Diese Belege beweisen Postenschacher im Innenministerium

Die FPÖ prangert Postenschacher im ÖVP-geführten Innenministerium an - und liegt damit richtig. Sie vergisst dabei allerdings, dass auch unter Ex-Minister Herbert Kickl geschachert wurde. Eine Auswertung von profil zeigt das Ausmaß der Schieberei.

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„Als die ÖVP das Innenministerium wieder unter ihre Kontrolle gebracht hatte, blühte der schwarze Postenschacher erneut auf!“

Christian Hafenecker (FPÖ)

in einer Aussendung des FPÖ-Parlamentsklubs am 11.4.2024

Fakt

Im Innenministerium soll seit Jahrzehnten ein ungeschriebenes Gesetz gelten: Kennen geht vor Können, ist zu hören. Bei Postenbesetzungen würden sich nicht immer die durchsetzen, die am besten qualifiziert sind - sondern die, die am besten vernetzt sind.

Das behaupten derzeit mehrere Parteien, darunter FPÖ und Neos, die dem ÖVP-geführten Innenministerium ein System aus „Postenschacher“ oder gar wörtlich „Postenkorruption“ unterstellen.

Solche Vorwürfe gibt es immer wieder, jede Regierungspartei ist damit konfrontiert. Die Frage ist nun: Sind das bloß die üblichen Unterstellungen der Opposition oder lässt sich die sogenannte Ämterpatronage - also die Bevorzugung von Parteifreunden bei öffentlichen Jobs - im Innenministerium auch faktisch nachweisen?

profil hat mehr als 100 Bescheide der Bundes-Gleichbehandlungskommission zu Besetzungen ausgewertet. An diese Stelle im Bundeskanzleramt können sich Bewerber wenden, wenn sie der Meinung sind, dass sie bei einer Besetzung im Staatsdienst übergangen wurden; zum Beispiel aus weltanschaulichen (gemeint: parteipolitischen) Gründen.

Das Ergebnis der Auswertung ist eindeutig: Nirgendwo sonst im öffentlichen Dienst ist das System der parteipolitisch motivierten Ämterpatronage so verbreitet wie im Innenministerium. 

175 Bewerber für öffentliche Jobs sahen sich in den Jahren 2006 bis 2023 aufgrund ihrer Weltanschauung am beruflichen Aufstieg behindert – und wandten sich an die Kommission. 70 Prozent der Fälle - in Summe 124 - entfallen auf das Innenministerium. Bei 65 Polizeibeamten stellte die Gleichbehandlungskommission eine Diskriminierung fest, weil sie das falsche oder gar kein Parteibuch hatten. In zehn weiteren Fällen konnte eine solche Benachteiligung nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Wie in folgender Passage aus dem März 2023: „Mangels Nachweises eines sachlich nachvollziehbaren Motivs für die Entscheidung zu Gunsten des der ÖVP zurechenbaren Bewerbers seitens des Dienstgebers kam der Senat auf Grund der Beweislastverteilung zu dem Ergebnis, dass parteipolitische Motive zumindest mitentscheidend waren.“ Auch finden sich Fälle, bei denen sich zwischen zwei für ähnlich gut befundene Bewerber die Person mit  Person ÖVP-Hintergrund durchsetzt. Wie in diesem Fall aus dem April 2016: „B sei der ÖVP-Fraktion zuzuordnen. Eine Widerlegung dieser Behauptung erfolgte durch die Dienstbehörde weder in ihrer Stellungnahme noch in der Sitzung der Kommission.“

Dass die Schriftstücke der Gleichbehandlungskommission mit den Worten „sachfremde Motive waren ausschlaggebend. (…) Der Verdacht des Antragstellers konnte von der Dienstgeberseite nicht mit Sachargumenten entkräftet werden“ enden, ist keine Seltenheit. In mehr als jedem zweiten der insgesamt 124 Anträge stellt die Kommission eine Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung fest.

Doch während die Identitäten in den Bescheiden der Gleichbehandlungskommission anonym bleiben, gibt es auch andere Fälle, in denen Namen und Funktion bekannt sind. Im Jahr 2020 wurde die Leitung der Flugpolizei neu besetzt. Bekommen hat den Job der Spitzenpolizist Christian Stella. Von Jänner 2009 bis August 2013 war Stella Kabinettsmitarbeiter der beiden ÖVP-Innenministerinnen Maria Fekter und Johanna Mikl-Leitner. Und: Stella war nicht der einzige Bewerber um den Job als Flugpolizeichef. Bettina Bogner, Abteilungsleiterin im Verkehrsministerium, hat sich ebenfalls beworben – aber keine Chance bekommen, sich in einem Hearing zu präsentieren.

