Kanye West sorgt mit Nazi-Sager für Aufregung.
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Schattenkrieger

Warum Kanye West und Putin in Digitalien ähnlich bedeutsam sind.

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Was wollte uns Kanye West eigentlich genau kommunizieren, als er bei einer Modenschau in Paris in der ersten Reihe in einem schwarzen Lederoutfit mit Banküberfalls-tauglicher Lederhaube saß und damit sein Gesicht komplett verhüllte? War es Provokation, Kunstaktionismus oder einfach die Attitüde eines pathologischen Narzissten, der gleich einem Kleinkind so in einer Art Trotzwinkel das Maximum an Aufmerksamkeit gerieren wollte? Die neue Begleitung, Julia Fox, fand das alles jedenfalls „sehr, sehr aufregend.” Und das globale Dorf spielte brav mit und zeigte, auf den Spuren Walter Benjamins, den Schwachsinn im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit gefühlte Millionen Mal.
 
Das ist das Absurde beim Leben in Digitalien, dass „fame news”, wie eben Kanye Wests pathologisch anmutender Auftritt oder Charlotte Casiraghis Ritt auf einem maronifarbenen Rassegaul bei der Chanel-Show die selbe Bedeutsamkeit zuteil wird wie weltpolitischen Dramen. In genialer satirischer Überzeichnung ist dieses Phänomen in Adam McKays Netflix-Produktion „Don’t Look Up” nachzusehen.

Martialischer Schwebezustand

Sehr, sehr aufregend und zwar in einer sehr, sehr beklemmenden Form, ist der martialische Schwebezustand, in dem Putin sich in Hinblick auf die Ukraine befindet. Er braucht keine Maske, denn seine Physiognomie ist eine einzige Maske. Franziska Tschinderle beschreibt in ihrer aktuellen Analyse „Will Putin Krieg?” die Psyche eines Mannes, „der aus dem Schatten heraus die Welt oder zumindest einen Teil davon beherrschen wollte”, wie das die Putin-Biografin Masha Gessen beschreibt. Tschinderles Interviews mit Russland-Experten, Militärstrategen und politischen Analysten bestärken diese düstere Prognose. Der Russland-Experte Gerhard Mangott ist beispielsweise überzeugt, „dass Russland bestimmt eine militärische Antwort geben wird.” Und der Militäranalyst Franz-Stefan Gady am Institut für strategische Studien in London weiß: „Satellitenbilder zeigen, dass Russland fähig ist, die gesamten ukrainischen Streitkräfte zu zerschlagen und die gesamte Ukraine zu besetzen.”
 
Einen ergänzenden Scoop landete unser Investigativ-Duo Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh mit einem Interview mit dem einst erfolgreichen russischen Banker Sergey Leontiev, den sein Anschluss an die Nawalny-Bewegung zum Staatsfeind machte und ihm die Bank-Lizenz kosten sollte. Leontiev sucht eben in den USA um politisches Asyl an, im Bewusstsein, seiner Heimat womöglich für immer den Rücken kehren zu müssen. Sein Fazit: „Russland ist wie Nordkorea.”
 
Eskapismus aus der bedrohlichen Weltpolitik bietet Harald Schmidt, der seine Reise durch den lukullischen Teil des Planeten Thomas Bernhard, in ein Buch kleidete. Lesen Sie den exklusiven Vorabdruck aus dem Bildband „In der Fritattensuppe feiert die Provinz Ihre Triumphe” und von den Schauern stummer Ekstase, die die Brandteigkrapfenszene aus „Ritter, Dene Voss” in dem Bernhardianer Schmidt noch immer auslöst - im E-Paper.
 
Eine aufregungsfreie Woche und spannende Lektüre wünscht

Angelika Hager

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Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort