"Rendi rennt": SPÖ-Parteitag zwischen Erwartung und Erfüllung

Sie will die erste Bundeskanzlerin werden, doch dieses Versprechen einzuhalten, wird für Pamela Rendi-Wagner nicht einfach werden. Christa Zöchling über die Stimmung beim Parteitag der SPÖ.

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Ein Parteitag in der Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung und dieser Druck scheint alle zu überwältigen, nicht zuletzt Pamela Rendi–Wagner selbst. Niemals zuvor hat eine zur Wahl stehende Politikerin so viele Menschen auf den Weg nach vorne zum Rednerpult umarmt, hat zärtlich über Kinderköpfe gestrichen, jeden einzelnen ihrer zukünftigen Präsidiumsmitglieder geküsst, umarmt, gedrückt. Dazwischen auch einmal ihren Mann, der in der ersten Reihe Platz genommen hatte und vor Aufregung unansprechbar ist. Es hat aber auch noch nie zuvor eine Frau an der Spitze gegeben in der 130-jährigen Geschichte der Sozialdemokratie.

"Saugut fühlt es sich an, von Euch umarmt zu werden"

Rendi-Wagner ist ein paar Sekunden lang nicht in der Lage zu sprechen, verstärkt durch das Mikrofon hört man sie nach Luft schnappen, überwältigt vom tosenden Applaus und sie hat noch nicht einmal ein Wort gesagt und der Beginn geht fast immer unter im Jubel: „Saugut fühlt es sich an, von Euch umarmt zu werden.“

Gleich nach ihren ersten Sätzen wurde ein Video eingespielt. Eine junge Frau, Alleinerzieherin, zwei Töchter, Teilzeit, Gemeindebau, Jasmin heißt sie und ihr Zuhause ist alles andere als ein Bobo-Haushalt. Sie sagt, was sie sich von der SPÖ erwartet. Es sind keine großen Wünsche, die sie äußert: eine bessere Bezahlung in dem Sozialbereich, in dem sie arbeitet – im Vergleich zu Mindestsicherungsbeziehern. Mehr Zeit für ihre Töchter. Und Schimpfereien auf andere Politiker gehen ihr auf die Nerven. Lebte Jasmin am Land, mit einen Gartentürl vor ihrem bescheidenen Häuschen, könnte man sie sich auch in einem Video der Kurz-ÖVP vorstellen. Und genau das sollte es wohl auch aussagen: Die SPÖ mit Rendi-Wagner an der Spitze will wieder die Mittelschicht erobern, die neue Mittelschicht mit ihren gut ausgebildeten, flexiblen jungen Menschen, die einmal hier und einmal dort leben, sich mit Rucksäcken durch die Welt bewegen; aber auch die alten Mittelschichten, die Gabalier hören, und ihr daheim mit rosa Kissen und allerlei Nippes ausstatten. Das Erstaunliche ist: die Partei traut es Pamela Rendi-Wagner zu. Man lobt ihre Warmherzigkeit, bewundert ihr elegantes Auftreten, ihre Redegewandtheit und ihren Kampfgeist. Dahinter lauert freilich tiefe Verzweiflung und Rendi-Wagner ist wohl so etwas wie eine moderne Trümmerfrau. In ihrer Parteitagsrede hat sie das erste Mal ein wenig von sich selbst erzählt, versucht, zu erklären, woher sie kommt. Aufgewachsen mit ihrer blutjungen Mutter in der Per-Albin-Hanson-Siedlung. Sie habe sich durchgebissen, gelernt, studiert, ihre Chancen wahrgenommen. Woher jemand kommt, wird in der SPÖ noch immer wichtig genommen.

Die Partei ist ein eigener, für Außenstehende oft seltsamer Kosmos. Sie hat ein eigenes Kräftefeld, eine Welt mit eigenen Gesetzen, in er es bisher darum ging, was man für die Sozialdemokratie getan, inwieweit man sich bewährt hat. Wenn einer schon nicht die Ochsentour absolviert hat, dann sollte er zumindest eine langjährige Mitgliedschaft vorweisen können. Das war der Loyalitätsnachweis. Bisher. All das hat Rendi-Wagner nicht zu bieten und so ist ihre Wahl nicht nur ein Bruch mit liebgewordenen Gewohnheiten, sondern ein grundlegender Systemwandel, weitaus radikaler und riskanter als es der junge Kanzler, Sebastian Kurz bei seinem Aufstieg innerhalb der ÖVP vorgemacht hat.