Auch in diesem Fall sieht die Gleichbehandlungskommission eine Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung. Denn: Bogner war bei der SPÖ und bei „Die Weißen“ von Roland Düringer aktiv. Stellas Nähe zur ÖVP hingegen hat zu keinen Problemen geführt, unter Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kehrte Stella im Oktober 2022 als Kabinettschef ins Innenministerium zurück. Den Posten hat Stella bis heute inne.

Es gibt noch viele weitere Fälle, die den Rahmen dieses Faktenchecks sprengen würden.

Postenschacher kostet halbe Million Euro

Das Ausmaß der Schacherei wird jedenfalls auch an einer Zahl deutlich: Den unterlegenen Kandidaten wurde zwischen 2011 und 2023 eine halbe Million Euro an Entschädigungszahlungen zugesprochen - den Job, auf den sie sich beworben hatten, bekamen sie trotzdem nicht. Diese Zahlen hat Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper mittels einer parlamentarischen Anfrage herausgefunden. 

Wie aber erklärt man sich im Innenministerium, dass 124 von 175 Anträgen in puncto weltanschaulicher Diskriminierung auf das BMI entfallen und in 65 Fällen stattgegeben wurden? Die genannten Zahlen ergeben ein „falsches Bild“, heißt es auf profil-Nachfrage: „Fakt ist, dass das BMI mit über 39.000 Mitarbeiter:innen eines der personalstärksten Ressorts Österreichs darstellt.“

Ein schwaches Argument: Auf die Quantität der Posten allein ist die statistische Anfälligkeit freilich nicht zurückzuführen, das Bildungsministerium hat österreichweit mehr Stellen zu besetzen und hält im selben Zeitraum bei acht Anträgen wegen Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung.

Die von der Gleichbehandlungskommission bearbeiteten Fälle sind allerdings nur „die Spitze des Eisbergs“, merkt der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik an, der seit Jahren zu parteipolitisch motivierten Besetzungen forscht. Denn die Fälle jener Betroffenen, die sich aus Angst vor Konsequenzen für die weitere berufliche Karriere zurückhalten, landen niemals vor der Kommission.

„Die Struktur des Innenministeriums geht sehr weit ins Regionale. Dort ist die politische ‚Interventionitis‘ besonders stark ausgeprägt. Der Bürgermeister hat immer einen Kandidaten für die Polizeiinspektion.“

Manfred Matzka

langjähriger Präsidialchef des Bundeskanzleramtes und Proponent der Initiative „Bessere Verwaltung“

Methoden des Postenschachers professionalisiert

Warum wird also ausgerechnet im Innenministerium so massiv geschachert?

Manfred Matzka, langjähriger Präsidialchef des Bundeskanzleramtes, Kanzlerberater und Proponent der Initiative „Bessere Verwaltung“ hat dafür drei Erklärungsansätze: „Die Struktur des Innenministeriums geht sehr weit ins Regionale. Dort ist die politische ‚Interventionitis‘ besonders stark ausgeprägt. Der Bürgermeister hat immer einen Kandidaten für die Polizeiinspektion.“

Außerdem sei die Einstiegsbarriere in den Polizeidienst niedrig.

Und drittens stünde das BMI seit 1945 „immer schon sehr stark unter personalpolitischen Machtansprüchen“. Erst von den Sozialdemokraten, dann der Volkspartei und kurzzeitig auch den Freiheitlichen.

„Postenschacher [hat es während der Amtszeit Herbert Kickls] auch nur im Zusammenhang mit der ÖVP gegeben.”

Christian Hafenecker (FPÖ)

in einer Aussendung des FPÖ-Parlamentsklubs am 11.4.2024

Falsch

Wäre FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht selbst Innenminister gewesen, würde er die Zustände in seinem Ex-Ressort vielleicht mit einem Reim beschreiben: Willst du einen Posten haben, musst du die richtige Farbe tragen.

Während der eineinhalbjährigen Amtszeit Kickls war ein Blaustich für das berufliche Fortkommen durchaus förderlich.

Aus dem Innersten des Innenressorts wurden profil mehrere Fälle von blauem Postenschacher zugetragen. Ein Fall spielt im steirischen Landeskriminalamt (LKA). Die Geschichte, wie der blaue Bezirksparteifunktionär und Gemeinderat G. mit der Gruppenleitung für den Bereich Menschenhandel und Schlepperei bedacht wurde, geht so: Posten wie dieser sind an sich Sache der Landespolizeidirektion. Wenn sich allerdings ein Beamter aus einem anderen Bundesland bewirbt, wandert der Akt nach Wien ins Ministerium.

Berichten aus dem Polizeiapparat zufolge komme es immer wieder vor, dass sich Strohmänner aus anderen Bundesländern im Auftrag der Partei des Ministers bewerben, die den Job gar nicht wollen – so sei es auch in diesem Fall gelaufen.

