Pfandringe an Mistkübeln: Innsbruck testet, Wien ist dagegen
Es ist kurz vor ein Uhr. Während Studierende ihre Ferien genießen und auf der Donauinsel feiern, suchen andere zeitgleich nach etwas Geld. Mit Taschenlampe und großen Müllsäcken nähert sich ein Mann Mitte 30 verschiedenen Party-Gruppen. Er sucht leere Flaschen und Dosen, die unbewacht in der Wiese liegen. Mit seinem geübten Blick schaut er bei jeder Flasche und Dose, ob ein Pfandsymbol zu sehen ist. Mit seiner Hand, die in einen blauen Handschuh gehüllt ist, steckt er eine Dose nach der anderen in einen seiner Müllsäcke - 25 Cent pro Stück.
Er ist einer von jenen Menschen, die durch die Einführung des Pfandsystems im Jänner 2025 in Österreich die Chance auf einen kleinen Zuverdienst sehen. Es sind ökonomisch Benachteiligte, manche arbeitslos, andere ohne Arbeitserlaubnis. Teilweise sammeln auch Kinder die Flaschen, um sich ihr Taschengeld aufzubessern. Die Donauinsel und andere Grünflächen sind nur einer von vielen Orten, um Pfandgebinde ausfindig zu machen. Andere Sammler:innen steuern gezielt Mülleimer an. Doch das Wühlen im Müll birgt gleich mehrere Gefahren: Von hygienischen Bedenken abgesehen, drohen durch Scherben und andere scharfe Gegenstände Verletzungen. Dazu kommt: Das Entnehmen von Gegenständen aus öffentlichen Mülleimern ist illegal – laut Wiener Abfallwirtschaftsgesetz können Strafen bis zu 3500 Euro verhängt werden.
Städte wie Innsbruck, Linz, Graz und bald Salzburg haben das Problem erkannt und versuchen, den Alltag der Pfandsammler:innen zu erleichtern.
Durch sogenannte Pfandhilfen – Vorrichtungen für Pfandgebinde um die Mülleimer – soll das Sammeln erleichtert und die Kreislaufwirtschaft gefördert werden. In vier österreichischen Städten werden Pfandhilfen mit Pilotprojekten getestet. Ein Pfandring ermöglicht das Abstellen von Pfandflaschen und verhindert so, dass andere danach im Müll suchen müssen. Gleichzeitig entsteht eine einfache Möglichkeit, Flaschen nicht wegwerfen, sondern sie bewusst an andere weiterzugeben. In Innsbruck gibt es eine weitere Pfandhilfe: Sogenannte Pfandinseln stehen unabhängig von Mistkübeln an öffentlichen Plätzen und bieten eine Abstellmöglichkeit von bis zu 80 Flaschen und Dosen. Diese Pfandinseln will die Innsbrucker Stadträtin Janine Bex (Grüne) besonders dort aufstellen lassen, wo häufig Getränke konsumiert werden. Wie die Pilotprojekte angenommen werden, muss sich erst zeigen.
In Wien hat sich die zuständige MA48 bereits eine Meinung gebildet – sie schließt eine Einführung von Pfandhilfen in Wien aus.
Guerilla Aktion für Pfandring-Montage
In einigen Bezirken formiert sich jedoch Widerstand: Genehmigung hin oder her, dachten sich zwei Bezirksrät:innen und packten selbst an. U3-Station Hütteldorfer Straße, vergangene Woche – die Räder der Links Bezirkrät:innen lehnen an einer Säule vor der Bäckerei Anker. Ziel der heutigen Aktion: Die Montage eines Pfandrings. Der lavendelfarbene Prototyp entstand im 3D-Druck – aus recycelten PET-Flaschen. Gemeinsam montieren Christin Spormann, Links-Bezirksrätin im 14. Bezirk und Kurto Wendt, Links-Bezirksrat in Alsergrund, den Prototypen: Die beiden Einzelteile umrunden die Stange, an welcher der Mülleimer befestigt ist. Auf der richtigen Höhe wird der Pfandring mit vier Kabelbindern fixiert, die Bezirksrätin kürzt die überstehenden Enden. Die frisch angebrachte Halterung wird befüllt – jetzt stehen vier mitgebrachte Pfandflaschen allen Passant*innen zur Verfügung. Es ist kurz vor 17 Uhr, die Hütteldorferstraße ist belebt – doch der erste Feldtest endet ergebnislos. Eine Pfandflasche nimmt sich in den ersten 20 Minuten niemand. Die Menschen werden sich erst daran gewöhnen, hofft Bezirksrätin Christin Spormann, früher oder später würden die Pfandsammler:innen den Pfandring sicherlich bemerken. Doch damit das Modell funktioniert, braucht es auch Menschen, die die Ringe befüllen. Es ist der zweite Pfandring, den die Kleinpartei Links in Wien montiert – genehmigt ist keine der Montagen. Nicht auszuschließen, dass die Stadt die Ringe demnächst wieder abmontiert.
Soziale Hilfe oder hygienischer Alptraum
In drei Landeshauptstädten gibt es bereits mehr Erfahrungswerte, ab August werden Pfandringe auch an einigen Salzburger Mülleimern getestet.
Der große Vorteil ist: ich bin unterwegs, mir sind die 25 Cent jetzt nicht so wichtig, aber ich spende sie und jemand kriegt dafür die 25 Cent und es wird trotzdem in den Kreislauf geführt. Das überwiegt meiner Meinung nach Argumente wie etwa, dass es nicht schön aussieht.