Irmgard Prochazka

Kulturell umfasst die SPÖ eine Spannweite, die derzeit keine andere Partei zu bieten hat. Da wäre etwa die 65-jährige, kleine, schmale Tirolerin Irmgard Prochazka. Sie stand bei der SPÖ-Frauenkonferenz am Tag davor ein, zwei Minuten lang im Scheinwerferlicht. Sie ging zum Rednerpult und warnte: Die wollen uns vernichten! Sie meinte: die ÖVP, die Rechten, den Zeitgeist. Die kleine, unscheinbare Frau ist in einem gewissen Sinn existentiell verzweifelt. Seit 40 Jahren ist sie SPÖ-Parteimitglied, eine Zeit lang war sie Vorsitzende der sozialistischen Fraktion in der Gewerkschaft. So lang sie sich erinnern kann, hat sie Flugblätter verteilt, an fremde Türen geklopft, um die Menschen davon zu überzeugen, SPÖ zu wählen, auf Marktplätzen Menschen angesprochen und wohl tausende Sitzungen über sich ergehen lassen, in denen genau das besprochen wurde: Wer steht an dem Stand, wer geht dorthin, wer dahin - ein nicht unerheblicher Beitrag zur Demokratie in diesem Lande. Jetzt ist sie verzweifelt, weil ihre Vorsitzende in Tirol Elisabeth Blanik von heute auf morgen zurückgetreten ist und sie nicht weiß, warum und sie es aus den Medien erfahren hat. Und dann hat auch noch der junge, präsumtive Nachfolger, Georg Dornauer, in einer Landtagssitzung eine sexistische Bemerkung über eine grüne Landesrätin gemacht, und jetzt sei die Partei tot und sie müsste wieder von vorn anfangen, zu rennen, sagt Prohaszka.

"Rendi rennt"

"Ich werde rennen" verspricht Rendi-Wagner am Ende ihrer Rede, die eine Stunde lang gedauert hat. Manche von den älteren Genossen haben Tränen in den Augen. In diesem Augenblick glauben wohl alle daran, diese Frau könnte die neue Bundeskanzlerin werden. Den größten Beifall hat Rendi-Wagner bekommen, als sie genau dieses Versprechen abgab. Den zweitgrößten, als sie Kanzler Sebastian Kurz "selbstverliebt, feig und arrogant" attackierte. "Rendi rennt", wird auf einem Riesenbildschirm eingeblendet. "Und wir rennen mit Dir", verspricht jeder nach ihr folgende Redner und jede Rednerin. Man wird sehen. Die, die hier in der Messehalle in Wels sitzen, werden nicht reichen.

Kern gibt Rendi-Wagner Rückenwind

Er hätte es verbocken können, sagt ein älterer Sozialdemokrat, „aber er hat es grandios gemeistert, die neue Chefin Pamela Rendi-Wagner voll und ganz unterstützt. Ein brillianter Redner sei er ja immer gewesen. Kern hatte eine Stunde geredet, fast ebenso lang wie vor ihm Rendi-Wagner, die mit 97,81 Prozent gewählt worden war. Anfangs erinnerte er an seine Plan-A-Rede, die 2017 ebenfalls in der Messehalle in Wels inszeniert worden war. „Mein persönlicher Höhepunkt in meiner politischen Karriere“. Die Panik, die ihn damals befiel, als er sah, dass er in einer Art Arena auftreten musste. Die Sitzreihen am Parteitag heute waren dann doch traditionell aufgestellt.

Kern: „Kopf gegen Bauch“

Kerns gestand, dass ihm der Rückzug schwergefallen ist. „Es ist leichter, Parteivorsitzender zu werden, als diese Funktion wieder abzugeben“. Er habe nicht warten wollen, bis einer seiner Freunde einmal an seine Tür klopft und ihm verstehen gibt, dass es Zeit sei, abzutreten. Es sei eine Entscheidung „Kopf gegen Bauch“ gewesen und er habe doch länger damit gehadert, dass er „mit dieser Geschichte nicht fertig“ sei. – „Aber warum soll ich damit fertig sein. Es wird immer meine Geschichte bleiben, egal ob ich Vorsitzender bin oder nicht“.

"Niemand ist besser geeignet als Du"

An diesem Punkt von Kerns Rede ging ein kollektives Auftatmen durch die Reihen, die Spannung löste sich, und selbst jene, die vorher noch skeptisch waren, ob es richtig war, dem scheidenden Parteivorsitzenden so viel Redezeit einzuräumen, waren nun froh. „Niemand ist besser geeignet als Du“, sagte Kern an Rendi-Wagner gerichtet. Und wieder war man gerührt, und wieder gab es hier und da nasse Augen. Ein Parteitag in Euphorie. Ein Tag eben.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling