Zu wenig bezahlt: Mitarbeiter klagten Rotes Kreuz

Das Rote Kreuz zahlte Mitarbeitern jahrelang zu wenige Überstunden aus. Die Angestellten zogen vor Gericht – es geht um mehr als eine Million Euro. profil liegen die ersten Urteile vor.

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Die Geschichten, die Gertrude Bauer über ihren Arbeitgeber erzählt, erinnern verdächtig an einen profitorientierten Hedgefonds, der sich um soziale Belange nicht weiter schert. Umso erstaunlicher ist es, für wen Bauer ihren Dienst verrichtet: für das Österreichische Rote Kreuz – genauer: die Blutspendezentrale im 4. Wiener Bezirk.

Bauers Kollegen touren mit dem Blutspendebus durchs Land, nehmen stationär und mobil Blut ab, konservieren es und stellen es schließlich Spitälern zur Verfügung. Die Ausgabestelle, für die Gertrude Bauer arbeitet, ist 24 Stunden lang besetzt – falls im Ernstfall irgendwo Blut aus der Konserve benötigt wird.

In ihrer Funktion als Betriebsrätin liegt Bauer im Clinch mit dem Generalsekretariat des Roten Kreuzes. Denn in den Jahren 2005 bis 2014 zahlte die NGO etwa 160 Mitarbeitern zu wenige Überstunden aus. Die Ansprüche der Angestellten machen zusammen mehr als eine Million Euro aus und wurden von der gemeinnützigen Organisation nicht etwa freiwillig überwiesen – die Mitarbeiter mussten ihre offenen Forderungen einklagen. Über 20 Verfahren wurden bereits zugunsten der Angestellten entschieden. Mehr als 40 Verfahren sind noch offen.

Zahllose Überstunden nicht abgegolten

Die Vorgeschichte: Nur durch Zufall stellte Bauers Betriebsratsvorgängerin im Jahr 2008 fest, dass mit den Abrechnungen der Überstunden etwas nicht stimmen konnte. Denn das Rote Kreuz verwendete einen einmonatigen Durchrechnungszeitraum und nicht, wie vorgesehen, eine tägliche Berechnung. Als Grundlage diente eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1984. Deshalb wurden zahllose Überstunden nicht abgegolten. Die Hilfsorganisation (Slogan: „Aus Liebe zum Menschen“) bot den betroffenen Mitarbeitern ein Jahr darauf einen Vergleich an; etwa 90 von ihnen stiegen darauf ein. Die Gewerkschaft riet den Angestellten allerdings eingehend vom Vergleich ab, weil er aus Sicht der Arbeitnehmervertreter „teils deutlich“ unter den tatsächlichen Ansprüchen lag.

Parallel zum Vergleichsangebot verständigte sich das Rote Kreuz mit der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp) auf ein Musterverfahren über die Rechtmäßigkeit der Überstundenverrechnung. Im August 2014 urteilte der Oberste Gerichtshof (OGH) letztinstanzlich, dass „nicht erkennbar“ sei, woraus sich für das Rote Kreuz eine „Berechtigung ergeben sollte, mittels Betriebsvereinbarung einen einmonatigen Durchrechnungszeitraum festzulegen“. Kurzum: Den Arbeitnehmern wurde recht gegeben.

„Die seriöse Vorgehensweise wäre gewesen zu sagen: ‚Jetzt ist das Urteil da, jetzt rechnen wir die Ansprüche der übrigen Mitarbeiter aus und zahlen das.‘ Doch das hat das Rote Kreuz nicht gemacht – stattdessen haben sie es auf Klagen ankommen lassen“, sagt der auf Arbeitsrecht spezialisierte Wiener Anwalt Thomas Majoros, der die Mitarbeiter im Auftrag der GPA-djp vor Gericht vertritt.

Mit den offenen Forderungen konfrontiert, kam es im Generalsekretariat des Roten Kreuzes nach dem Musterverfahren zu einem bemerkenswerten Sinneswandel. Obwohl die Organisation 2008 in einer Mail an den Betriebsrat eine Auszahlung der Ansprüche rückwirkend ab 2005 zugesagt hatte und diese Zusage mehrmals bekräftigte, erklärte die NGO 2014: Alle Ansprüche, die älter als drei Jahre sind, seien verjährt.

"Das ist einer NGO unwürdig“

„Der Verdacht liegt nahe, dass die Generalsekretäre des Roten Kreuzes die Sache verschleppen und damit die Leute um ihre Ansprüche bringen wollten – obwohl es die klare Abmachung gab, dass sie nach dem Musterverfahren der Zahlungspflicht nachkommen. Das ist einer NGO unwürdig“, meint Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der GPA-djp.

Betriebsrätin Bauer – sie war selbst betroffen – schlug das Vergleichsangebot 2009 aus und klagte. „Sie wollten mir einen Smart geben, obwohl ich einen Porsche verdient hätte“, ätzt sie: „Das Management hat gesagt: ‚Es gibt das oder gar nichts.‘ Dabei waren meine tatsächlichen Ansprüche deutlich höher.“ Bauer bekam schließlich 32.800 Euro (brutto) an fehlendem Entgelt zugesprochen.

Auch bei der Berechnung der Überstunden zeigte das Rote Kreuz wenig Entgegenkommen: Bauer musste sich über mehrere Monate durch Hunderte Lohn- und Stundenzettel ihrer Kollegen wühlen, um die geleisteten Mehrstunden zu belegen. „Das Rote Kreuz hat gesagt, es würde zu viele Kapazitäten binden, das zu berechnen. Manche Mitarbeiter haben nicht alle Stundenzettel aufgehoben – die sind um ihre Ansprüche umgefallen“, berichtet Bauer.

Im jüngsten Urteil sprach der OGH einem Mitarbeiter Mitte Jänner 7300 Euro zu. Auf die Frage, warum die Angestellten ihre Ansprüche einklagen müssen, erklärt das Rote Kreuz gegenüber profil: „Klar ist, dass das Rote Kreuz nur berechtigte Ansprüche erfüllen kann. Dieser Verpflichtung ist es immer nachgekommen. Im konkreten Fall gab es unterschiedliche Auffassungen über die Rechtmäßigkeit, die gerichtlich zu klären waren. Das Rote Kreuz nimmt das Urteil vom Jänner 2019 zur Kenntnis und wird die Forderungen selbstverständlich begleichen.“ Und die Abrechnung der Überstunden erfolge seit 2014 auf täglicher Basis, wie das Rote Kreuz betont.

Gut 40 ausstehende Verfahren gehen demnächst in die Verlängerung.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.