Polizei mit Mund- und Nasenschutz auf Streife

Polizeistaat: Die neue Lust am Strafen, Bespitzeln und Denunzieren

In Österreich ist neuerdings alles verboten, was nicht explizit erlaubt wurde. Um Seuchenbekämpfung geht es dabei nur am Rande. Rosemarie Schwaiger über die Lust am Strafen, Bespitzeln und Denunzieren.

Drucken

Schriftgröße

Die Zahl steigt und steigt – zwar nicht exponentiell, aber äußerst flott: Am 22. März gab es 2900 Fälle zu beklagen, acht Tage später bereits über 10.000. Allein am 5. April erhöhte sich der Wert um 1200 auf mehr als 16.000. Das kommende Osterwochenende wird wohl zu einer weiteren starken Zunahme führen; die Kombination aus schönem Wetter und viel Freizeit ist leider äußerst ungünstig. Neue, traurige Rekorde sind absehbar. Nein, es geht hier zum Glück nicht um die Zahl der mit SARSCoV-2 infizierten Österreicher. Dieser Wert lag zuletzt bei rund 13.000 positiv Getesteten. Einen Boom erleben dafür die Anzeigen wegen Verstößen gegen die neue Epidemiegesetzgebung. Mittlerweile haben deutlich mehr Menschen einen Strafzettel daheim als einen positiven Corona-Befund.

Wer etwas Verbotenes tut, muss mit Sanktionen rechnen. So läuft das in einem Rechtsstaat; darüber muss sich keiner aufregen. Allerdings scheint neuerdings alles verboten zu sein, was nicht explizit erlaubt wurde. Jüngst machte im Internet ein Strafzettel die Runde, mit dem ein Wiener zur Zahlung von 500 Euro Bußgeld aufgefordert wurde. Das rigoros beamtshandelte Delikt im Wortlaut: „Sie sind längere Zeit auf einer Parkbank gesessen und haben aufgrund des regen Fußgängeraufkommens nicht den nötigen Mindestabstand von 1 Meter zu anderen Personen eingehalten.“ Nach öffentlichem Protest wurde die Anzeige zurückgezogen. Aber dass die Exekutive überhaupt auf die Idee kam, so etwas zu ahnden, ist schlimm genug. Innerhalb weniger Wochen mutierte Österreich zu einem Operetten-Polizeistaat, in dem harmlose Bürger nach Gutdünken drangsaliert werden. „Die Polizeipräsenz wird in den kommenden Tagen noch deutlicher werden“, versprach Innenminister Karl Nehammer bei einer Pressekonferenz am vergangenen Montag. Bei aller Bewunderung für die schier endlosen personellen Ressourcen der Exekutive: Eine beruhigende Nachricht ist das nicht.

Vor ein paar Tagen sah sich die Volksanwaltschaft veranlasst, die „übertriebene Härte“ bei diversen Amtshandlungen zu thematisieren. Auch die uneinheitliche Auslegung der Gesetze und Verordnungen in verschiedenen Bundesländern sei ein Problem, meinte der für Belange des Innenministeriums zuständige Volksanwalt, FPÖ-Politiker Walter Rosenkranz. Während etwa in Tirol Kinderspielplätze großteils offen sind, droht in Salzburg für deren Benützung ein Bußgeld bis zu 1000 Euro. In der Steiermark musste sich die Kundin eines Drogeriemarkts an der Kasse einer Taschenkontrolle unterziehen. Da sie ein Schulheft für ihre Tochter gekauft hatte, wurde ihr mit Anzeige gedroht. „Das ist nichts Lebensnotwendiges“, lautete die scharfsinnige Analyse des zuständigen Beamten. In anderen Bundesländern sind Einkaufstaschen – bisher – nicht Gegenstand seuchenpolizeilicher Ermittlungen.

Strenges Quarantäneregime

In Tirol galt bis vor ein paar Tagen ein besonders strenges Quarantäneregime, das auch jegliche Art von sportlicher Betätigung untersagte. Ein Ehepaar aus dem Bezirk Kitzbühel war trotzdem zu einer gemeinsamen Skitour aufgebrochen – wohl in der an sich vernünftigen Annahme, damit ja niemandem zu schaden. Nach Hinweisen aus der Bevölkerung wurden die beiden von der Polizei in Empfang genommen. Wie hoch die Strafe ausfiel, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich wird die Geldbuße den Delinquenten weniger wehtun als die Vernaderung durch vermeintlich nette Nachbarn.

Innenminister Karl Nehammer sollte uns jetzt bald mitteilen, was das Ziel der umfassenden Aktivitäten sein soll: Geht es nur darum, die Verbreitung einer Seuche zu verhindern? Oder ist es schon auch wichtig, unbedingten Gehorsam zu erzwingen und allen Bürgern das Leben so schwer wie möglich zu machen?

