neben Öffis könnte man damit auch Leihräder oder -autos nutzen. 

Statt bei einem nächsten Halt könnte das Klimaticket aber auch bei seiner Endstation ankommen. Gegen den Beschluss für das österreichweite Öffi-Ticket stimmten 2021 nur die Freiheitlichen, die eine schlechte Umsetzung eines guten Produkts orteten. Wenn die Grünen nicht mehr regieren, könnte das die Endstation für ihr Projekt sein.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".