Glut und Boden: Der Siegeszug des rechten Denkens

Was wurde eigentlich aus dem viel beschworenen Ende der Ideologien? Auf unbestimmte Zeit vertagt! Christa Zöchling über den Siegeszug des rechten Denkens.

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"Es war das Volk, das uns hierher gebracht hat", erklärte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl in seiner ersten Parlamentsrede nach der Wahl. Das war nicht nur ein neuer Stil. Hier waltete innere Überzeugung, das Auftrumpfen eines Machtgefühls; die Gewissheit, man habe die Mehrheit der Menschen hinter sich, die Hegemonie bereits errungen. Es wurde eine gesellschaftliche Einheit angerufen, die es nicht gibt. Und von fern klang das völkische Reinrassigkeitsideal an.

Herbert Kickl wurde vergangene Woche (Anm.: dieser Artikel erschien in der profil-Ausgabe vom 22. Dezember 2017) als Innenminister angelobt.

Nach und nach ist spürbar geworden: Es liegt etwas in der Luft, nicht nur in Österreich. Die Menschen haben das Versprechen vom Ende der Ideologien nicht geglaubt. Sie haben sich rechts und links wiedergefunden - vor allem rechts.

Die Geburtsstunde der Begriffe für die politischen Lager lag in der Französischen Revolution von 1789. In der Nationalversammlung begaben sich Königstreue, Offiziere und Klerus auf die rechte Seite des Präsidiums; links gruppierten sich jene, die zwei Tage zuvor proklamiert hatten, dass jeder Mensch die gleichen Rechte habe. Den Adeligen schien das wider die Natur zu sein. Es entsprach nicht ihrer Ordnung. Und sie fühlten sich bestätigt, als die Ideale der Revolution durch Jahre des Terrors gingen.

Heute ist rechtes Denken eine Sicht auf die Welt, die eine Präferenz für das Eigene biologisch begründet, die von Ethnie spricht und Rasse meint und von homogenen, 'reinen' Gemeinschaften träumt.

Ursprünglich wurden die Werte der Französischen Revolution innerhalb der Nation verwirklicht. Sie hatte eine klassenübergreifende Funktion. Die Staatswerdung forderte ein Ihr und ein Wir. Die österreichischungarische Donaumonarchie scheiterte beim Versuch, den Nationalitätenstreit beizulegen, auch deshalb, weil Nationalismus immer eine Rangordnung aufstellt, die eigene Kultur überhöht, die Seele und das Empfinden - gerade der deutsche Nationalismus.

Heute ist rechtes Denken eine Sicht auf die Welt, die eine Präferenz für das Eigene biologisch begründet, die von Ethnie spricht und Rasse meint und von homogenen, "reinen" Gemeinschaften träumt, die in ihren angestammten Räumen leben. Rechtes Denken verachtet verfahrensdemokratische Gepflogenheiten; es lebt vom Ausnahmezustand, denkt in Freund/Feind-Kategorien und hält Liberalismus für ein zersetzendes Gift. All das vermengt sich mit einem Zeitgeist, der die Anonymität und Kälte der Globalisierung beklagt und sie der Wärme und Vertrautheit in gewachsenen Gemeinschaften wie der Familie oder Vereinen gegenüberstellt.

"Ein Mensch ohne Bindung an sein Volk, seine Herkunft und Heimat ist wie ein Baum ohne Wurzeln. Seine Spur wird verwehen", heißt es dunkel raunend auf der Website einer der Burschenschaften, die nunmehr das Personal für freiheitliche Ministerkabinette stellen werden.

Rechtes Denken will nichts davon hören, dass die Entfremdung des Menschen mit dem globalen Kapitalismus zu tun hat, dessen Werte und Regeln sich wie ein Netz über alles spannen; oder mit den neuen Technologien, die dem Bewusstsein weit voraus sind und von denen wir noch nicht wissen, wie nachhaltig sie den Menschen und die Gesellschaft verändern werden.

Rechtes Denken hadert noch immer mit den Ideen der Aufklärung. Aus ihren nie eingehaltenen Idealen bezieht es seine Kraft: Die Universalität der Menschenrechte sei zwar dekretiert, aber nicht verwirklicht worden.

Rechtes Denken kennt keine 'Gesellschaft', sondern nur 'Gemeinschaft'.

Hannah Arendt, die Philosophin, die Deutschland 1933 verlassen musste, war angesichts des Grauens der Nazi-Herrschaft selbst skeptisch, was den Menschen betrifft: "Je besser die Völker einander kennenlernen, desto mehr scheuen sie begreiflicherweise vor der Idee der Menschheit zurück, weil sie spüren, dass in der Idee der Menschheit, gleich ob sie in religiöser oder humanistischer oder schwärmerisch kosmopolitischer Form auftritt, eine Verpflichtung zu einer Gesamtverantwortung entsteht, die sie nicht zu übernehmen wünschen."

