Sigrid Maurer: "ÖVP sucht ihr Heil im Gegenangriff"

Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer über den Rücktritt von Rudolf Anschober, Zynismus in der Politik und taktische Spielchen in der Koalition.

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profil: Ist Politik ein Menschenfresserjob?

Maurer: Politik ist sicher einer der härtesten Jobs. Es gibt diese Spezialkombination aus Verantwortung, Öffentlichkeit und Gnadenlosigkeit sonst nirgendwo. Es ist aber auch einer der schönsten Jobs. Wenn nicht sogar der allerschönste.

profil: Tun sich zynische Menschen in der Politik leichter?

Maurer: In Einzelbereichen kann das hilfreich sein, insgesamt ist das sicher schädlich. Zynismus bedeutet, das Menschliche zu verlieren. Gerade Rudolf Anschober hat immer ein menschlicher Zugang ausgezeichnet, wie übrigens alle Grüne: Wir brennen für Ideen.

profil: Anschober beklagte bei seinem Abgang, allein gelassen worden zu sein. Wer hat ihn allein gelassen?

Maurer: Natürlich hätte es Gelegenheiten gegeben, wo ihn der Bundeskanzler besser hätte unterstützen können. Zum Beispiel bei manchen Verhandlungen mit den Ländern. Aber man ist in der Spitzenpolitik oft allein. Und man trägt die Letztverantwortung.

profil: Anschober hatte sich immer wieder für Fehler entschuldigt. Ist das ein Schwächezeichen?

Maurer: Im Gegenteil. Es gehört zwar in der Politik dazu, die eigene Arbeit und die eigenen Erfolge bestmöglich zu verkaufen. Aber man muss sich auch für eigene Fehler entschuldigen - sonst entsteht die Erwartung, dass Politikerinnen und Politiker perfekt sind. Das können sie aber nie sein.

profil: Die ÖVP entschuldigt sich selten für Fehler, verfolgt eher die Devise: Alles richtig gemacht.

Maurer: Jede Partei muss entscheiden, wie sie Politik machen möchte. Unser Stil ist das nicht. Unser Anspruch ist, auch Fehler einzugestehen.

profil: Anschober hat bei seinem Rücktritt vielen gedankt - Koalitionspartner ÖVP und Bundeskanzler Sebastian Kurz aber ausdrücklich nicht. Ist es so schlimm, mit der ÖVP zu regieren?

Maurer: Nein. Die Welt ist nicht schwarz-weiß, die Koalitionswelt mit der ÖVP auch nicht. Es gibt Fouls - und es gibt eine gute Zusammenarbeit. Wir sind in der Regierung, um etwas voranzubringen. Anschober kann das, nach über einem Jahr des Durcharbeitens, nicht mehr mit voller Energie leisten. Er hat eine sehr gute und emotionale Abschiedsrede gehalten, die viele zu Tränen gerührt hat. Diese steht für sich.

profil: Auch die Herzerl-Chats aus der türkisen Familie zeigen einen überaus herben Umgang mit Andersdenkenden.

Maurer: Ich erlebe die türkise ÖVP im direkten Gespräch anders als in den abwertenden Chatnachrichten. Wir arbeiten partnerschaftlich zusammen, und letztlich zählt, was wir umsetzen. Gerade im Klimabereich, aber natürlich auch in vielen anderen Bereichen, haben wir da im letzten Jahr sehr viel weitergebracht. Natürlich ist die ÖVP nicht schlecht darin, Dinge als ihren Erfolg zu verkaufen - aber das gehört in der Politik ein Stück weit dazu.

Es wäre gut, wenn wieder einmal eine Regierung die volle Legislaturperiode arbeitet und Projekte umsetzt."

profil: Verkaufen sich die Grünen zu wenig?

Maurer: In der Pandemie war und ist es schwierig, Aufmerksamkeit für andere Themen als Corona zu erlangen. Wir haben aber viel weitergebracht: Klimamilliarden, Erhöhung der Mindestpension, Frühstartbonus oder das Informationsfreiheitsgesetz.

profil: Der neue Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein hat keine Erfahrung in der Spitzenpolitik. Wie soll er gegen gestandene Landeshauptleute oder die regierungserprobte ÖVP bestehen?

