Das Handy von Thomas Schmid
profil-Morgenpost

"Sounds like fun"

Über Huren, Heilige und Narzissmusfeste.

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Eigentlich sollte ich Ihnen zum post-weihnachtlichem Kaffee Besinnlichkeit und Optimismus servieren, nur hält sich die Republik nicht an den Festtagskalender.

Unser Investigativ-Duo Michael Nikbakhsh und Stefan Melichar musste den wohl verdienten Weihnachtsurlaub frühzeitig unterbrechen: Die Online-Serie "All about Schmid oder Abgrund in Türkis" ging just zu jenem Zeitpunkt, wo man sich Dinge überlegte, wie ob man den Zoom-Punsch mit der impfskeptischen Tante friedlich über die Bühne bringen kann, in Fortsetzung. Und wurde "einmal mehr zur Goldgrube für die Staatsanwaltschaft", wie die Online-Plattform "oe24" auf Berufung von profil-Recherchen vermeldete, was angesichts der Tatsache, dass "Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner in der ersten Folge der Schmid-Soap noir mit dem Untertitel "Die Inseratenaffäre" durchaus keine Nebenrolle spielte, nicht unkomisch ist.

"Du bist die Hure für die Reichen"

Das Nugget aus der Chat-Goldgrube war diesmal ein SMS-Verkehr aus dem Jahr 2017 zwischen dem wohlbekannten Herrn Schmid, damals Generalsekretär des ÖVP-regierten Finanzministeriums unter Hans Jörg Schelling, dem in Steuerschulden-stehenden Selfmade-Milliardär Siegfried Wolf und diversen Mitarbeitern des Finanzministeriums, u. a. einer Beamtin, der im Gegenzug zu einer gewissen Situationselastizität und einer damit verbundenen Milde gegenüber Wolf eine bessere Stellung in einem anderen Finanzamt zugesagt worden war. Der eilig eingetippte Marschbefehl seitens Schmids an einen etwas verunsicherten Mitarbeiter lautete "Vergiss nicht – du hackelst in einem ÖVP-Kabinett!! Du bist die Hure für dich reichen". Gemeint war wohl "Du bist die Hure für die Reichen", eine Anmerkung, die in die Hitparade der Goldgruben-Sätze 2021 wohl neben "Kriegst eh alles was du willst", "Ich liebe meinen Kanzler", "Elli, es ist vorbei!" einen vorderen Rang bekleiden sollte.

Das Hure-versus-Heilige-Frauenbild geht übrigens schon auf Sigmund Freud zurück. Laut dem Begründer der Psychoanalyse war der bürgerliche Mann der heiligen Ehefrau zwar "in zärtlicher Liebe zugetan", musste dabei aber mit "psychischer Impotenz” rechnen. Befriedigung erlangte er "bei jenen Frauen, die der Heiligen durch die Erniedrigung zur Hure weitestmöglich entgegen gesetzt sind." Transponiert auf die Schmid-Soap könnte man die Heilige als Allegorie für Moral und Anstand und die Hure als Sinnbild für Korruption und Verkommenheit gleich setzen. Im Höhenrausch des Gefühls, Mitglied eines Geheimzirkels zu sein, kann einem Mitarbeiter im Finanzministerium schon, wie in den neuen Protokollen nachzulesen ist, ein "Sounds like fun" entgleiten.

Christa Zöchling zitiert in ihrem Essay "Verlorene Illusionen" (der Titel eines Balzac-Romans könnte auch als Motto für 2021 gelten) zum Verhältnis Macht und Medien den gefallenen FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache der im Film des Jahres 2019 "Ibiza" Journalisten als "die größten Huren" bezeichnet. Dank dieser Art von Huren war er zu Fall gekommen. Und nicht nur er.

Unser XX-Large-Heft, in liebevollem Detailreichtum von Sebastian Hofer gestaltet, setzt sich neben ausführlichen Interviews mit dem Philosophen Konrad Paul Liessmann und dem Impf-Experten Herwig Kollaritsch in aufwändigen Essays mit Kategorien wie Moral, Anstand, Dummheit, Freiheit, sowie der gedanklich nivellierenden Wirkung von TikTok und dem Pandemie-bedingten Bankrott des Populismus auseinander.

Idealer Lesestoff, um sich geistig für das Challenge-Programm 2022 zu wappnen.

Die höhere Dummheit

Neben der Lektüre unseres Hefts empfehle ich wärmstens das Reclam-Bändchen mit Robers Musils legendärem Wiener Vortrag "Über die Dummheit", den er für den "Österreichischen Werkbund" im März 1937 hielt.

Große Passagen dieses Textes lassen sich nahtlos über die Gegenwart stülpen: Dummheit ist für Musil nicht "bloß oder vornehmlich ein Mangel an Verstand". In der "höheren Dummheit"  sieht er eine "Bildungskrankheit": Diese Krankheit sei aus den Zutaten "Unbildung, Fehlbildung, falsch zustande gekommene Bildung und einem Missverhältnis zwischen Stoff und Kraft der Bildung" zu einem toxischen Cocktail vermischt. Die Hybris könnte man vielleicht aus heutiger Sicht noch hinzufügen, denn die viel zitierten Chatprotokolle aus der Schmid-Blase zeigen nicht zuletzt auch, dass gegenüber Eitelkeit und Narzissmus die Intelligenz oft mit leeren Händen dasteht. 

In der Hoffnung Ihnen nicht die Feiertagsstimmung verdorben zu haben, verbleibe ich mit unverdrossen optimistischen Grüßen

Ihre Angelika Hager

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Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort