Zusammengepresstes Einwegpfand stapelt sich am Areal der Sortieranlage

Flaschenberge, Betrug und Macht: Die sieben Schwachstellen des Pfandsystems

Seit sechs Monaten gilt in Österreich das Einwegpfand. Reibungslos läuft es noch nicht. Die Vorwürfe: Getränkehersteller und Supermarktriesen dominieren das Geschehen, Betrug am Pfandautomaten ist einfach, und zahlreiche Lkw fahren leere Flaschen ziellos hin und her.

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Große Veränderungen brauchen unterschiedlich lang, um im Alltag anzukommen. Seit einigen Monaten gehen in größeren Städten Menschen von Mistkübel zu Mistkübel und ziehen noch halbwegs brauchbare Pfandflaschen heraus. In Österreich sind sie ein Novum und eine neue Form von sichtbarer Armut. In Deutschland sind Flaschensammler so selbstverständlich, dass sie sogar in Kinderbüchern vorkommen. Nicht ganz so schnell haben sich die Bürgerinnen und Bürger hierzulande an dieses neue System gewöhnt. Rund 255 Millionen Gebinde wurden im ersten Quartal 2025 in Umlauf gebracht, nur etwa 36 Millionen davon wurden zurückgegeben. Und selbst die stauen sich in den Sortieranlagen.

Das Pfandsystem war ein Leuchtturmprojekt der ehemaligen grünen Klimaministerin Leonore Gewessler und startete in den letzten Zügen ihrer Amtszeit. Jahrelang wurde verhandelt, große Widerstände des Handels wurden eingeebnet und monetär überwunden. Ein halbes Jahr nach Einführung ist das Pfandsystem noch lange nicht dort, wo es sein sollte. Grundlegender Konstruktionsfehler oder doch nur Wachstumsschmerzen? profil hat sieben Schwachstellen unter die Lupe genommen.

Gepresstes Einwegpfand in der Sortieranlage in Leopoldsdorf

Pfandstau?

In der Sortieranlage Leopoldsdorf nehmen die gepressten Ballen überhand, heißt es in der Nachbarschaft.

1. Zu geringe Kapazität

In Leopoldsdorf nahe der Wiener Stadtgrenze reihen sich Einfamilienhäuser, Stromleitungen und Felder aneinander, unterbrochen von kleinen Gewerbegebieten. Hier liegt auch der Betrieb, der gerade die Pfandflaschen und -dosen aus ganz Österreich vom Handel bekommt und nach Farben und Arten sortiert: Nemetz. Die zusammengedrückten Flaschen stapeln sich in gepressten Ballen am Betriebsgelände. Von Woche zu Woche werde es voller, sagen Nachbarn. Lkw fahren ein und aus, es herrscht Hochbetrieb.

In der Abfallbranche waren viele skeptisch, wie das in die Jahre gekommene Werk die großen Mengen bewältigen soll. Rund ein Drittel der Menge geht allerdings nicht mehr zu Nemetz nach Leopoldsdorf, sondern in ein anderes Werk im Burgenland, heißt es in der Branche. Simon Parth, Geschäftsführer von Recycling Pfand Österreich (EWP), möchte aus Rücksicht auf Vertragsinterna nichts zu konkreten Stückzahlen sagen, bestätigt aber, dass Nemetz mittels Subunternehmer auf die Kapazitäten in einer Sortieranlage in Wulkaprodersdorf zurückgreift.

Ab 2026 soll dann in Müllendorf eine Sortier- und Zählanlage mit einer Anlagenkapazität von 55.000 bis 65.000 Tonnen pro Jahr betrieben werden. „Das ist dann die Hauptpfandsortieranlage in Österreich, die aktuell im Bau ist“, sagt EWP-Chef Parth. Ausgelegt ist die neue Anlage auf eine Kapazität von jährlich bis zu 2,5 Milliarden Dosen und Flaschen. Eigentümer der neuen Anlage ist die EWP, betrieben wird sie ab dem kommenden Jahr von der Firma Nemetz.

2. Lange Wege

Ursprünglich hätte es ab Jahresbeginn eine Sortieranlage für West- und eine für Ostösterreich geben sollen. Die West-Anlage scheiterte an einer langwierigen Ausschreibung, die schließlich in Gerichtsprozessen endete.

Aus diesem Grund machen derzeit viele Flaschen viele leere Kilometer, heißt es aus der Branche. „Es werden viele Paletten voll Flaschen von Vorarlberg nach Niederösterreich gebracht. Das scheint mir nicht der Sinn und Zweck zu sein“, heißt es in der Branche. Eine unberechtigte Kritik, meint EWP-Chef Parth. „Wir haben erst kürzlich die Ausschreibung der Sortierung West abgeschlossen. Da wird jetzt ab Juni bereits ein Teil in einer Sortieranlage in Salzburg abgegeben“, so der Chef des Recyclingverbunds. Woher kommt also diese Behauptung?

Mehr als 90 Prozent der Flaschen und Dosen kommen laut Parth aus dem Handel. Das Leergebinde werde „im Zuge der normalen An- und Ablieferung mitgenommen und dann in das jeweilige Zentrallager gebracht“, sagt der EWP-Chef. Dort werden diese das erste Mal gepresst und anschließend in die Sortieranlagen gebracht – im ersten Halbjahr 2025 vor allem in das Wiener Umland, 2026 ins Burgenland. Die Kritik der vielen Kilometer sei eine Falschmeldung, sagt Parth: „Auch zuvor mussten diese Tonnen Leergebinde in irgendeine Sortieranlage gefahren werden. Die haben sich auch nicht in Luft aufgelöst bei der Anfallstelle.“

3. Handel und Abfüller dominieren

Für die Grünen war das Pfand ihr Prestigeprojekt in der Abfallwirtschaft. Für den Handel, die Wirtschaftskammer und die ÖVP lange ein rotes Tuch. Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf nannte den Vorstoß damals „ein Belastungspaket im ökologischen Mäntelchen“.

Auf dem Bild befinden sich Ex-Klimaschutzministerin Gewessler und einige andere Vertreter aus der Pfandbranche

Doch schließlich kam Bewegung in die Sache, Handel und Abfüller fanden eine Lösung, mit der alle leben konnten. Der Handel konnte Förderanträge für entsprechende Automaten stellen. Ministerin Gewessler ist Geschichte, der Handel und die Produzenten dominieren die zentrale Pfandgesellschaft. Die zuständige Organisation, die EWP Recycling Pfand Österreich, gehört dem Trägerverein Einwegpfand. Dieser bestimmt entlang der gesetzlichen Richtlinien die Gebühren, Entschädigungen und Rahmenbedingungen für die Abfüller, den Handel und die Recycler. Das österreichische Pfandsystem macht sich der Handel mit den Abfüllern aus: Die vier Vorsitzenden des Trägervereins besetzen immerhin leitende Positionen bei Coca-Cola, Red Bull, Rewe und Hofer, wie aus dem Vereinsregister hervorgeht. Bei kleineren Marktteilnehmern kommt das nicht gut an. Ändern wird sich daran so schnell aber nichts.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.