Maurer: Erfahrung ist wichtig und hilfreich, aber sicher nicht alles. Gerade in den herausfordernden Pandemiezeiten will die Bevölkerung jemanden, der die Alltagssorgen und Ängste der Menschen kennt - ein Hausarzt ist dafür ideal. Zu viel politische Erfahrung kann auch zynisch machen. Das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, ist in der jetzigen Krise das Wichtigste. Dafür braucht es Ehrlichkeit - und manchmal den Mut zu unpopulären Entscheidungen.

profil: Ist die Pandemie Kitt oder Belastung für die Koalition?

Maurer: Beides. Einerseits hat die Pandemie manches beschleunigt, etwa im Sozialbereich oder bei der Digitalisierung. Andererseits ist der Druck enorm hoch.

profil: Seit Sebastian Kurz ÖVP-Obmann ist, endeten zwei Koalitionen vorzeitig, die mit der SPÖ und die mit der FPÖ. Wird die Koalition mit den Grünen halten?

Maurer: Mein Ziel ist, dass die Koalition funktioniert und hält. Wir Grüne haben einen historischen Auftrag, die Klimakrise zu bekämpfen und die Politik sauberer zu machen, von der Abschaffung des Amtsgeheimnisses bis zum Parteienfinanzierungsgesetz. Prinzipiell halte ich diese schnelle Abfolge von Neuwahlen für demokratiepolitisch problematisch. Es wäre gut, wenn wieder einmal eine Regierung die volle Legislaturperiode arbeitet und Projekte umsetzt.

Wir haben einen Auftrag, zu arbeiten - und nicht uns gegenseitig die Hackln ins Kreuz zu hauen."

profil: Die immer raueren Töne sprechen dagegen. ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Hanger etwa warf den Grünen neulich Postenschacher vor.

Maurer: Das war ein gescheitertes Manöver, um von ÖVP-Mann Thomas Schmid, der sich seinen eigenen Job in der ÖBAG gebastelt hat, abzulenken. Die ÖVP steht sichtlich unter Druck und sucht ihr Heil im Gegenangriff. Derartige taktische Spielchen sind aber kontraproduktiv. Die Bevölkerung will, dass die Regierung arbeitet. Wir haben einen Auftrag, zu arbeiten - und nicht uns gegenseitig die Hackln ins Kreuz zu hauen.

profil: Beim Thema Migration liegen ÖVP und Grüne weit auseinander. Wie oft fragen Sie sich, ob der Preis des Mitregierens zu hoch ist?

Maurer: Fakt ist, wir haben keine Mehrheit im Parlament jenseits der rechten Parteien. Solange sich die Mehrheiten nicht verschieben, können wir in diesen Bereichen nichts verändern. Wir können aber bei vielen anderen Themen gestalten. Es wäre Verrat an unseren Wählerinnen und Wählern, dies nicht zu tun.

profil: Nach der Pandemie stellt sich die Frage der Budgetsanierung. Kommt da der nächste Meinungsunterschied mit der ÖVP?

Maurer: Wir können uns derzeit sehr günstig refinanzieren. Die Frage einer Budgetsanierung stellt sich noch länger nicht und wäre absolut kontraproduktiv. Werner Kogler hat sich da mit seinem Zugang auch bei Finanzminister Gernot Blümel durchgesetzt.

profil: Gegen Minister Blümel wird ermittelt. Als Grüne Oppositionspolitikerin hätten Sie seinen Rücktritt gefordert.

Maurer: Mit meinem derzeitigen Wissensstand sage ich: Das reicht für einen Rücktritt nicht aus. Die Ermittlungen laufen, die Justiz soll in Ruhe arbeiten - auch in Ruhe vor Angriffen der ÖVP. Warten wir ab, was bei den Ermittlungen herauskommt.

 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin