Diversion statt Urteil – Geschädigte Scharf: „Das ist eine Aufforderung weiterzumachen“
Dienstag, kurz nach 9:30 Uhr am Landesgericht Linz. Draußen Regen, drinnen Medienrummel. „Wie Sie sich sicher vorstellen können, ist das heute kein angenehmer Termin für mich, aber ich vertraue auf die unabhängigen Gerichte und ein genau solches ist nun am Zug“, sagt August Wöginger am Weg in den Verhandlungssaal. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat den ÖVP-Klubobmann und zwei Finanzbeamte wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch sowie Amtsmissbrauch und falscher Zeugenaussage angeklagt. Der Hintergrund: Wöginger wandte sich im Frühjahr 2017 an den damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid. Und gab diesem die Bewerbungsunterlagen eines ihm bekannten ÖVP-Bürgermeisters weiter, denn dieser wollte Leiter des Finanzamtes Braunau werden.
Die beiden Finanzbeamten, Siegfried Manhal und Herbert B., sollen im Bestellungsverfahren die besser geeignete und langjährige Mitarbeiterin des Finanzamtes Braunau, Christa Scharf, besonders hart befragt haben. Zudem sollen sie „Soft Skills“ in der Bewertung höher gewichtet haben als ihr Fachwissen und ihre langjährige Führungsverantwortung. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sollen die beiden zudem falsche Aussagen zum Prozedere getätigt haben. Deshalb sitzen sie heute neben Wöginger auf der Anklagebank.
Postenschacher kein Kavaliersdelikt
„Postenschacher ist ein verharmlosender Begriff. Es handelt sich hier um eine Spielart der Korruption, ähnlich wie bei der in Österreich bekannten Freunderlwirtschaft“, hält einer der beiden Staatsanwälte in seinem Eingangsplädoyer fest. „Es gab in diesem Zusammenhang schon eine Fülle von Ermittlungsverfahren, bisher aber keine Gerichtsverfahren. Aus gutem Grund, denn Absprachen finden im Geheimen statt“, erklärt er.
Dieses Mal soll es anders sein. Man habe so viel belastbares Beweismaterial wie noch nie zuvor: Die Chat-Nachrichten, einen Kronzeugen, die übergangene Kandidatin und ein Mitglied einer früheren Kommission, das aus zweifelhaften Gründen vor dem Hearing beim Finanzamt Braunau ausgetauscht wurde.
Wenig später nimmt die Causa eine überraschende Wende: Alle drei Angeklagten übernehmen Verantwortung für ihr Handeln, die Richterin bot daraufhin eine Diversion an – also die Möglichkeit, ein Strafverfahren nicht durch einen Schuld- oder Freispruch zu beenden, sondern durch eine alternative Maßnahme wie eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit. Die diversionelle Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Auch Wöginger übernimmt Verantwortung
Bereits am Montagabend wurde bekannt, dass die beiden Mitangeklagten Manhal und B. Verantwortung für ihr Handeln übernehmen würden. Am Dienstag schließt sich auch Wöginger an. „Ich sehe die Dinge heute ganz anders als damals vor neun Jahren. Hätte ich gewusst, welche Konsequenzen mein Handeln hat, würde ich das heute nicht mehr tun“, betont Wöginger vor Gericht.
Der ÖVP-Klubobmann erklärt, dass man vor 23 Jahren, als er Nationalratsabgeordneter wurde, „zu vielen Dingen noch einen anderen Zugang hatte“ – und auch vor neun Jahren sei das mitunter der Fall gewesen. „Ich würde das daher heute so nicht mehr machen. Aber ich übernehme heute Verantwortung für mein Handeln“, so Wöginger.
WKStA: „Absoluter Grenzfall“
Kurz danach ziehen sich die Staatsanwälte zu Beratungen zurück. Gegen 12:20 Uhr erklären sie, dass sie einer Diversion zustimmen. „Es gibt einiges, das zugunsten der Angeklagten ausfällt“, sagt einer der beiden Staatsanwälte. Die Tat liege bereits neun Jahre zurück. Einzelne Angeklagte wie Manhal hätten bereits Konsequenzen erfahren – er ist derzeit suspendiert und bezieht nur zwei Drittel seines Gehalts. Zudem hätten sich alle drei Angeklagten über Jahrzehnte nichts zu Schulden kommen lassen.
Auch die umfangreiche Medienberichterstattung seit Ermittlungsbeginn spricht laut Staatsanwaltschaft für eine Diversion. Dass es zur Hauptverhandlung kam und die drei auf der Anklagebank Platz nahmen, wirke ebenfalls präventiv. Und: Die übergangene Beamtin Christa Scharf habe nur einen geringen Vermögensschaden erlitten.
Die Staatsanwälte halten die Diversion in diesem Prozess zwar für „einen absoluten Grenzfall“, schließen sich aber dem Angebot der Richterin an.
Geldstrafen für alle drei Angeklagten
Um kurz vor halb zwei Uhr mittags verkündet das Schöffengericht seine Entscheidung. „Auch bei Amtsmissbrauch ist eine Diversion grundsätzlich möglich. Die Angeklagten haben Verantwortung für ihr Handeln übernommen, Einsicht gezeigt und betont, so etwas nie wieder zu machen“, erklärt die vorsitzende Berufsrichterin die Zustimmung des Schöffengerichts.
Die Angeklagten werden mit Geldstrafen belegt. „Es wurde der höchste Tagessatz herangezogen“, so die Richterin. August Wöginger muss demnach 44.000 Euro zahlen, Manhal 17.000 und B. 22.000 Euro. Zudem entrichten alle drei freiwillig je 500 Euro an die Geschädigte Christa Scharf.
Mit der Diversion werde „nichts bagatellisiert“, führt die Richterin aus. Die heutige Entscheidung zeige, „dass ein solches System des Postenschachers keinen Platz in unserer Rechtsordnung hat“. Und: „Jetzt steht jedenfalls erstmals fest, dass solche Postenbesetzungen nach unsachlichen Kriterien eine Anklageerhebung zur Folge haben können.“
Scharf: Diversion ist „Aufforderung, so weiterzumachen“
Diese Auffassung teilen jedoch nicht alle, die den ersten Prozesstag mit Spannung verfolgt haben. Christa Scharf, die übergangene Finanzbeamtin, auf deren Anzeige das Ermittlungsverfahren fußte, zeigt sich gegenüber profil bitter enttäuscht: „Da wird fast vier Jahre ermittelt und dann ist das binnen weniger Stunden mit einer Diversion erledigt?“
Dass eine Diversion hier generalpräventiv wirke, bezweifelt sie: „Das ist ja geradezu eine Aufforderung, so weiterzumachen wie bisher. Außerdem hat die WKStA in ihrer Anklageschrift begründet, dass sehr wohl Gründe gegen eine Diversion sprechen.“
Tatsächlich führt die WKStA im 135 Seiten starken Strafantrag sowohl jene Parameter an, die für eine Diversion erfüllt werden müssen, als auch Hindernisse, die dagegensprechen: „Angesichts der allgemeinen Wahrnehmung in der Bevölkerung und der Erfahrung mit Postenbesetzungen im öffentlichen Bereich, wonach parteipolitische Erwägungen dabei eine sehr große Rolle spielen, sprechen auch generalpräventive Gründe gegen ein diversionelles Vorgehen.“ Zahlreiche Entscheidungen der Bundes-Gleichbehandlungskommission und des Bundesverwaltungsgerichts hätten Diskriminierungen von Bewerberinnen und Bewerbern festgestellt.
Kein Widerspruch zum ÖVP-Ethikkodex
In puncto „Bürgeranliegen“ – darauf bezog sich Wöginger vor Prozessbeginn – sieht der ÖVP-Ethikkodex eigentlich einen sehr genauen Rahmen vor: „Funktionsträgerinnen und Funktionsträger sind für alle Bürger ansprechbar. Sie kümmern sich um Bürgeranliegen und bemühen sich um Lösungen. Dabei ist darauf zu achten, dass es nicht zu unzulässiger Einflussnahme, inhaltlicher oder zeitlicher Bevorzugung insbesondere gegenüber Dritten kommt.“
Konsequenzen hat Wöginger hier aber nicht zu befürchten, heißt es auf profil-Nachfrage vom ÖVP-Ethikrat. Denn, der Fall liege mittlerweile neun Jahre zurück und „die Mitglieder des VP-Ethikrates hatten vor über einem Jahr bereits eine ausführliche Aussprache mit Klubobmann Wöginger, in der er überzeugend seine Haltung und Motivation dargelegt hat - das heißt, der Ethikrat hat sich mit der Fragestellung bereits pro-aktiv auseinandergesetzt“, erklärt Waltraud Klasnic, Vorsitzende des ÖVP-Ethikrates.
Weniger milde zeigte sich der Ethikrat im November 2022, als Thomas Schmid ein umfangreiches Geständnis ablegte, das ihn zum Kronzeugen machte. Damals empfahl das Gremium, Schmid aus der Partei auszuschließen und eine Verschärfung der Gangart: „Eine solche Vorgangsweise hat jetzt und in Zukunft für alle vergleichbaren Fälle erwiesenen schweren Fehlverhaltens zu gelten.“
Dass die Causa innerhalb der Volkspartei erledigt ist, hält auch Parteichef und Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) in seiner Stellungnahme fest: „Dass August Wöginger den Gerichtssaal heute als unbescholtener Mann verlässt und das Strafverfahren damit beendet ist, freut mich nicht nur als sein Freund, sondern auch als Bundesparteiobmann der Volkspartei sehr“, wird er in einem Statement zitiert.
Kurz nach halb zwei Uhr nachmittags endet in Linz ein kurzer Prozesstag. Die dunklen Wolken über der ÖVP und August Wöginger haben sich gelichtet. Und auch in Linz ist der Regen mittlerweile weitergezogen.
Dieser Artikel wurde um 17:55 um eine Stellungnahme des ÖVP-Ethikrates ergänzt.