Für die Nationalratswahl im September vergangenen Jahres fand sich kein sicherer Platz mehr auf einer ÖVP-Kandidatenliste, weder in Niederösterreich noch im Bund. Er selbst sagt, froh zu sein, über seinen politischen Abtritt allein entschieden zu haben. Und eigentlich habe er geplant, in der Politpension eine Funktion „im wirtschaftlichen Bereich“ zu übernehmen. Aber dann kamen im Juni 2024 „der Karl“ (Nehammer, damals Bundesparteiobmann) und „der Christian“ (Stocker, damals Generalsekretär) und baten ihn, neuer Präsident der Politischen Akademie (Polak) der ÖVP zu werden. In der Volkspartei kursiert aber auch die Meinung, Sobotka habe sich selbst in die Funktion gedrängt; „der Karl“ und „der Christian“ hätten ihm das Amt als Ausgleich für einen sicheren Listenplatz zugeteilt.
Mitten im Geschehen
In der Polak schult die ÖVP ihre Funktionäre. Untergebracht ist sie im prächtigen, 1887 erbauten Springer Schlössl in der Tivoligasse in Wien-Meidling nahe Schönbrunn. Hier hätte sich Sobotka nicht nur als Hausherr wie im Parlament, sondern sogar als Schlossherr fühlen können – wollte es aber nicht. Von der Vorstadt zog er mit seinem Team an eine prominente Adresse um: Lichtenfelsgasse 7, 1010 Wien, Sitz der Österreichischen Volkspartei. „Man ist näher am Politgeschehen“, sagt Sobotka.
Und das nicht nur räumlich. Als Akademie-Präsident ist er per Statut Mitglied der Bundesparteileitung der ÖVP. Anders als der Vorstand tagt die Parteileitung allerdings nur unregelmäßig. Da trifft es sich gut, dass Sobotka jeden Montag an der wöchentlichen „Info-Wochenausblick“-Sitzung in der Parteizentrale teilnimmt, in der Kanzler, Minister, Klubobmann und Generalsekretär zum aktuellen Geschehen berichten. Sobotka meldet sich gern als einer der Ersten zu Wort.
Frühere Polak-Präsidenten wie der Ende August verstorbene Heinrich Neisser legten ihr Amt repräsentativ an. Sobotka kümmert sich ums Tagesgeschäft. Seine erste Maßnahme: Er taufte die Parteiakademie in „Campus Tivoli“ um. Für wichtige Veranstaltungen – also solche, bei denen er prominent auftritt – bevorzugt er nicht das Springer Schlössl oder das dazugehörige Seminarhotel, sondern eine ihm wohlvertraute Location am Dr.-Karl-Renner-Ring 3: das Parlament. Am 10. September findet etwa eine Diskussion zum Thema „Was ist los an den österreichischen Schulen?“ im Lokal 2, dem Elise-Richter-Saal, statt.
Eine Parteiakademie kann eine Räumlichkeit des Parlaments nicht ohne Weiteres nutzen. Aber praktischerweise wird das Event formal vom ÖVP-Klub organisiert. Die Zusammenarbeit bewährt sich: Im März organisierten Campus Tivoli und ÖVP-Klub im Parlament eine Diskussion zum 120. Geburtstag von Viktor Frankl. Für den 27. Jänner 2025, den 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, hatten Campus und Klub zu einer Gedenkveranstaltung geladen.
Gesehen werden
Für Gesprächstermine wie vergangenen Dienstag mit profil bittet Sobotka noch immer bevorzugt ins Café Landtmann am Ring, wo das politische Establishment der Bundeshauptstadt verkehrt. Gesehen werden dürfte ihm wichtiger sein als sehen. An diesem Tag trägt Sobotka nicht wie sonst Krawatte zum hellen Anzug, dafür einen Dreitagesbart, die zwei obersten Hemdknöpfe sind offen. Am Revers seines Rocks steckt eine Nadel mit gelber Schleife, dem Zeichen der Verbundenheit mit den Opfern des Massakers vom 7. Oktober 2023 und den Geiseln der Hamas in Gaza. Sein Engagement gegen Antisemitismus und für Israel setzt Sobotka im Ruhestand fort. Im heurigen Mai zeichnete ihn die Israelitische Kultusgemeinde mit der Marietta-und-Friedrich-Torberg-Medaille aus.
Sobotka mag die Politik nicht vermissen, den Drang, sie zu kommentieren, unterdrückt er nicht. Heftig bekam dies sein Amtsnachfolger Walter Rosenkranz, FPÖ, zu spüren. Dass dieser die von Sobotka angeschafften Skulpturen des Bildhauers Erwin Wurm wieder zurückgab, nennt Sobotka „einen Kniefall vor Herbert Kickl“.
Noch mehr verübelt er es Rosenkranz, die Veranstaltungen und Führungen im Hohen Haus deutlich reduziert zu haben. Sobotkas Reaktion: „Wenn man das Parlament wieder zusperren will, dann ist es nicht mehr mein Parlament.“ Ein Satz wie ein Eigentumsvorbehalt, den Sobotka so erläutert: Er meine sein „Verständnis von Parlamentarismus“. Demokratie beschränke sich nicht auf die Gesetzgebung, sondern sei auch Kommunikation mit der Wählerschaft.
Sobotka dampft noch immer vor Tatendrang, er ist, was man im Englischen ein „Political Animal“ nennt und in seinem Fall mit „politisches Viech“ übersetzt werden kann – und anerkennend gemeint ist.
Gärtner-Präsident
Auch abseits der Akademie ist der Ex-Nationalratspräsident ein viel beschäftigter Mann: im Museumsverein seiner Heimatgemeinde Waidhofen, in der Gottfried-von-Einem-Gesellschaft, in der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU. Zudem ist er, der passionierte Gärtner, ein weiterer Präsident, nämlich der European Garden Association.
„Ich will nichts sein, ich will was machen“, sagt er. Sein politischer Lehrer, der frühere ÖVP-Obmann Alois Mock, habe ihm einen wichtigen Gedanken mitgegeben: „Mach es selbst, sonst machen es andere. Und die machen es anders.“ Für Sobotka bedeutet „machen“ auch, seine Zuständigkeiten ständig zu erweitern. Als Nationalratspräsident kümmerte er sich bei Veranstaltungen um jede Kleinigkeit, vom Blumenschmuck bis zum Musikprogramm und zur Sitzordnung.
Im Herbst wird Sobotka einen Termin im Parlament wahrnehmen müssen, der nichts mit dem „Campus Tivoli“, sondern mit seiner früheren Zeit als Nationalratspräsident und Innenminister zu tun hat. Im September wird die FPÖ einen U-Ausschuss zum Tod des Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek einsetzen, mit dem Sobotka in engem Austausch war. Auf der Liste der Auskunftspersonen wird er weit oben stehen. Spätestens dann wird Sobotka sich daran erinnern, dass er in diesem Haus einmal drinnen war.