Ronald S. Lauder: "Kann Herr Kurz diese FPÖ noch kontrollieren?"

Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, über den Machtzuwachs rechtspopulistischer Parteien in Europa und wie die FPÖ in vielen Bereichen die Kontrolle übernimmt.

Drucken

Schriftgröße

Interview: Otmar Lahodynsky, Fotos: Philipp Horak

profil: Herr Lauder, Sie kamen für eine Konferenz über Antisemitismus nach Wien. In vielen europäischen Ländern nehmen Attacken gegen Juden und jüdische Einrichtungen zu. Nur mehr 20 Prozent der Juden in Europa geben an, sich sicher zu fühlen, vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele. Sind Juden in Europa mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust wieder bedroht? Lauder: Wir beobachten eine Zunahme von Populismus und Nationalismus in vielen Ländern Europas. Viele Menschen, die unter kommunistischen oder auch anderen Regimen aufgewachsen sind, haben bemerkt, dass ihr Leben nicht besser wurde, sondern schlechter. Also suchten sie nach etwas Neuem, einer Partei, von der sie glaubten, dass sie ihre Lebensbedingungen ändern werde. Dann kamen all diese Rechts-vom-Zentrum-Parteien mit der Ansage: Wir machen es besser! Und mit der Zuwanderung in manchen Ländern fanden sie einen bequemen Gegner. Plötzlich waren es die Ausländer, die Jobs wegnahmen und für alle möglichen Probleme verantwortlich gemacht wurden. Und wenn es gegen Ausländer geht, dann richtet sich der Zorn schnell immer auch gegen das jüdische Volk. So gewannen die Nationalisten und Populisten in vielen Teilen der Welt an Zulauf. In manchen Ländern wie den USA verhinderte das politische System mit starken demokratischen Institutionen eine Beteiligung der extremen Rechten an der Macht. Daher erlebten wir nicht diesen Anstieg populistischer Parteien wie in manchen europäischen Ländern.

Erstmals erleben wir einen Antisemitismus von Rechts und von Links.

profil: Vielleicht auch, weil in den USA Republikaner wie Präsident Donald Trump Ziele der Populisten übernommen haben? Lauder: In Europa sind populistische Rechtsparteien stärker. Vielleicht auch, weil hier die Menschen für deren Ziele anfälliger sind, wenn sie keinen Job bekommen oder sich von den traditionellen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. profil: Und das macht sie anfälliger für antisemitische Vorurteile? Lauder: Rund 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts erleben wir eine neue Generation, die mit dem Holocaust nichts mehr verbindet und daher auch nicht ahnt, wohin rechtsextreme Ideologien führen können. Dazu kommt noch der wirtschaftliche Teil des Problems. In vielen Ländern wurden die Reichen reicher und die Armen ärmer. Und bei Fragen des Wohlstands und der Globalisierung machen diese Populisten gerne das jüdische Volk für negative Konsequenzen verantwortlich. Die Juden landen dann schnell wieder in der Propaganda all dieser Rechten in der Rolle der Schurken. Und erstmals erleben wir einen Antisemitismus von Rechts und von Links. Die neue Form des Antisemitismus heißt Antizionismus und daher auch Anti-Israel. Das erlaubt vielen Leuten, zu sagen: Ich bin kein Antisemit sondern nur gegen Israel.

profil: Den Antizionismus bei den Linken gab es aber schon in den 1970er-Jahren, was deutschen Linken die Kritik an Israel ermöglicht hat. Lauder: Aber heute geht dieser Antizionismus viel offener in Antisemitismus über. Ich stelle mir die Frage, wohin das führen soll. Nein, ich glaube nicht an die Möglichkeit eines neuen Holocausts, aber ich glaube, dass wir derzeit eine Revolution der Rechtsparteien in Europa erleben mit allen möglichen Auswirkungen. Ich bin auch sehr besorgt über den Iran. Das iranische Regime will Israel zerstören und schürt zudem auch den Hass gegen Juden in aller Welt. Länder wie Deutschland sind dazu sehr naiv, weil sie an Handelsgeschäften mit dem Iran interessiert sind. Deutschland, das eigentlich alles tun sollte, um Israel zu schützen, macht also gute Geschäfte mit Israels Erzfeind. profil: Sie waren ab 1985 zur Zeit Waldheims US-Botschafter in Österreich und kennen dieses Land weiterhin sehr gut. Wir haben bereits zum zweiten Mal die Beteiligung einer rechten Partei wie der FPÖ in einer Regierung. Sind Sie darüber besorgt? Lauder: Als ich in Österreich Botschafter war, gab es eine fast gleichwertige Machtverteilung zwischen Links und Rechts. Es war eine gute Machtbalance. Ich beobachte die Handlungen der FPÖ und kann dazu nur so viel sagen: Diese Partei übernimmt nach und nach in vielen Bereichen die Kontrolle. Nehmen Sie nur die Aktion des Innenministers zur Kontrolle des Verfassungsschutzes BVT oder Ansagen von FPÖ-Politikern, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk strenger zu kontrollieren. Ich glaube nicht, dass Herr Kurz schon bemerkt hat, wie weit er seine Regierung, die er gebildet hat, überhaupt noch kontrolliert. Ich kenne Herrn Bundeskanzler Kurz sehr gut. Er ist ein Politiker mit guten Absichten, aber kann er diese FPÖ wirklich noch kontrollieren? Ich bezweifle das.

Ich sehe einen sehr schmalen Grat zwischen Antisemitismus und Antidemokratie.

profil: Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ hat aber gerade mehr Schutz für die jüdische Gemeinde in Österreich angekündigt. Das müsste Sie doch freuen. Lauder: Natürlich muss dieser FPÖ-Politiker die jüdische Gemeinde in Österreich schützen. Aber die jüdische Gemeinde in Österreich und in allen anderen Ländern will nicht nur Antisemitismus bekämpft sehen, sondern sie tritt auch für den Erhalt der Demokratie ein. Und da frage ich mich schon: Schränkt diese Partei vielleicht schon die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Medien ein? Ich nehme hier in Wien an einer Konferenz gegen Antisemitismus teil, aber ich frage mich, ob wir nicht bald den Titel ändern sollten und eine Konferenz über antidemokratische Bewegungen veranstalten sollten. Denn ich sehe einen sehr schmalen Grat zwischen Antisemitismus und Antidemokratie. Vielleicht schauen wir zu oft auf antisemitische Entwicklungen und übersehen die Gefahren für die Demokratie. profil: Treffen Sie in Wien Politiker der FPÖ? Lauder: Nein, und das war auch eine Bedingung für meine Teilnahme an dieser Konferenz.

Ronald S. Lauder mit profil-Redakteur Otmar Lahodynsky im Wiener Hotel Sacher.

profil: Was kann man gegen neue Formen des Antisemitismus im Internet tun? Lauder: Heute kann man alle zehn Sekunden irgendwo im Internet ein Hassposting gegen Israel oder gegen die Juden sehen. Vor allem junge Leute werden von dieser Propaganda vergiftet. Manche Leute verteidigen solche Attacken mit dem Argument der Meinungsfreiheit. Aber wie schnell würden solche Leute Maßnahmen fordern, wenn im Internet zur Ermordung von Christen aufgerufen würde? Das hätte mit Meinungsfreiheit sehr schnell nichts mehr zu tun, ähnliche Attacken gegen Juden werden jedoch toleriert. In Europa wird diese Gefahr noch nicht erkannt. Aber wenn die Europäer doch noch aufwachen, kann es vielleicht schon zu spät sein. profil: In Ungarn nützt Premierminister Viktor Orbán ganz offen antisemitische Vorurteile für seine Politik aus, etwa durch seine Attacken auf George Soros. Laut Umfragen glaubt bereits eine deutliche Mehrheit der Ungarn, dass Soros Millionen Migranten nach Ungarn schleusen will. Lauder: Orbán unterhält aber auch sehr gute Beziehungen mit Israel. Und er wendet einen alten Trick an, indem er eine einzige Person zur Zielscheibe macht.

Wir erleben gerade, dass manche Politiker versuchen, die Geschichte neu zu schreiben.

profil: Eine solche Politik ist doch gefährlich, gerade für Juden. Lauder: Ja, sie ist sehr gefährlich, und man fühlt sich ohnmächtig, diese Art von Politik zu stoppen. Wir erleben gerade, dass manche Politiker versuchen, die Geschichte neu zu schreiben. 70 Jahre und drei Generationen nach dem Holocaust passiert so etwas, und wer kann das aufhalten? Was können Regierungen gegen Neonazis tun? In Chemnitz marschierten Neonazis mit Hitlergruß durch die Straßen, und die Polizisten taten nichts und schauten nur zu, auch weil sich die Regierung in Berlin nicht imstande sieht, diese Leute zu kontrollieren. profil: Ähnlich fing es doch auch in den 1920er- und 1930er-Jahren an. Lauder: Ja, genau. Kann die Regierung in Berlin diese rechtsradikalen Aufmärsche noch stoppen? Kann der Bundeskanzler in Wien noch kontrollieren, was die FPÖ so alles unternimmt? Das Problem ist, dass solche Dinge in vielen Ländern Europas quasi vor der Haustüre passieren, aber die Regierungen machen nichts dagegen.

profil: Wurde durch die Zuwanderung aus islamischen Ländern Antisemitismus nach Europa eingeführt? Lauder: Ich denke, dass dies nur einen kleinen Teil des Zuwachses an Antisemitismus ausmacht. Außerdem frage ich mich schon, wer all diese Arbeiten wie Reinigung oder Altenpflege machen soll, wenn sie die Deutschen, Polen, Ungarn oder Österreicher nicht mehr ausführen wollen. Die Welt hat sich seit 1986, als ich hier Botschafter war, grundlegend verändert. Noch vor zehn Jahren schien es undenkbar, dass in Großbritannien ein offenkundig antisemitischer Politiker wie Labour-Chef Jeremy Corbyn als Premierminister infrage kommt. profil: Sie sehen den Schutz von Israel als oberste Priorität an. Gleichzeitig haben Sie heuer in zwei Kommentaren für die „New York Times“ die Regierung von Benjamin Netanjahu scharf kritisiert. Sie wandten sich gegen neue Gesetze, die hauptsächlich aus Rücksicht auf die orthodoxen Koalitionspartner Netanjahus verabschiedet wurden. Lauder: Israel sollte ein Platz für alle Juden der Welt sein, egal ob sie jetzt orthodox, links, rechts oder säkular eingestellt sind. Ich wollte der Regierung in Israel ausrichten, dass sie nicht eine bestimmte religiöse Richtung bevorzugen soll, nur weil diese Mitglieder der Koalition sind. Es sollte eine Ausgewogenheit der politischen Kräfte herrschen. Derzeit ist die Linke in vielen europäischen Ländern schwach. Das ermöglichte Leuten wie Jeremy Corbyn, an die Spitze der Labour Partei zu gelangen. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung.

Jetzt sollten wir aufwachen, denn es könnte bald zu spät sein.

profil: Sie sind Republikaner. Was halten Sie von der bisherigen Politik von US-Präsident Donald Trump? Lauder: Wir waren gemeinsam am selben College, ich kenne ihn daher wirklich schon lange. Ich möchte schon sagen, dass er einige sehr gute Entscheidungen für die USA getroffen hat. profil: Sie setzen sich sehr für Umweltschutz ein. Trump hält den Klimawandel für Fake News. Lauder: Kein Kommentar. profil: Was sagen Sie zum Attentat in der Synagoge von Pittsburgh? Lauder: Natürlich bin ich besorgt und war auch dort. Aber die USA sind eine Demokratie mit allen „checks and balances“. Wir haben einen funktionierenden Rechtsstaat. profil: Wie lautet Ihre Forderung bei der Antisemitismus-Konferenz? Lauder: Jedes Schulkind sollte zumindest eine Lehreinheit über den Holocaust und was damals passiert ist erhalten. Ich nenne es das Auschwitz-Vermächtnis. In den 1930er-Jahren hörte die Welt nicht zu. Dann hatten wir im Zweiten Weltkrieg 60 Millionen Tote, darunter sechs Millionen Juden, zu beklagen. Auch jetzt sollten wir aufwachen, denn es könnte bald zu spät sein. Ich bin sehr besorgt über das derzeitige Fehlen der Rechtsstaatlichkeit in vielen Teilen der Welt und über die Schwäche der Regierungen, den Lauf der Dinge zu kontrollieren.

Zur Person Ronald S. Lauder, 74, ist US-Unternehmer und seit 2007 Präsident des „Jüdischen Weltkongresses“ mit Sitz in New York. Der Sohn der Kosmetik-Pionierin Estée Lauder ist Republikaner und war von 1986 bis 1987 Botschafter der USA in Österreich, wo er eine Schule und eine Stiftung für jüdische Einrichtungen in Mittel- und Osteuropa gründete. In seiner „Neuen Galerie“ in New York ist ein Teil seiner Sammlung österreichischer Maler ausgestellt, darunter Gustav Klimts „Goldene Adele“, die er nach der Restitution durch Österreich bei einer Auktion um über 100 Millionen Euro ersteigerte.