Peter Pilz: Der Listenreiche

Die Demontage von Peter Pilz hat bei vielen Grün-Sympathisanten einen Schock ausgelöst. Verschläft die Partei den politischen Zeitgeist?

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Auf dem Weg zum Parlament durch die Straßen der Wiener Innenstadt folgen ihm die Blicke. Man nickt dem Gefallenen zu, schüttelt ihm die Hand, gratuliert, bittet ihn, nicht aufzugeben. Manche lassen Schimpfkanonaden los, nicht auf Peter Pilz, sondern auf die Grünen, auf die Parteien schlechthin. Straßenbahnschaffner winken aus ihrem Führerhäuschen. Ein Polizist salutiert. Es herrscht ein gewisser Überschwang, eine Heilserwartung, die auch schon bei den ersten Auftritten von Irmgard Griss zu beobachten war.

So beliebt wie in diesen Tagen war Peter Pilz noch nie. Der Grün-Politiker der ersten Stunde, der Einzige aus der Gründer-Generation, der noch im Parlament sitzt, trägt sich mit dem inzwischen sehr konkreten Gedanken, für die kommende Nationalratswahl eine eigene Bewegung ins Leben zu rufen. Keine neue Partei, Gott bewahre! Eine neue Liste natürlich, die "Liste Pilz“ - als würde damit ein weiterer Felsbrocken des parlamentarischen Systems zu Tal donnern, als könne die Parteiendemokratie bald einpacken, weil sie durch die Listendemokratie ersetzt wird. Noch gibt es keine Euro-Millionen und keine Struktur, nur eine Online-Petition mit Tausenden Unterstützern, fiebrige Betriebsamkeit unter willigen Helfern und einen Mann in einer Ausnahmesituation, der kaum noch schläft. Die Freunde sorgen sich - auch wegen eventuell übereilter Entschlüsse.

Auf dem Bundeskongress der Grünen in Linz ist Pilz’ Karriere als Mandatar nach 31 Jahren zu Ende gegangen. Er war für den vierten Listenplatz angetreten. Für diesen oder keinen, hatte er den Delegierten gesagt. Als treibende Kraft im Eurofighter-Ausschuss brauche er ein starkes Mandat. Er befinde sich mit Europas größtem Rüstungskonzern im Clinch. Er habe als Aufdecker und Korruptionsbekämpfer etwas vorzuweisen, ein Lebenswerk. "Bei meiner Wahl ist es immer spannend“, hatte Pilz noch entspannt gelacht, doch als das Abstimmungsergebnis auf dem Großbildschirm sichtbar wurde, war er blass geworden. Für einen Augenblick war es ganz still im Saal. Sein Gegenspieler, ein 28-Jähriger Jungpolitiker namens Julian Schmid, machte einen Freudensprung und schaute triumphierend in die Runde. Betretene Gesichter dagegen bei den Umstehenden. Einige Delegierte stürzten zum Ausgang. Fassungslos. Tränen in den Augen.

Ein paar Tage danach sagt Schmid, er sei weiterhin überwältigt von dem Vertrauen, das man in ihn setze, die Zukunft der Grünen zu sichern. Seine Aufgabe sieht er darin, "dass die Grünen auch in den kommenden Generationen stark bleiben“. Uff!

Auf diesem Bundeskongress ist offenbar etwas aus dem Ruder gelaufen. Es musste so kommen. Es war nur eine Frage der Zeit. Das Verstörende an diesem Fall besteht darin, dass sich ein braver, an den grünen Mainstream angepasster Allerweltstyp gegen einen schwierigen, keine Ruhe gebenden, immer wieder neue Debatten anstoßenden politischen Kopf durchgesetzt hat - Ersterer jung, Letzterer alt, als sei der Fortschritt eine Frage der Biologie, als sei es vollkommen nebensächlich, ob die Grünen einen Wirtschaftsexperten wie Bruno Rossmann, einen Sozialexperten wie Karl Öllinger (der diesmal gar nicht mehr antrat, weil er schon beim letzten Mal nicht mehr gewählt wurde), einen Kulturpolitiker wie Wolfgang Zinggl oder einen Landwirtschaftsexperten wie Wolfgang Pirklhuber in ihren Reihen haben. Auch die grüne Anti-Korruptionsfachfrau Gabriele Moser hat einen unsicheren Listenplatz.

Im Laufe der Jahrzehnte haben die Grünen immer wieder Phasen wilder Zerstrittenheit und erbitterter Hahnenkämpfe bewältigt. Mit kleinen, aber steten Wahlerfolgen entwickelten sie sich allmählich zu einer Wohlfühlpartei, die in Zeiten der Krise, der Massenzuwanderung, der Flüchtlingsströme und des babylonischen Sprachengewirrs an politischer Relevanz eingebüßt hat und mittlerweile wie ein Leichtgewicht wirkt. Ihre Stammwählerschaft ist das gut verdienende, gebildete, urbane und weltoffene Milieu. Erfolgssicherung wurde immer wichtiger. Parteibürokratie, Beraterstäbe und Öffentlichkeitsmanagement taten das Übrige.

Die Individualität der Grün-Politiker von früher ist mehr oder weniger durch die unverbindliche Nettigkeit von Menschen ersetzt worden, die gern moralisieren und mahnend den Finger erheben. Prototyp dieser Entwicklung ist die neue Parteichefin Ingrid Felipe, Umweltlandesrätin in Tirol, die schon angekündigt hat, dass sie die Koalition mit der ÖVP in ihrem Bundesland gern fortsetzen würde. Auf ihrem Facebook-Account sieht man die sympathische, stets lachende junge Frau einen Baum umarmen. Nach dem Bundeskongress postete sie, nicht ganz orthografiesicher, es gehe ihr "ganz schön auf den Zeiger wie jetzt auf den Grünen als ganze herumgehackt wird“.

Ulrike Lunacek (l.) und Ingrid Felipe

Auf dem grünen Bundeskongress war nichts diskutiert, nichts infrage gestellt worden. Die Kandidaten hatten für ihre eigenen Truppen geworben. Die Integrationssprecherin Alev Korun etwa sagte, sie kämpfe "für das Leuchten in Kinderaugen.“ Pilz’ Beitrag, man müsse sich mit dem politischen Islam auseinandersetzen, denn dieser mache "unseren Türken das Leben schwer“, wurde nicht einmal ignoriert. Der junge Schmid will das auch eine Woche später "nicht kommentieren“. Das sei nicht sein Thema.

Pilz sagt, es sei ihm vor zwei Jahren schmerzhaft bewusst geworden, dass sich die Grünen der Diskussion um "die Brückenköpfe des politischen Islam" verweigerten: "Dabei geht es nicht primär um Terroristen, sondern um Vereine, die muslimische Einwanderer an der Integration hindern und isolieren wollen. Sie meinen, das sei ausländerfeindlich. Es gibt eine Haltung, in der jedes Kopftuch als Symbol der Freiheit der Frau gesehen wird“, kritisiert Pilz.

Er habe schon im Jahr 2015, als die Flüchtlinge kamen, den Standpunkt vertreten, selbstverständlich seien Flüchtlinge willkommen, wenn sie da sind, "doch alle willkommen zu heißen, ist gefährlicher Unsinn. Bei dieser Art von Flüchtlingspolitik gelingt es nur den Stärksten, den jungen Männern, einen Fuß nach Europa zu setzen. Schwache, Alte, Frauen und kleine Kinder bleiben zurück.“ Pilz plädiert deshalb für Grenzsicherung bei gleichzeitig großzügigen Programmen zur Einwanderung auf sicherem Weg.

Der Ausbruch aus dem engen grünen Milieu, den ich immer wollte, scheint jetzt möglich

Er glaubt nicht, mit der Thematisierung des politischen Islam den Freiheitlichen in die Hände zu spielen. "Die Menschen, die mich in diesen Tagen zu einer Kandidatur ermutigen, kommen nicht alle aus dem grünen Milieu. Sie sind erleichtert, dass es jetzt eine neue Option gibt - nicht nur Sebastian Kurz oder Heinz-Christian Strache. Der Ausbruch aus dem engen grünen Milieu, den ich immer wollte, scheint jetzt möglich“, sagt Pilz.

Es wurmt ihn, dass er nach der grünen Wahlschlappe in Wien vor zwei Jahren den Begriff "Linkspopulismus“ in die Debatte geworfen hat. "Da hat alle der Schlag getroffen, weil sie Moralisten sind und Populismus schlecht angeschrieben ist. Hätte ich von radikalem Pragmatismus gesprochen, wären meine Parteifreunde vielleicht mitgegangen.“

Peter Pilz im Rahmen des Eurofighter-U-Ausschusses

Rückblickend scheinen für die Grünen als Bewegung jene Jahre fruchtbar gewesen zu sein, in denen gestritten wurde bis aufs Messer, in denen Neues eine Chance hatte. Doch die allerbesten Jahre, so erinnern sich alte Grüne, seien die Jahre unter Parteichef Alexander Van der Bellen gewesen, 1997 bis 2008 - zumindest bis zu den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel im Winter 2002. Denn danach kam es zu einer tiefen Depression.

Der liberal denkende Professor habe die Gabe besessen, die grüne Partei in intellektueller Bewegung zu halten, durch Ansichten, die oft quer zu allen anderen standen, die einen Raum aufgemacht hätten für neue Ideen. Damals sei innerhalb der Gremien heftig diskutiert worden, erinnert man sich. Für ein besseres Miteinander schreckte der Klub nicht vor Selbsterfahrungsseminaren zurück; einmal kam es sogar zu einer Familienaufstellung.

Entstanden waren die Grünen 1986 in einer Umbruchzeit. Die Präsidentschaftskandidatur von Kurt Waldheim hatte die NS-Vergangenheit und die österreichische Lebenslüge aufgebrochen. Jörg Haider hatte die FPÖ in einem Putsch übernommen und den Populismus salonfähig gemacht. Die beiden Großparteien waren wieder in altem Misstrauen aneinandergekettet. Die Grünen begriffen sich als reine Opposition. Unter ihnen waren Idealisten, Fundamentalisten, Rechte und Linke gleichermaßen. Eine weltanschauliche Grundlage gab es nicht. Ein damals gescheiterter Programmentwurf begann mit dem Satz: "Ziel der Ökologie ist die Schönheit.“

Die Grünen in den ersten Jahren waren besserwisserisch und oberlehrerhaft. Das ist jetzt wieder eingerissen, und das gefällt mir nicht

Was die Grünen zusammenhielt, war die Überzeugung, das Weltgewissen zu verkörpern. "Die Grünen in den ersten Jahren waren besserwisserisch und oberlehrerhaft. Das ist jetzt wieder eingerissen, und das gefällt mir nicht“, sagt Karl Öllinger.

Tatsächlich kursierte schon in den frühen 1990er-Jahren ein internes Strategiepapier, in dem stand: "Wir sind unnahbare, oberlehrerhafte Politikmacher. Wer von den wichtigen Leuten hört andere Meinungen als die seines Freundeskreises?“ Der Autor jenes Papiers, Pius Strobl, rät Pilz heute von einer Listengründung ab.

Die Politik befindet sich in einer Umbruchphase. Die Menschen haben das Parteiengezänk, Parteien ganz allgemein zusehends satt. Sie wollen pragmatische, vernünftige Vorschläge hören. Nicht zufällig setzt Sebastian Kurz auf eine Bewegung, die wie losgelöst von der ÖVP aussehen soll. Pilz glaubt: "Was wir jetzt angehen, wird das Beste, was wir jemals gemacht haben.“ Wer - außer Pilz - hinter dem Wir steht, ist freilich noch unklar.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling