Auf dem Bild befinden sich Polizistinnen und Polizisten in Uniform

Postenschacher bei der Polizei: „Wie ein Staatsfeind behandelt“

Entscheidungen der Bundesgleichbehandlungskommission zeigen, wie im Innenministerium Posten nach Parteiloyalität vergeben werden. Politologe Ennser-Jedenastik schlägt abschreckende Maßnahmen vor – bis zur Neuausschreibung falsch besetzter Stellen.

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„Wenn du nicht mit den Wölfen mitheulst, bleibst über!“ – so beschrieb eine unterlegene Bewerberin für einen Führungsjob bei der Polizei das Prinzip der Postenvergabe. Diesen Satz äußerte die Beamtin gegenüber der Bundesgleichbehandlungskommission, im Laufe ihrer Karriere habe sie ihn mehrfach gehört. Der Fall, der anonymisiert online abrufbar ist, steht beispielhaft für das, was man hierzulande „Postenschacher“ nennt. Das Bewerbungsverfahren war offiziell noch nicht abgeschlossen und trotzdem stellte sich die Bewerberin bereits als neue Leiterin vor. Sogar das Türschild mit der neuen Funktionsbezeichnung hatte sie schon montiert. Siegessicher, könnte man meinen. Oder, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist, die Kandidatin aufgrund „politischer Seilschaften“ den Zuschlag bekam – so sieht es zumindest die Bundesgleichbehandlungskommission (B-GBK).

Die Kommission ist Anlaufstelle für alle, die sich beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst übergangen fühlen. Und der Fall aus dem April 2024 ist längst kein Einzelfall. Immer wieder zeigt sich: Im Innenministerium (BMI) spielt bei Postenbesetzungen nicht nur die Qualifikation eine Rolle – sondern auch der politische Stallgeruch.

Zurück zum eingangs beschriebenen Fall: Die unterlegene Kandidatin, die sich bei der Kommission beschwerte (im folgenden „A“ genannt; Anm.), brachte jahrelange Erfahrung aus genau jener Abteilung mit, in der die ausgeschriebene Stelle angesiedelt war. Sie kannte Strukturen und Abläufe bis ins Detail, hatte später auch in einem anderen Fachbereich gearbeitet. Da laut der Arbeitsplatzbeschreibung Fachkenntnisse mit 50 Prozent gewichtet waren, sei ihre Qualifikation für die Stelle klar erkennbar gewesen, hält die Kommission in ihrem Bescheid fest. Demgegenüber habe die Mitbewerberin (im folgenden „B“ genannt; Anm.) keinerlei Erfahrungen im Aufgabenbereich der Abteilung der ausgeschriebenen Stelle vorweisen können.

Netzwerk vor Qualifikation

Die Kommission stellte außerdem klar, dass A mit einem abgeschlossenen Masterstudium deutlich besser qualifiziert war. Sie brachte damit schon beim Eintritt in den Exekutivdienst relevantes Wissen mit und konnte dieses praktisch anwenden. Mitbewerberin B hatte lediglich eine Berufsreifeprüfung abgelegt, deren Nutzen für die Stelle begrenzt war, da unklar blieb, inwieweit sie das theoretische Wissen auch tatsächlich einsetzte. Insgesamt bewertet die Kommission die fachliche Eignung von A daher klar höher und kritisiert, dass die entsprechende Landespolizeidirektion (LPD) diese Qualifikationsunterschiede zugunsten von B vernachlässigt habe. Die Annahme der LPD, beide Bewerberinnen hätten vermutlich über gleiches Fachwissen verfügt, bewertete die Kommission deshalb als nicht nachvollziehbar. Und sie hält in ihrem Bescheid noch ein zentrales Detail fest.

Der Verdacht von A, „politische Seilschaften“ hätten bei der Postenbesetzung eine wesentliche Rolle gespielt, werde indirekt bestätigt: Denn B habe sich offenbar schon vor Ablauf der Bewerbungsfrist als Leiterin vorgestellt, „und auch ihre Nähe zur FCG (Fraktion Christlicher Gewerkschaft; Anm.) bzw. ÖVP sei nicht bestritten worden“, so die Kommission. A zog also den Kürzeren. Weil ihre Qualifikation heruntergespielt wurde und sie nicht wie B in den Kreisen der ÖVP-Polizeigewerkschaft vernetzt war.

Warum gerade das Innenministerium bei umstrittenen Postenvergaben besonders auffällt, erklärt Laurenz Ennser-Jedenastik, Professor für Österreichische Politik an der Universität Wien, mit einem strukturellen Vorteil: „Mit der Polizei verfügt das Ministerium über viele Stellen und zahlreiche Karrierestufen. Deswegen gibt es dort mehr Verfahren zur Besetzung von mittleren Leitungspositionen, wo dann solche politischen Kriterien relevant sind.“ In anderen Ministerien wie dem Bildungsressort sei zwar ebenfalls eine hohe Zahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, aber die Zahl der möglichen Aufstiegspositionen sei deutlich geringer, so der Experte.

Innenministerium: ÖVP Machtbasis

Eine zentrale Rolle bei der Postenschacherei im Innenministerium spielt die enge Bindung zwischen der ÖVP und dem wichtigen Sicherheitsressort: „Die ÖVP und das Innenministerium sind ein spezieller Fall. Das ist nicht vergleichbar mit dem, was unter derselben Partei in anderen Ressorts oder anderen Parteien in anderen Ressorts passiert.“ Für die Volkspartei sei das Ressort von strategischer Bedeutung, mit Ausnahme von Herbert Kickl (FPÖ; 2017-2019) und den Intermezzos der beiden unabhängigen Kandidaten Eckart Ratz und Wolfgang Peschorn (2019) ist das BMI seit 25 Jahren in der Hand der Volkspartei. Das spiegle sich auch in der Personalpolitik wider: „Die Innenminister der letzten Jahrzehnte waren sehr fleißig beim Besetzen nach ihren parteipolitischen Vorstellungen, fleißiger als die Minister und Ministerinnen der anderen Ressorts“, sagt Ennser-Jedenastik zu profil.

Wie stark verbreitet das Phänomen im Innenministerium ist, zeigt eine profil-Auswertung aus dem Vorjahr: 175 Bewerber für öffentliche Jobs sahen sich in den Jahren 2006 bis 2023 aufgrund ihrer Weltanschauung am beruflichen Aufstieg behindert – und wandten sich an die Kommission. Bei 65 Polizeibeamten stellte die Gleichbehandlungskommission eine Diskriminierung fest, weil sie das falsche oder gar kein Parteibuch hatten. In zehn weiteren Fällen konnte eine solche Benachteiligung nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Seit der Auswertung im Vorjahr gesellten sich sechs weitere Anträge mit Diskriminierungsgrund „Weltanschauung“ hinzu, vier Fällen wurde stattgegeben. Einer dieser Fälle spielte sich im Justizministerium ab. Die restlichen drei im Innenministerium: zwei davon bei der Polizei; einmal ging es um eine Bewerbung eines langjährigen Polizisten für einen Job als Abteilungsleiter direkt im Ministerium.

Ein Mitgrund für die Postenschacherei im Innenministerium ist laut Ennser-Jedenastik auch in der Rolle der Personalvertretungen in den Besetzungskommissionen auszumachen. In Österreich sind diese über die politisch gefärbte Personalvertretung – die ein Wörtchen mitzureden hat – besonders stark politisiert, was die parteipolitische Einflussnahme weiter verstärkt; anders als in vielen anderen Ländern. „Dass dort Personalvertretungswahlen so ganz klar auf parteipolitisch definierten Listen stattfinden, ist eher die Ausnahme“, erklärt Ennser-Jedenastik. „Das ist ein österreichisches Spezifikum.“ In anderen Ländern gebe es zwar ebenfalls Personalvertretungen oder Betriebsräte, „aber die Listen sind nicht eindeutig politisch verortbar“, so der Experte.

Postenschacherei: abschreckend und demotivierend

Die parteipolitische Einflussnahme habe auch Auswirkungen auf die Motivation innerhalb des öffentlichen Dienstes. „Das ist etwas, was man recht viel von Leuten im öffentlichen Sektor hört – dass sie eine gewisse Frustration haben, weil sie das Gefühl haben, ohne eine politische Protektion ist jeder Aufstieg ungleich schwerer“, so Ennser-Jedenastik. Das könne nicht nur bestehende Mitarbeiter entmutigen, sondern auch potenzielle Bewerber abschrecken: „Das ist etwas, was Leute dazu bewegt, aus dem öffentlichen Dienst rauszugehen oder dann gar nicht erst groß versuchen, den nächsten Karriereschritt zu machen.“

Seither werde sie in ihrer Abteilung wie ein Staatsfeind behandelt, von manchen Personen werde sie nicht einmal mehr gegrüßt.

Auszug aus dem Bescheid der Bundesgleichbehandlungskommission

Was passiert, wenn man sich gegen dieses System der politischen Postenprotektion stellt, gab Kandidatin A vor der Gleichbehandlungskommission zu Protokoll: Sie werde seither in ihrer Abteilung wie ein Staatsfeind behandelt „von manchen Personen werde sie nicht einmal mehr gegrüßt“, steht im Schreiben der Bundesgleichbehandlungskommission.

Mehr Kontrolle, mehr Transparenz

Für die Begünstigten hat eine solche Postenschieberei in der Regel keine negativen Folgen. Unter Umständen aber für jene, die eine Person protegiert haben: so wie im Falle des ÖVP-Klubobmanns August Wöginger. Er soll interveniert haben, einen Parteifreund in eine Leitungsposition des Finanzamtes Braunau zu hieven. Wöginger selbst bestreitet den Vorwurf, für ihn und alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Ein Urteil hätte Signalwirkung, sind sich Expertinnen und Experten einig. Denn bisher haben all jene, die von Postenschacher profitieren, nichts zu befürchten. Für übergangene Bewerberinnen und Bewerber bleibt am Ende lediglich Schadensersatz zu fordern – für das Gehalt, das ihnen durch die Nichtbesetzung entgangen ist.

Einen Umstand, den auch ein Hinweisgeber in einen anonymen Brief, der profil im Jahr 2024 erreicht, anspricht: „Es ist ihnen völlig egal, was die Kommission feststellt und auch wie viel Geld nachbezahlt werden muss, es kommt ja nicht aus ihren Taschen sondern aus den des Steuerzahlers.“ 

Auch Ennser-Jedenastik sieht das ähnlich, ein zentrales Problem sei der fehlende Preis für parteipolitisch motivierte Postenvergabe: „Ich glaube, wir müssen eine abschreckende Wirkung entfalten, mit den Maßnahmen, die man dagegen treffen kann. Wenn ich momentan Postenschacherei betreibe – als Spitzenbeamter oder als Politiker – habe ich davon kaum einen Nachteil.“

Aber nicht nur jene, die Einfluss nehmen, müssten Verantwortung tragen, sondern auch die Begünstigten: „Es müssen auch die Profiteure, die diese Jobs kriegen, das Risiko tragen, dass die Stelle neu ausgeschrieben wird, wenn ihre Besetzung nicht konform war.“ Konkret schlägt Ennser-Jedenastik vor, externe Mitglieder in Besetzungskommissionen einzubinden und eine zentrale Datenbank für alle Personalentscheidungen zu schaffen. Zudem sollten Mitglieder, die wiederholt diskriminierende oder rechtlich bedenkliche Personalentscheidungen treffen, künftig ausgeschlossen werden können.

Maßnahmen, die dazu beitragen könnten, dass man künftig vielleicht nicht mehr „mit den Wölfen mitheulen“ muss – und trotzdem nicht überbleibt.

Simon Doering

ist Volontär bei profil.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.