auf dem Bild ist Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) beim Inspizieren eines Polizeiautos zu sehen
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Der Preis des Postenschachers

Dutzende Beamte werden wegen der „falschen“ Parteifarbe beim beruflichen Aufstieg blockiert. Das schadet nicht nur der Qualität der Verwaltung, es kostet den Staat auch fast eine halbe Million Euro, wie eine Recherche von profil und ORF-Report zeigt.

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Stellen Sie sich vor, Sie stehen einer Abteilung im öffentlichen Dienst seit Jahren stellvertretend vor. Weil der Chef in Pension geht, leiten Sie die Abteilung interimistisch. Dann wird die Stelle ausgeschrieben. Sie bewerben sich. Und Sie bekommen die Stelle nicht. Aber nicht, weil Sie nicht geeignet sind. Sondern, weil Sie entweder die falsche oder keine Parteifarbe haben. Ihre Mitbewerberin oder Ihr Mitbewerber hingegen schon. Sie wenden sich an die Bundesgleichbehandlungskommission. Und diese stellt fest: Sie wurden aufgrund der „Weltanschauung“ am beruflichen Aufstieg gehindert.

So war das nicht nur bei der Finanzbeamten Christa Scharf, die zum Ende ihrer Karriere die Leitungsposition des Finanzamtes Braunau-Ried-Schärding (FA BRS) übernehmen wollte und dabei übergangen wurde. Der entsprechende Prozess gegen August Wöginger (ÖVP) und zwei mitangeklagte Finanzbeamte endete am ersten Verhandlungstag überraschend mit einer Diversion für alle drei Angeklagten. Die Beschuldigten übernahmen Verantwortung für ihr Handeln, Wöginger bezahlt eine Geldstrafe von 44.000 Euro, die beiden anderen Angeklagten 17.000 und 22.000 Euro. Zudem entrichten sie der Geschädigten Christa Scharf freiwillig jeweils 500 Euro. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Dass Beamte aufgrund ihrer Weltanschauung am Aufstieg gehindert werden, ist aber kein alleiniges Phänomen des Finanzministeriums, wie ein Blick in die Bescheide der Bundesgleichbehandlungskommission zeigt. Diese Dokumente sind eine Fundgrube für politische Postenbesetzungen im Land, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auch Geld kosten. Gar nicht wenig, wie eine gemeinsame Recherche von profil und dem „ORF Report“ zeigt. Am tiefsten verwurzelt ist die viel kritisierte Praxis im Innenministerium.

Die Auswertung zeigt: von insgesamt 205 Anträgen aufgrund weltanschaulicher Diskriminierung zwischen 2006 und 2025 entfallen 145 auf das Innenministerium (BMI). Neun Anträge gab es im selben Zeitraum im Bildungsministerium, jeweils sieben im Finanz- und im Justizministerium. Dass Postenschacher in keinem anderen Ressort so virulent ist wie im Innenministerium, zeigt die Anzahl jener Fälle, in denen die Bundesgleichbehandlungskommission auch tatsächlich eine Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung feststellte.

76 Mal hat die Kommission zwischen 2006 und 2025 eine vorhandene oder nicht vorhandene Parteinähe als entscheidend für eine Postenbesetzung im Innenministerium ausgemacht. Im Bildungs- und im Verteidigungsministerium waren es je fünf Personen, im Justiz- und Landwirtschaftsministerium jeweils vier. Das von Gerhard Karner (ÖVP) geführte Innenministerium erklärte gegenüber profil bereits im Vorjahr, dass der Vergleich der absoluten Zahlen ein „falsches Bild“ vermittle: „Fakt ist, dass das BMI mit über 39.000 Mitarbeiter:innen eines der personalstärksten Ressorts Österreichs darstellt“, argumentierte ein Sprecher gegenüber profil. Das stimmt, denn anders als im Schulwesen sind die Aufstiegsmöglichkeiten bei der Polizei vielfältiger, weshalb – obwohl es österreichweit mehr Lehrerinnen und Lehrer gibt – jährlich auch mehr Jobs zu besetzen sind. Als alleiniger Grund für die vielen politischen Postensetzungen kann das aber nicht gelten.

Auch im Zuge der gemeinsamen Recherche versuchte das Innenministerium, die hohen Zahlen herunterzuspielen. Gegenüber dem ORF erklärte ein Sprecher des Ministeriums, dass nur 1,3 Prozent aller Postenbesetzungen vor der Kommission landen und dies „einen relativ geringen Prozentsatz“ darstelle, der die Annahme eines „überproportional hohen Anteils“ von Beschwerden durch BMI-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter infrage stellen würde.

In anderen Worten heißt das aber auch: Bei jeder hundertsten Postenbesetzung im BMI wenden sich unterlegene Bewerberinnen und Bewerber an die Gleichbehandlungskommission.

Die Struktur des Innenministeriums geht sehr weit ins Regionale. Dort ist die politische ‚Interventionitis‘ besonders stark ausgeprägt.

Manfred Matzka

Manfred Matzka ist als langjähriger Präsidialchef des Bundeskanzleramtes unter roten Kanzlern und Proponent der Initiative „Bessere Verwaltung“ einer der profundesten Kenner des Staatsapparates. Er erklärt die vielen Postenschacherfälle im BMI so: „Die Struktur des Innenministeriums geht sehr weit ins Regionale. Dort ist die politische ‚Interventionitis‘ besonders stark ausgeprägt. Der Bürgermeister hat immer einen Kandidaten für die Polizeiinspektion.“ Zudem sei die Einstiegsbarriere in den Polizeidienst niedrig. Und: Das Innenressort stehe seit 1945 „immer schon sehr stark unter personalpolitischen Machtansprüchen“. Erst von den Sozialdemokraten, dann der Volkspartei und kurzzeitig auch von den Freiheitlichen. Auch unter Herbert Kickls (FPÖ) Ägide gab es Postenschacherfälle im BMI.

Frustrierte Polizisten

Die Begründung des Innenministerium-Sprechers erscheint auch mit Blick auf Aussagen einiger Polizeibeamten zweifelhaft. Nach Veröffentlichung einer profil-Recherche zu abgekarteten Postendeals meldeten sich gleich mehrere Polizistinnen und Polizisten mit ähnlichen Erfahrungsberichten – von der Eliteeinheit Cobra bis hinunter zu Polizeiinspektionen in den Regionen. Eine Person erzählt: „Bis dato habe ich dreimal versucht, mich wegzubewerben, dreimal wurden Personen (mit vorhandenem Netzwerk bzw. Parteizugehörigkeit) bevorzugt.“ Ein anderer schreibt: „Einige der besten Polizistinnen und Polizisten haben sehr darunter gelitten bzw. leiden heute noch darunter – viele davon haben resigniert und machen nur mehr Dienst nach Vorschrift. Diese systematische Bevorzugung geht leider mittlerweile schon bis zum kleinsten E2a (Verwendungsgruppe bei der Polizei nach Abschluss der Grundausbildung; Anm.) auf den Polizeiinspektionen.“

Aussagen, die sich mit den abrufbaren Bescheiden im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) decken.

Ennser-Jedenastik: Nur die „Spitze des Eisbergs“

Der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik beschäftigt sich seit Jahren mit der Thematik. Seine Postenschacher-Statistik ist es auch, die profil und „ORF Report“ fortsetzen. Er meint: „Was wir in den Bescheiden der Gleichbehandlungskommission sehen, ist nur die ganz kleine Spitze eines großen Eisbergs. Denn hier handelt es sich immer nur um jene Personen, die karrieremäßig nichts mehr zu verlieren haben oder zumindest glauben, sie haben nichts mehr zu verlieren und sich deshalb mit ihrer eigenen Organisation anlegen können und vor diese Kommission ziehen.“

Es geht darum, Leute, die mir gegenüber loyal sind, weil sie bei mir in der Partei oder in der Gewerkschaftsfraktion sind, zu belohnen und um zu signalisieren, dass es sich auszahlt, dass man bei der richtigen Gruppierung dabei ist.

Laurenz Ennser-Jedenastik, Politikwissenschafter

weshalb es Postenschacher bis auf die untersten Ebenen der Polizei gibt

Ausschlaggebend für die Art von Postenbesetzungen seien zwei Gründe: das Steuerungs- und das Belohnungsmotiv. Während es bei Top-Jobs vor allem um ersteres geht, um eine Organisation wie die Polizei in eine bestimmte Richtung zu lenken, geht es bei den Besetzungen auf den untersten Ebenen – etwa Postenkommandanten auf Polizeistationen – um das Belohnungsmotiv: „Hier geht es darum, Leute, die mir gegenüber loyal sind, weil sie bei mir in der Partei oder in der Gewerkschaftsfraktion sind, zu belohnen und um zu signalisieren, dass es sich auszahlt, dass man bei der richtigen Gruppierung dabei ist, weil man dann eher Karriere machen kann“, als wie wenn man nicht Teil der Partei oder der „richtigen“ Gewerkschaftsfraktion ist, meint Ennser-Jedenastik.

Auch grüne Postenschacherfälle

Die Auswertung zeigt aber auch: Postenschacher ist nicht nur ein türkises, rotes oder blaues Phänomen – auch die Grünen scheinen mittlerweile in der Statistik auf. Einzig die Neos schlagen sich nicht in den belegten Fällen nieder, sie hatten auf Bundesebene bisher aber noch kaum Gelegenheit, negativ aufzufallen. Unter Leonore Gewessler an der Spitze des Klimaschutzministeriums (BMK) gab es zwei Fälle von Postenschacher. So wurde laut Bescheid der Kommission eine Stelle als Abteilungsleitung in ihrem ehemaligen Ministerium auf eine Bewerberin zugeschnitten, grün eingefärbt liest sich auch ein Fall aus dem September 2023.

Damals wurde eine Bewerberin für die Leitung einer Abteilung im BMK nicht berücksichtigt, sie vermutete, dass die Mitbewerberin die Stelle vor allem aufgrund ihrer Weltanschauung bekommen hätte. Und sie konnte dies unter anderem mit früheren Social Media Postings und Tätigkeiten in einer den Grünen nahestehenden Fraktion belegen. Auch Gewessler selbst kommt im Bescheid vor: „In einem informellen Gespräch am ... habe die Vorsitzende der Begutachtungskommission sie (die Antragsstellerin; Anm.) informiert, dass sich Frau Bundesministerin ... für die externe Person entscheiden werde“. Im selben Gespräch seien der unterlegenen Bewerberin auch drei Punkte dargelegt worden, warum sie nicht geeignet sei. Punkte, die laut Gleichbehandlungskommission keine in der Ausschreibung geforderten Kriterien ausmachten.

Postenschacher kostet fast halbe Million Euro

Zurück zum Postenschacherfall, der am Dienstag am Landesgericht Linz verhandelt wurde. Die bei der Besetzung des Finanzamts BRS übergangene Christa Scharf gab sich mit dem Bescheid der Gleichbehandlungskommission nicht zufrieden. Denn dieses rechtlich nicht bindende Gutachten allein bedeutet noch nicht, dass auch Schadensersatzgelder fließen. 

Frau Scharf forderte vom Finanzministerium also zum einen die Differenz zwischen ihrem Gehalt und dem Gehalt der Leitungsfunktion, das ihr unrechtmäßig entgangen ist. Und zum anderen 10.000 Euro Entschädigung für die erlittenen persönlichen Beeinträchtigung. Das Finanzministerium wies diese Forderung ab – diesen Bescheid bekämpfte Frau Scharf dann am Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Dort folgte man dem Gutachten der Gleichbehandlungskommission und erkannte der übergangenen Finanzbeamten die Gehaltsdifferenz und 5000 Entschädigung für die erlittenen persönlichen Beeinträchtigung zu.

Verteilt über alle Ministerien machen diese Gelder (Diskriminierungsgrund „Weltanschauung“ und „Mehrfachdiskriminierung“ inklusive Weltanschauung; Anm.) laut parlamentarischen Anfragebeantwortungen und Anfragen an alle Ministerien mindestens 439.730,82 Euro aus. Einzig das Verteidigungsministerium – fünf stattgegebene Anträge mit Diskriminierungsgrund Weltanschauung – konnte trotz mehrfacher Nachfrage keine Zahl nennen.

Kosten, die weitaus schwerer zu messen sind, ergeben sich aber durch Reibungsverluste in den Organisationen, meint Ennser-Jedenastik. „Ich glaube, die größeren Kosten entstehen dadurch, dass dann die Organisationen als Ganze vielleicht dysfunktionaler werden, also nicht mehr so funktionieren, wie sie eigentlich sollten“, so der Experte. Und: „Wenn man sich vorstellt, dass sich Leute aus derselben Organisation ja auch beworben haben, vielleicht besser qualifiziert sind, was habe ich dann für eine Vertrauensbasis, um nachher zusammenzuarbeiten?“, sagt Ennser-Jedenastik. „Eine Organisation, in der Leute sitzen, die wissen, dass ihre Vorgesetzten schlechter qualifiziert sind und wo die Vorgesetzten wissen, dass ihre Untergebenen besser qualifiziert sind als sie selbst, kann glaube ich nicht eine Kultur der vertrauensvollen Zusammenarbeit etablieren“, so der Politologe.

Wie könnte man Postenschacher abstellen?

Ennser-Jedenastik wird nicht müde zu betonen, dass es auch gesetzliche Änderungen bedarf, um Postenschacher langfristig abzustellen. „Ich bin der Meinung, wir müssen die Bestellungsmodi in der Verwaltung ändern, transparenter machen, offener machen, auch für Externe. Und vielleicht auch mit Sanktionen gegenüber Leuten arbeiten, die wiederholt Besetzungen vornehmen, die nachher als ungerechtfertigt oder als unsauber ermittelt werden.“

Während Übergangene also oftmals einen zermürbenden Gang durch die Instanzen hinlegen müssen, um entschädigt zu werden, hat die Praxis für all jene, die Posten schachern, kaum Konsequenzen, meint der Experte: „Ich muss mich im Fernsehen dafür rechtfertigen, oder ich muss eine mediale Schelte über mich ergehen lassen. Diese stecken die Leute, glaube ich, aber gerne ein, um den Nutzen, den sie politisch daraus ziehen, auch weiterhin zu haben.“

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.