Der Akt schlug also im Ministerium auf, wo die schwarzen und roten Personalvertreter mehrheitlich gegen den von der Personalabteilung ins Rennen geschickten G. stimmten – ein entsprechendes Schriftstück liegt profil vor. Stattdessen favorisierten sie einen anderen Bewerber. Für den Fall, dass Personalabteilung und Personalvertreter sich nicht einigen können, hat das letzte Wort der Innenminister selbst – Kickl. Er drückte seinen blauen Parteifreund im Mai 2018 durch.

Die Rechnung dürfen nun die Steuerzahler begleichen: Der unterlegene Kandidat, politisch eindeutig der sozialdemokratischen Fraktion zuzurechnen, bekam vor der Bundes-Gleichbehandlungskommission recht.

Nach dem gleichen Schema lief die Besetzung der Polizeiinspektion im steirischen Grenzort Spielfeld. Wieder fiel die Wahl auf einen steirischen FPÖ-Bezirksparteifunktionär, diesmal aus Leibnitz. In diesem Fall ist profil keine Beschwerde von anderen Bewerbern bekannt.

In den Genuss der Kickl‘schen Karriereförderung kamen aber nicht nur kleine Landespolizisten, der Ressortchef hatte auch bei der Besetzung von Abteilungsleitern im Ministerium in der Wiener Herrengasse seine Finger im Spiel.

profil liegt das Gutachten der Personalkommission für die Leitung der Abteilung III/A/6 vor – sie überwacht Waffen, Vereine und die Statuten der politischen Parteien. Und siehe da: Beim Besetzungsvorgang ist eine blaue Handschrift erkennbar. Sechs Personen hatten sich im Frühjahr 2018 für den Posten beworben. Zwei von ihnen waren aus Sicht der Kommission „in höchstem Maß“ geeignet. Der eine war der interimistische Leiter der Abteilung.

Geworden ist es trotzdem ein anderer: Der FPÖ-nahe Anwalt Bernhard M., der sich als Externer beworben hatte.

Auf acht Seiten führte die Personalkommission ihr Urteil aus. Drei handschriftliche Zeilen auf dem Deckblatt drehten es um: „Es wird ersucht Mag. Bernhard M. mit der Funktion zu betrauen, da er in hohem Ausmaß externe Erfahrungen einbringen kann“, erklärte der damalige Generalsekretär und Kickl-Vertraute Peter Goldgruber „für den Bundesminister“ – also für Kickl.

Was sagt Hafenecker dazu? Auf profil-Anfrage reagiert der FPÖ-Parlamentsklub so: Bewerber M. sei von der Personalkommission - wie auch der unterlegene Kandidat - für „in höchstem Maß“ geeignet befunden worden. Es gebe keine „Verpflichtung“ für den Minister, der „Empfehlung“ der Personalkommission zu folgen.

Es kommt auf den Einzelfall an

Trotz vieler evidenter Postenschacher-Fälle lohnt es sich, jede Causa einzeln zu überprüfen. ÖVP-Abgeordneter Andreas Hanger warf dem heutigen FPÖ-Landesrat aus Niederösterreich, Christoph Luisser, vor einer Woche vor, er sei in Kickls Innenressort nach oben geschoben worden. Nach einer Klagsdrohung Luissers sagt Hanger nun, dass die Bestellung formal in Ordnung gewesen sein mag, er ortet aber dennoch Auffälligkeiten. Geeignetere Personen seien unter Druck gesetzt worden, sich nicht zu bewerben. Belege dafür liegen profil allerdings nicht vor.

Fazit

Parteipolitische Postenbesetzungen sind im Innenministerium in großer Zahl nachweisbar, die FPÖ liegt richtig, dass diese Unsitte auch und vor allem unter ÖVP-Ressortchefs betrieben wurde und wird. Allerdings hat die freiheitliche Kritik einen Schwachpunkt: Auch unter Innenminister Kickl kam es zur Ämterpatronage. Mehrere blaue oder FPÖ-nahe Kandidaten kamen während seiner Amtszeit zum Zug. Und zwar erwiesenermaßen auch dann, wenn es besser geeignete Bewerber gab. Die blauen Freunde setzten sich teils auch gegen den Widerstand der ÖVP-dominierten Personalvertreter durch.

Richtigstellung

In einer früheren Version des Textes stand, dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Oktober 2022 Innenminster gewesen ist. Nehammer ist seit Dezember 2021 Bundeskanzler, zum Zeitpunkt, als Christian Stella als Kabinettschef ins BMI zurückkehrte, war bereits Gerhard Karner (ÖVP) Innenminister.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im profil-Digitalteam. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.