Er kenne eine Menge Leute, die beim Laufen oder Spazierengehen angehalten wurden, sagt Niki Scherak, stellvertretender Klubobmann der NEOS: „Das Gesetz gibt das nicht her. Ich warte nur darauf, dass mir so etwas passiert, dann werde ich es ausjudizieren lassen.“ Ihm fehle bei vielen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit, meint Scherak: „Für mich ist wirklich erschreckend, dass die Leute fragen müssen, was sie überhaupt noch tun dürfen.“

Natürlich ist es für einzelne Beamte schwierig, im Chaos aus neuen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen den Überblick zu bewahren. Den Metternich’schen Geist, der aktuell durchs Land weht, bekommt aber jeder mit.

Der Wiener Anwalt Florian Horn empfiehlt, nicht jede Strafe einfach zu akzeptieren. „Je höher das Bußgeld, desto unwahrscheinlicher, dass es hält.“ Es gebe zum Beispiel überhaupt keine Rechtsgrundlage dafür, Autofahrer anzuhalten und über ihr Reiseziel auszufragen. Auch die vom Innenminister häufig genannten Corona-Partys sind nach Horns Dafürhalten an sich nicht verboten. Was Menschen in ihren Wohnungen tun, gehe den Staat schlicht nichts an. „Leider verschwimmen derzeit die Grenzen zwischen dem, was gesetzlich geregelt ist, und dem, was nur kommuniziert wird.“ Nach der Krise werde es enormen juristischen Aufarbeitungsbedarf geben, glaubt Horn.

„Man fragt sich schon, was die da tun“

Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer beobachtet das Treiben mittlerweile mit Argwohn. „Meine Frau war vor ein paar Tagen im Wald spazieren und hat sich gewundert, dass an einer besonders schwer zugänglichen Stelle ein Polizeiauto stand“, erzählt er. „Man fragt sich schon, was die da tun.“ Den Covid-19-Gesetzen merke man an, dass sie unter großem Druck und in Eile zustande kamen. Trotz gegenteiliger Berichte und Aussagen von Regierungsmitgliedern wurde etwa das Radfahren überhaupt nicht geregelt, sagt Mayer. Wie lange, wie schnell und wo eine Person unterwegs ist, habe folglich niemanden zu interessieren. „Vieles ist juristisch nicht sehr glücklich gemacht“, bemängelt der Jurist: „Die Polizei ist damit in einer ganz blöden Situation.“

Natürlich ist es für einzelne Beamte schwierig, im Chaos aus neuen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen den Überblick zu bewahren. Den Metternich’schen Geist, der aktuell durchs Land weht, bekommt aber jeder mit. Das gilt auch für Bürger, die andere bespitzeln und anzeigen, als gäbe es Kopfgeld für die Ergreifung von Deserteuren. Befeuert wird die ungute Stimmung von Boulevardmedien, die mit Vorliebe über Abweichler berichten. „Aktion scharf bei Corona-Sündern“, schrieb die „Kronen Zeitung“ etwa am 20. März. Illustriert war der Artikel unter anderem mit dem Foto eines einsamen Kitesurfers am Traunsee. Dieser habe „den Ernst der Lage“ nicht erkannt, empörte sich das Blatt.

Während führende Experten noch darüber streiten, ob es unter normalen Bedingungen im Freien überhaupt zu nennenswerten Ansteckungen mit dem Virus kommen kann, macht sich in Österreich jeder verdächtig, der vor die Haustür tritt. Besonders gilt das für Wiener, die fast überall weggemobbt werden. Die großen Bundesgärten bleiben bis nach Ostern geschlossen, weil die zuständige Ministerin findet, es sei dort zu gefährlich. Ausflüge in andere Bundesländer sind leider auch kaum noch eine Option: In Niederösterreich wurden extra Parkplätze verrammelt (profil berichtete), in Kritzendorf bei Tulln wurde den Eigentümern von Zweitwohnsitzen das Wasser abgedreht, im steirischen Salzkammergut machten mehrere Bürgermeister gegen Auswärtige mobil, und im Burgenland sperrte die Landesregierung per Verordnung den Zugang zum Neusiedler See – auch für Besitzer von Booten und Seehütten. Auf profil-Anfrage erklärt Landeshauptmannstellvertreterin Astrid Eisenkopf, warum das unbedingt notwendig gewesen sei: „Die ansässige Bevölkerung hält sich sehr an die Ausgangsbeschränkungen. Da geht es nicht, dass Hunderte Ausflügler herumspazieren.“

Rund um das Seebad in Podersdorf patrouillierten am vergangenen Samstag bereits mehrere Polizeistreifen. Sämtliche Eingänge waren mit Plastikbändern abgesperrt, die riesigen Grünflächen am See blieben leer, die Boote fix vertäut an den Stegen. Niemand hatte hier einen schönen Tag, auch nicht die Podersdorfer. So muss es offenbar sein in Zeiten von Corona.

Rosemarie Schwaiger