Verantwortlicher für Abfall- und Ressourcenmanagement des Österreichischen Ökologie-Instituts
Warum aber ist die Stadt Wien dagegen? Zahlreiche Gründe sprechen aus ihrer Sicht dagegen – vor allem basierend auf den Erfahrungen deutscher und Schweizer Großstädte. „In Summe verursachen Pfandringe nicht nur ein optisches, sondern auch ein hygienisches Problem.“ Das sei einer von mehreren Gründen, erklärt die MA 48 in einer schriftlichen Antwort gegenüber profil.
Anders sieht das Christian Pladerer, Verantwortlicher für Abfall- und Ressourcenmanagement des Österreichischen Ökologie-Instituts „Der große Vorteil ist: ich bin unterwegs, mir sind die 25 Cent jetzt nicht so wichtig, aber ich spende sie und jemand kriegt dafür die 25 Cent und es wird trotzdem in den Kreislauf geführt. Das überwiegt meiner Meinung nach Argumente wie etwa, dass es nicht schön aussieht.“
Gegen verschiedenste Pfandhilfen spricht eine steigende Verunreinigung mit Folgen wie erhöhten Reinigungsbedarf und der Abwertung des Wiener Stadtbilds. Grund wäre die missbräuchliche Verwendung der Pfandhilfen als Mülleimer. Demgegenüber steht ein recht neues Phänomen: Einige Menschen stellen ihren Pfand vor den Müllkübeln ab. In Berlin sei es mittlerweile nahezu zur gesellschaftlichen Norm geworden, Pfandflaschen nicht in den Müll zu werfen – es gilt dort häufig als nicht sehr sozial, Pfandflaschen in den Müll zu werfen, erklärt die geborene Berlinerin Christin Spormann. Somit entsteht auch ohne Pfandhilfen Verunreinigung in Wien und strafbar ist das Abstellen von Pfand auch: Eine am Boden abgestellte Flasche, im Amtsdeutsch „Verunreinigen im öffentlichen Raum“, kann bei einer Anzeige durch die Polizei bis zu 2000 Euro kosten. Neben der steigenden Verunreinigung würden die Flaschen in den Halterungen Insekten anziehen. Die metallischen und vorstehenden Pfandringe bilden ein Verletzungsrisiko, besonders für Kinder und sehschwache Personen. Gerade dieses Argument überzeugt die Links Bezirksrätin Spormann nicht. Pfandhilfen sollen ihrer Meinung nach vor allem dazu beitragen das Verletzungsrisiko für Pfandsammler:innen vermindern – etwa indem verhindert wird, dass sie beim Durchwühlen von Müll in Scherben greifen müssen. Gegen Pfandhilfen argumentiert auch SPÖ-Stadtrat Jürgen Czernohorszky. Er schrieb am 17. Februar in einer Antwort auf einen Antrag des 9. Bezirks bezüglich Pilotprojekten zu Pfandringen: Auch nicht sozial benachteiligte Personen könnten Gebinde sammeln, demnach würden sozial benachteiligte Personen nicht zwingend von den Pfandringen profitieren. Auch die Kosten sprechen gegen eine Einführung von Pfandringen – 25.000 öffentliche Mistkübeln wären auszustatten. Der von Links gedruckte Prototyp kostet insgesamt rund 30 Euro, die Pfandringe in Innsbruck liegen bei einem Stückpreis von rund 200 Euro netto. Teurer ist eine Pfandinsel, diese beläuft sich auf circa 1000 Euro netto.
Viele dieser Gründe gegen Pfandhilfen sind auch in Deutschland wiederzufinden, beispielsweise in einem Bericht des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Die meisten Argumente basieren nicht auf wissenschaftlichen Erhebungen, räumt der VKU ein, somit handelt es sich um Annahmen. Feststeht: In dem Bericht überwiegen die negativen Gründe quantitativ eindeutig, fast drei Viertel der Argumente sprechen gegen Pfandhilfen. In dem 2015 veröffentlichten Bericht werden 16 deutsche Städten detaillierter analysiert: In zwölf Städten wurden Pfandhalterungen in Pilotprojekten getestet. Allerdings sind die Ergebnisse meist nicht eindeutig positiv ausgefallen und führten folglich nicht zur großflächigen Einführung von Pfandhilfen.
Keine Pfandringe für Wien
Bevor die Stadt Wien sowie die MA48 ihre Position klar äußerten, befürwortete die SPÖ Alsergrund Pfandhilfen. Nach Rücksprache mit den Expert:innen der Stadt wird aufgrund der Vermüllung und der Hygieneprobleme von Pfandringen abgesehen, erklärt Christian Sapetschnig, Stellvertretender Bezirksvorsteher Alsergrund gegenüber profil. Verlaufen die Pilotprojekte in anderen österreichischen Städten erfolgreich, so Christian Sapetschnig, kann man auch aus diesen Erfahrungen lernen. Jedenfalls braucht es eine Variante für ganz Wien. Dementgegen steht die MA 48 – die Pfandringe in Wien selbst dann ausschließt, wenn Pilotprojekte erfolgreich verlaufen würden. In Innsbruck wird das Pilotprojekt wissenschaftlich begleitet, erklärt Janine Bex, Stadträtin für Stadtplanung, Mobilität und Integration. Erste Ergebnisse des Pilotprojekts sollen im Herbst vorliegen, erhoben vom Institut für Geographie der Universität Innsbruck. Ob Pfandhilfen bald auch in Wien zu sehen sind bleibt unklar, bis dahin wollen Links Bezirksrät:innen weitere Aktionen setzen. Weitere Montagen in der Öffentlichkeit sollen folgen. Laut Spormann ist geplant – nach Absprache mit Gräzloasen Pfandringe auf deren Flächen anzubringen.