profil-Morgenpost: Geburtstage und Tortensprünge

Guten Morgen!

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Wenn Du über 50 bist und Dir beim Aufwachen nichts wehtut, dann bist Du wahrscheinlich schon im Himmel, pflegte der erste Hausarzt meines Lebens zu sagen; aber der Mann hatte noch den Zweiten Weltkrieg durchgemacht, seine Einschätzung galt für die 50-Jährigen vor 50 Jahren (schauen Sie sich doch einfach wieder einmal Tante Fritzi und Onkel Albert in einem der alten Fotoalben an, die Sie wahrscheinlich noch haben, wenn Sie keine 30 mehr sind), und jetzt ist ja alles anders.

Ich will Sie nicht mit der Banalbehauptung quälen, dass 50 inzwischen das neue 40 ist (schauen Sie sich einfach mal zum Vergleich die heute 40-Jährigen an, die sich längst als die neue 30-er betrachten, weil: wer will schon aussehen wie ein 50-Jähriger, der einen auf 40 macht? Dieser Verdrängungswettbewerb der Alterskohorten endet erst bei den 20-Jährigen, die aus verständlichen Gründen nicht als die Zehnjährigen von heute gelten wollen). Aber wenn profil heuer seinen 50. Geburtstag feiert, empfinden wir alle – vor allem diejenigen in der Redaktion, die das für sich persönlich schon hinter sich haben (und, ja: es tut schon ein bisschen weh) – das, was wir jede Woche in Heft- und Webform produzieren, einigermaßen jünger. Das fängt schon bei Herausgeber Christian Rainer an, der seinen Leitartikel diesmal einer Vorschau auf die Feierlichkeiten widmet, und gleichzeitig am Titelblatt bei einer Tätigkeit zu sehen ist, die früher eher 25-Jährigen zugetraut worden wäre – dem Beturnen eines Klettersteigs.

Als profil ungefähr 25 war, erschien es mit einem Cover, das eher einem redaktionellen Reifegrad von 15 entsprochen hätte. Die Schlagzeile lautete „Des Kanzlers neue Kleider“, illustriert wurde sie mit einer Fotomontage: Der Kopf des damaligen Bundeskanzlers und SPÖ-Vorsitzenden Franz Vranitzky war dem unbekleideten Körper eines eher stattlichen profil-Kollegen aufgesetzt worden.

Vranitzky war alles andere als erbaut. Er war sogar ziemlich sauer, erzählt er im Interview mit Christa Zöchling. Das ist insofern interessant, als das Gespräch in der gleichen Woche geführt wurde, in der eine Karikatur in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ für Empörung in der progressiven Öffentlichkeit und darüber hinaus sorgte. Die Zeichnung zeigt Rendi-Wagner – die SPÖ-Vorsitzende von heute –, die sehr leicht bekleidet aus einer Torte springt (ein beliebter Filmgag aus der Zeit, in der 60-Jährige noch aussahen wie die 80-Jährigen von heute), die auf einer Schachtel mit der Aufschrift „Kraftpaket“ steht. In der Hand hält sie ein Schild mit dem Wort „Forderungen“.

Das ist alles Mögliche (außer besonders lustig), aber dann auch wieder weniger, als das, was Franz Vranitzky von profil zugemutet wurde. Die Fotomontage sorgte damals übrigens auch für allgemeine Empörung der progressiven Öffentlichkeit und darüber hinaus – allerdings nicht wegen der (auch nicht wirklich lustigen) Darstellung des nackten Kanzlers, sondern in erster Linie, weil der profil-Herausgeber deshalb von den profil-Eigentümern einigermaßen Druck bekam und etwas später als Anlass genommen wurde, um ihn zu entfernen.

„Ich war persönlich schon sehr betreten, auch verblüfft darüber, dass jemandem so ein Unfug einfallen konnte. Ich habe mich mit meinem sozialdemokratischen Regierungsteam besprochen, und die meisten meinten: „Am nächsten Montag kommt ein neues profil. Vergessen wir das einfach!“ Ich selbst konnte das nicht so schnell vergessen, doch nach zwei, drei Wochen haben wir es gemeinsam weggelacht“, sagt Vranitzky heute.

Die 50-er von damals sind die 70-er von heute. Aber manchmal könnte man bei allem Respekt für die neue Achtsamkeit meinen, sie seien jünger vor als viele der derzeitigen 30-er und 40-er.

Einen jugendlichen Dienstag wünsche ich Ihnen!

Martin Staudinger

 

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