Ohne die FPÖ soll sich keine Zweierkoalition ausgehen, wünscht sich deren Chef Herbert Kickl.
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Radikal geplant: Wie Herbert Kickl ins Kanzleramt ziehen möchte

Arbeitsgruppen, Personalpläne: Die FPÖ bereitet sich auf eine potenzielle Regierungsbeteiligung vor - um nicht wieder zu scheitern. Unter Herbert Kickl rücken die Freiheitlichen weiter nach rechts.

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Herbert Kickl kann auch leise. Als seine freiheitlichen Kollegen in Niederösterreich und Salzburg ihre Koalitionsprogramme verhandelten, hielt sich der FPÖ-Chef zurück. Laute Zwischenrufe aus Wien konnten nur stören. Erst jetzt meldet er sich zu Wort: „Die Regierungsbeteiligung in Salzburg und die Koalition mit der ÖVP in Niederösterreich widerlegen alle Experten, die behaupten, die Freiheitlichen würden nur kritisieren und sich scheuen, politische Verantwortung zu übernehmen.“

Einen Seitenhieb auf Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer, der eine Zusammenarbeit mit der FPÖ im Wahlkampf so gut wie ausschloss, kann sich Kickl im profil-Interview nicht verkneifen: „Ich war es nicht, der umgefallen ist.“ In der aktuellen profil-Umfrage ist die FPÖ mit 30 Prozent klare Nummer eins. Ausgerechnet Kickl ließ die Freiheitlichen wieder erstarken: Nicht einmal seine eigene Partei hätte ihm das zugetraut. Zu radikal, zu laut, der rabiate Anti-Corona-Kurs ein Minderheitenprogramm, hieß es zu Beginn. Heute geben interne Kritiker zu, ihn unterschätzt zu haben. Die erste große Hürde, die Einigung der Partei, hat Kickl also geschafft. Nun nimmt er Anlauf auf das Bundeskanzleramt.

Mit der FPÖ will man nicht koalieren, man muss wohl.

Markus Abwerzger

ist Tiroler FPÖ-Chef und glaubt, dass bei keiner anderen Partei Freude über einen blauen Partner aufkommt.

Kickl weiß, dass akribische Vorbereitung für eine spätere Regierungsbeteiligung notwendig ist. Auf seinem Weg zum „Volkskanzler“, wie er sich nennt, will er Fehler der Vergangenheit vermeiden. Zum Beispiel, thematisch nicht breit genug aufgestellt zu sein. Derzeit kommen die Freiheitlichen in Kleingruppen zusammen, um ihr Programm für die Nationalratswahl zu entwickeln. Im Parlamentsklub erarbeitet man Positionen zur Landesverteidigung und zur heimischen Rüstungsindustrie. In Linz traf sich vergangenen Freitag die Neigungsgruppe Verkehr, darunter Oberösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner, Bereichssprecher Christian Hafenecker und der niederösterreichische Landesrat Udo Landbauer.

In der Vergangenheit mangelte es den Freiheitlichen stets an geeignetem Personal, auch bei der Besetzung der Minister-Kabinette. Arnold Schiefer könnte Abhilfe schaffen. Der scheidende ÖBB-
Finanzvorstand war Kabinettsmitarbeiter diverser FPÖ-Minister. Bei den türkis-blauen Koalitionsgesprächen verhandelte er seinerzeit für die FPÖ den Verkehrsbereich. Nun soll er helfen, diskret eine abermalige Regierungsbeteiligung der FPÖ vorzubereiten, vor allem in personeller Hinsicht. Auf profil-Anfrage sagt Schiefer, es gebe in der FPÖ mittlerweile „genug Schwarmintelligenz“, um Posten zu besetzen. Als weitere wichtige Kickl-Berater, die eine Regierungsbeteiligung vorbereiten würden, gelten FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth und der Wiener Nationalratsabgeordnete Harald Stefan.

Führen durch Zulassen

Als die FPÖ im Sommer 2021 Kickl mit leichtem Bauchweh und schwachen 88 Prozent zu ihrem Obmann wählte, versprach er dem skeptischen Teil der Delegierten: Sein Stil sei „Führen durch Zulassen“. Wer seine harschen Sager und seine grenzwertigen Positionen nicht vertreten wolle, der müsse das nicht. Die Botschaft war vor allem an die Kickl-kritischen Oberösterreicher und Wiener gerichtet.

Kickl lässt also zu, bleibt eine Weile ruhig, meldet sich dann aber besonders laut zurück. „Ich habe schon ein bisserl Entzugserscheinungen gehabt“, sagte er vergangene Woche bei einer Pressekonferenz, bevor er zum gewohnten Rundumschlag auf alle anderen Parteien ausholte. Noch bevor der Wahltermin steht, geben sich die Blauen siegessicher – wie der
Tiroler Landesparteichef Markus Abwerzger: „Mit der FPÖ will man nicht koalieren, man muss wohl.“

Erklärtes blaues Ziel ist es, Stimmen aus dem Nichtwähler-Spektrum zu gewinnen. Regelmäßig wiederkehrende Affären können den blauen Erfolgslauf nicht stoppen. So ist die Grazer Stadtpartei jüngst an einem Finanzskandal zerbrochen. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt – es gilt die Unschuldsvermutung – ermittelt wegen des Verdachts des Förderungsmissbrauchs, der Veruntreuung und der Untreue, auch gegen Ex-Vizebürgermeister Mario Eustacchio und den früheren Verteidigungsminister und FPÖ-Landesparteiobmann Mario Kunasek. Ehemalige FPÖ-Gemeinderäte stellen sich gegen die Partei. Für Kickl gilt auch hier: „Führen durch Zulassen“. Die Bundespartei mischt sich in die Grazer Angelegenheit nur ein, wenn sie muss, und hofft, das Chaos weitgehend ignorieren zu können. Die Komplexität der Vorwürfe hilft den Freiheitlichen dabei. In Wien sorgten vergangenen Sommer Ermittlungen gegen den früheren Kickl-Vertrauten und Ex-FPÖ-Abgeordneten Hans-Jörg Jenewein für Unruhe in der Partei. Nach außen geben sich die Freiheitlichen aber geschlossen.

PK FPÖ NACH SELENSKYJ-REDE: KICKL

Für den Tiroler Abwerzger ist – ausgerechnet – das heikle Thema Corona einer der Gründe für die blaue Einigkeit: „Es gibt jetzt unglaubliche Ruhe innerhalb der Partei.“ Kickls Linie habe die innerparteilichen Konflikte überdeckt. Abwerzger: „Wir haben eine Gegenposition eingenommen, die es sonst in der Politik nicht gegeben hat.“ Dann hätte es Wahlerfolge
gegeben, „und auch die tragen zur Ruhe bei“.

Öffnung nach rechts

Rechtsaußen-Vertreter der FPÖ hatten sich während der Regierungsbeteiligung zum unangenehmen Störfaktor entwickelt. Nach dem abrupten Ende der türkis-blauen Zusammenarbeit waren sie wieder wohlgelitten. Mit Michael Schnedlitz wurde ein besonders forscher Haudrauf blauer Generalsekretär, der die neue Linie vorgibt: Man habe einen Fehler gemacht, als man in Regierungsverantwortung „in ein Rückzugsgefecht“ gegangen sei, sagte Schnedlitz im November 2020: „Mit dieser Distanziererei ist es jetzt aber definitiv vorbei.“ Norbert Hofer hatte als Parteichef noch verkündet, keine Überschneidungen mit rechtsradikalen Gruppen zu akzeptieren. Das ist beendet. Für Kickl sind die Identitären „so etwas wie eine NGO“.

Mit dieser Distanziererei ist es jetzt aber definitiv vorbei.

Michael Schnedlitz

hat als FPÖ-Generalsekretär den Abstand zum rechten Rand reduziert.

Kickl habe ein „geteiltes strategisches Verständnis“ im rechten Lager erreicht, sagt Bernhard Weidinger, Rechtsextremismusforscher beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): FPÖ, Aktivisten und Alternativmedien würden sich nicht mehr voneinander distanzieren, sondern unterstützen. Die Verschmelzung zwischen den vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften „Identitären“ und der Freiheitlichen Jugend sei „praktisch abgeschlossen“, sagt Weidinger: „Ich wüsste nicht mehr, wo die inhaltlichen Unterschiede sind.“

Passenderweise leitet in Niederösterreich ein Identitärer Aktivist eine Bezirksgruppe der FPÖ-Jugend. Wohin die Reise unter einem Kanzler Kickl gehen könnte, deutete er bereits als Innenminister an: Im Jänner 2019 löste Kickl einen gehörigen Wirbel aus, selbst für seine Maßstäbe. Im ORF-Interview räsonierte Kickl über Ausgangssperren für Asylwerber und die rasche Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen noch vor einer rechtskräftigen Verurteilung. Dass solche Ideen der Europäischen Menschenrechtskonvention widersprechen würden, kümmerte ihn nicht.

Unter dem Schlagwort „Festung Österreich“ startete die FPÖ vergangenen Dienstag eine Online-Petition gegen „Massen-Zuwanderung“. Die „Festung“ sei der „Gegenbegriff zum Asylmagneten Österreich“. Für 30. Juni organisiert die Partei eine Demonstration vor einer ehemaligen Baumarkt-Halle in Leoben, die mittlerweile als Flüchtlingsquartier dient, derzeit aber wegen Renovierung geschlossen ist. Hauptredner: Herbert Kickl. Einen Tag später soll es einen österreichweiten Aktionstag gegen Zuwanderung geben. Schon während der Corona-Pandemie machte die FPÖ Politik von der Straße. Bei einer Riesendemo im Wiener Prater am 6. März 2021 hetzte Kickl gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung und den damaligen Kanzler Sebastian Kurz.
Die neue blaue Offensive gegen Zuwanderung wurde in Sitzungen diverser Gremien intensiv besprochen – und verfeinert. So seien integrierte Migranten, die nicht von Sozialleistungen abhängig sind, ausdrücklich nicht gemeint, so Kickl. Ganz im Gegenteil: Diese würden die freiheitliche Position teilen, dass sich der Staat von Zuwanderern „nicht auf der Nase herumtanzen lassen dürfe“.

Vorbild Orbán

Kickls Vorbild für die „Festung Österreich“ ist die harte Migrationspolitik von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, der sein Land in eine illiberale Demokratie umbaut. Durch die „Orbánisierung“ wurden Politik, Justiz und Medien auf Linie gebracht. Mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet, verpflichtete Orbán 2010 Ungarns öffentlich-rechtlichen Medien zu „ausgewogener Berichterstattung“. Eine mächtige Aufsichtsbehörde kontrollierte deren Einhaltung. Kritische private Medien ächzten unter einer neuen Sondersteuer auf Werbeeinnahmen – oder wurden von Orbán-Getreuen aufgekauft. Eine Reform des Wahlrechts sichert der Regierungspartei Fidesz auf absehbare Zeit Mehrheiten. Und eine Erweiterung der Zahl der Verfassungsrichter soll sicherstellen, dass Orbáns Umbau stehen bleibt.

Ganz so leicht hätte es ein Kanzler Kickl hierzulande wohl nicht. Österreich hat eine längere demokratische Tradition als Ungarn, die Institutionen sind gefestigter – und Bundespräsident Alexander Van der Bellen würde sich Kickl wohl auch entgegenstellen. Dass man nicht einfach regieren kann, wie man will, weiß die FPÖ nur zu gut. Der Verfassungsgerichtshof kippte zentrale blaue Prestigeprojekte aus der Regierungszeit mit der ÖVP, wie den Bundestrojaner und die Regelung, dass Zusatzleistungen zur Sozialhilfe nur als Sachleistungen gewährt werden. Der Europäische Gerichtshof wiederum kassierte die türkis-blaue Indexierung der Familienbeihilfe.

Zu Jörg Haiders Zeiten war der Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei wie der FPÖ ein fast einzigartiges Phänomen in Europa. Nun ist er fast Normalfall. In Italien regieren Postfaschisten. Polen und Ungarn werden von Rechtskonservativen Schritt für Schritt umgebaut. Und in Frankreich liegt der rechtspopulistische Rassemblement National in der Wählergunst besser denn je. Eine Delegation der Partei fand sich vergangenen Donnerstag zu einem Gedankenaustausch bei Kickl ein. Gesprächsthema werden wohl auch seine Kanzlerpläne gewesen sein.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".