Es mag so scheinen, als sei rechtes Denken näher am Leben, ehrlicher, der Sehnsucht und dem menschlichen Makel tiefer verbunden. Doch dieses Denken kennt weder Ambivalenzen noch Widersprüche, weder Differenzierung noch Synthese, nur Antagonismus und Krieg. Es kennt auch keine "Gesellschaft", sondern nur "Gemeinschaft".

Armin Nassehi, ein deutscher Soziologe mit iranischen Wurzeln, meint, rechtes Denken sei auch deshalb so erfolgreich, weil in linksliberalen Milieus gern "links geredet, doch rechts gelebt" werde. Man wohnt, arbeitet und lebt dort, wo einen das Gedränge der Armut, fremde Kulturen und repressive Ordnungen nicht anfechten. Die Kinder werden in Schulen geschickt, in denen sie vom Grundrauschen der Stadt, dem babylonischem Sprachengewirr in öffentlichen Verkehrsmitteln und dem täglichen Stress auf der Straße nicht viel mitbekommen.

Im Nationalratswahlkampf forderten alle Parteien mit Ausnahme der Grünen, die Migration zu stoppen oder einzudämmen. Dahinter stehen jedoch unterschiedliche Menschenbilder. Die Rechten kämpfen gegen "Überfremdung". Angehörige fremder Kulturen sind in ihren Augen festgezurrt in ihrer Andersartigkeit und deshalb nicht kompatibel mit unserer Lebensart. Manche gehen sogar einen Schritt weiter und vermuten hinter den Flüchtlingsströmen ein Geheimprojekt, mit dem gewisse Eliten den schleichenden Bevölkerungsaustausch planten, um auf diese Weise an die Macht zu gelangen - Freimaurer, Bilderberger oder gleich die Juden (wie etwa der US-Milliardär George Soros, gegen den derzeit auf allen rechten Kanälen gehetzt wird).

Der rechte Provokateur Andreas Mölzer schreibt in seinem jüngsten Blog, die "Ethnomorphose" sei "voll im Laufen". Er vermeide den Begriff "Umvolkung", erklärt er zynisch, um sich beim Bundespräsidenten nicht eine "eventuelle Alterskarriere" zu verbauen. Der Kinderreichtum der Einwanderer übersteige jenen der autochthonen Deutschen um ein Vielfaches. Das sei keine Frage der Politik oder gar der Ideologie, sondern ausschließlich ein Problem der Mathematik. Welch ideologischer Starrsinn! Als ob Mölzer nichts wüsste vom Zusammenhang zwischen sozialem Aufstieg und Geburtenrate.

Ein ähnlich düsteres Szenario entwarf der 2016 verstorbene Rolf Peter Sieferle in seinem Buch "Finis Germania". Seine haarsträubende These: Die Deutschen sterben aus, weil die Antifa-Keule - das schlechte Gewissen nach dem Holocaust - sie dazu treibe, jeden Migranten ins Land zu lassen und somit unterzugehen.

"Was ist rechts?", fragt die Burschenschaft Aldania Wien auf ihrer Website und erklärt: "All die Flüchtlinge, die aus einem fernen Raum mit anderer Kultur zu uns kommen, (...) müssen erkennen, dass sie von der nationalen Kultur des Aufnehmerlandes keine Ahnung haben und auch niemals eine Ahnung haben werden. (...) Die 'Integration' der Flüchtlinge hierzulande ist eigentlich eine kulturelle und menschenrechtliche Vergewaltigung. Jedes Volk hat nicht nur einen Volkscharakter und eine eigene kulturelle Identität, sondern auch einen eigenen Lebensraum."

Rechtsradikale Werke liegen in bürgerlichen Salons auf. Rechtsradikale Standpunkte sickern ins Feuilleton ein. Mit Kampfschriften wie Thilo Sarrazins 'Deutschland schafft sich ab' (2010) wurde der Mainstream erobert.

Nicht immer ist rechtes Denken so anspruchslos und dumm. Die neue Rechte reflektiert den Zeitgeist, analysiert Pop-Phänomene und folgt den Theorien des italienischen Marxisten Antonio Gramsci, wonach kein Machtwechsel möglich sei, ohne dass vorher die Köpfe der Menschen erobert würden. Diese Denkschule folgt einer Tradition, zu der Geistesgrößen der 1920er-Jahre gehörten, als Sozialdarwinismus und Rassentheorien, Eugenik und autoritäre Staatstheorien en vogue waren.

Da der Mensch von Natur aus böse sei, brauche er den autoritären Staat, sagte Carl Schmitt, Rechtsphilosoph und Vordenker des nationalsozialistischen Regimes. Schmitt hatte die liberalen Anfänge der Weimarer Republik in Grund und Boden geschrieben, Adolf Hitler hochgejubelt und juristisch begründet, warum nach dem Gesetz des Führers gemordet werden dürfe -sofern "das Anderssein des Fremden die Negation der eigenen Art bedeutet (...), muss die reale Möglichkeit der physischen Tötung miteinbezogen werden". Schmitt machte seine jüdischen Kollegen für die "systematische Aushöhlung des gesunden, völkisch-deutschen Staatsdenkens" verantwortlich und sprach mehr als abfällig vom "Juden Kelsen", dem Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung (wie ein knappes Jahrhundert später übrigens auch der ehemalige FPÖ-Außenpolitiker und Jurist Johannes Hübner). Unter US-Präsident George W. Bush berief man sich auf Schmitts Schriften, um im "Krieg gegen den Terror" Folter zu legitimieren.

Mit seinem Ekel vor der Bourgeoisie als der "diskutierenden Klasse", seinem Anti-Humanismus und dem hymnischen Lob des "Vaterlandes" gilt Schmitt als geistiger Pate der rechten Intelligenz. Namhafte Alt-68er schreiben heute in rechten Magazinen oder engagieren sich in der AFD. Rechtsradikale Werke liegen in bürgerlichen Salons auf. Rechtsradikale Standpunkte sickern ins Feuilleton ein. Mit Kampfschriften wie Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" (2010) wurde der Mainstream erobert. Der Auftritt des Antaios Verlags bei der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr war ein weiterer Markstein. Verleger Götz Kubitschek, der auch das "Institut für Staatspolitik", eine rechte Ideenschmiede, betreibt und ein Magazin herausgibt, ist bestens vernetzt mit Burschenschaftern und "Identitären", deren führende Kader aus Österreich kommen. Kubitschek ist selbst Mitglied eines Korporationsverbands.

Die ungebrochene Aktualität rechten Denkens liegt in seiner Berufung auf das 'Volk' und auf den Autoritarismus. Echte Entscheidungen werden demnach von wild Entschlossenen getroffen.

Im Oktober 2016 trafen sich Kubitschek und viele andere Rechte sämtlicher Schattierungen beim Linzer Kongress der "Verteidiger Europas": Schwulengegner, Islamhasser, Verächter des Sozialstaates, Betreiber einschlägiger Online-Medien. Herbert Kickl hielt eine aufmunternde Begrüßungsrede.

Rechte Denker wollen aber nicht nur sinnieren, sie drängen auch gern zur Macht. Der Philosoph und Schriftsteller Franz Schuh sagt: "Rechte Intellektuelle faszinieren, weil sie in der Lage sind, im Chaos der Meinungen Schneisen zu schlagen, auf hohem Bildungsniveau Orientierungen zu geben und Überzeugungen zu unterstützen. Faszinierend ist wohl auch, dass sie als Machttheoretiker rücksichtslos gewisse Gedankenziele verfolgen, ohne die geringste Sentimentalität oder Humanität. Das traf auf Carl Schmitt in besonderem Maße zu. Er hat Macht als Faszinosum und einzigen Sinn des Politischen definiert und sich in die Politik eingelassen."

Die Macht und die Wahrheit - eine gefährliche Kombination. Nach Ansicht der US-Philosophin Susan Neiman ist sie für den Aufschwung rechten Denkens mitverantwortlich. Im Zentrum steht die von postmodernen Theoretikern entwickelte und heute weit verbreitete These, wonach alle Wahrheitsansprüche de facto Machtansprüche sind und es in Wahrheit keine Wahrheit gibt, sondern nur eine Vielzahl von "Narrativen". Dann werde er eben das stärkste Narrativ bereitstellen, sagte Andrew Breitbart, der 2012 verstorbene Gründer der US-Website Breitbart-News, das heute als internationales Leitmedium für rechtslastigen Journalismus gilt.

Die ungebrochene Aktualität rechten Denkens liegt in seiner Berufung auf das "Volk" und auf den Autoritarismus. Echte Entscheidungen werden demnach von wild Entschlossenen getroffen. Die politischen Prinzipien, auf deren Basis diese ihre Entscheidungen treffen, sind dabei nebensächlich. Die Rechte lebt von dieser Durchsetzungsgier und wirkt dadurch fast schon revolutionär.

Was bedeutet das für die zukünftige Regierungsarbeit? Franz Schuh wagt eine analytische Vorausschau: "Ich beobachte eine Mischung aus Neoliberalismus der ÖVP und autoritärem Nationalradikalismus , wie ein Soziologe es nannte. Diese Mischung ist eine potenziell giftige, bei der es darauf ankommt, wer gewinnt. Die beiden Parteien bilden eine Koalition, aber ganz anders als die Roten und die Schwarzen steuern sie auf einen Endkampf mit einem Endsieg zu. Entweder stirbt der Neoliberalismus oder umgekehrt. Mir ist unverständlich, wenn politische Beobachter sagen, diese beiden Parteien hätten so viel miteinander gemeinsam. Einiges haben sie schon gemeinsam, aber wenn sie sich entfalten, es ist nicht sicher, ob sie das können -aber wenn, dann wird es ein Kampf auf Leben und Tod."

Christa   Zöchling

Christa Zöchling