TikTok am Handy
Propaganda

So werden Teenager auf TikTok zur Zielscheibe islamistischer Influencer

Junge Menschen radikalisieren sich zunehmend im Internet – vor allem die Kurzvideo-App TikTok bereitet Expert:innen große Sorgen. Was kann man dagegen tun?

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Ein Leben ohne TikTok ist für viele junge Menschen kaum mehr vorstellbar. Die Kurzvideoplattform gilt als Lieblings-App der Generation Z, mittlerweile sind dort auch österreichische Politiker:innen wie Europaministerin Karoline Edtstadler (sie zählt ganze 24.300 Follower) oder der NEOS–Nationalratsabgeordnete Yannick Shetty (mit 49.100 Follower fast schon ein TikTok-Star) vertreten. Auch, um junge Wähler:innen anzusprechen.

Rund 1,75 Millionen Österreicher:innen verwenden TikTok, viele der User:innen sind unter 18 Jahre alt. TikTok ist schon ab dreizehn Jahren zugelassen, eine richtige Alterskontrolle gibt es jedoch nicht – manche User:innen sind deutlich jünger. 

Beim Scrollen fallen viele in so genannte „Rabbit Holes“ – also in den Zustand, in dem man mit gebannter Aufmerksamkeit stundenlang nur noch Inhalte auf einem sozialen Netzwerk konsumiert. Diese „Rabbit Holes“ können einerseits lustige Katzenvideos und Tänze sein, andererseits aber auch brutale, radikale Propaganda und Fake News.

„Heutzutage ist es nicht mehr notwendig, dass Islamprediger in Moscheen gehen, die Radikalisierung findet online statt“, warnt Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus Boja, bei einem parlamentarischen Roundtable Anfang der Woche. Mehrere Expert:innen haben sich dafür am Montagabend im Palais Epstein eingefunden, um über die Gefahren von Radikalisierung auf TikTok zu sprechen. profil war vor Ort.

Identitätssuche auf TikTok

Vor allem junge User:innen sind für Online-Radikalisierung anfällig: Sie suchen im Internet häufig Antworten auf existenzielle Fragen. Was Kinder früher ihre Eltern oder Freund:innen gefragt haben, darüber erkundigen sie sich nunmehr auf TikTok. Der Algorithmus ist zudem abgestimmt darauf, seine User:innen zu emotionalisieren und zu manipulieren, erklärt Matthias Jax von Safer Internet: „TikTok hat seinen Algorithmus perfektioniert. Kein anderes Medium hat so eine große Bandbreite an verschiedenen Inhalten und Themen.“ Und: Radikale wissen diese Vulnerabilität für sich zu nutzen.

Zusatzgefahr Falschinformation

TikTok fungiert nicht nur bei emotionalen Fragen als Beraterin, sondern dient vielen Jugendlichen als Nachrichtenplattform und Informationsquelle. Expert:innen kritisieren jedoch, dass Falschinformationen oder radikale Inhalte gar nicht oder erst sehr spät entfernt werden. 

Seit der Eskalation im Nahen Osten im Oktober habe sich die Situation noch einmal zugespitzt, beobachten die Expert:innen: Gefälschte Videos aus den Kriegsgebieten kursieren seitdem vor allem auf den TikTok-Feeds junger Menschen.

Wie kann man junge Menschen vor Radikalisierung und Fake News schützen? Die Expert:innen sind sich einig: TikTok zu verbannen, wie es in manchen Ländern angedacht wird, ist keine Lösung. Generell seien Regulierungen oder Maßnahmen auf nationaler Ebene nicht sinnvoll – man müsste auf europäischer Ebene ansetzen, so die Expert:innen.

Dies passiert zum Teil bereits: Die EU-Kommission ermittelt gegen TikTok, unter anderem aufgrund fehlender Transparenz bei Werbeanzeigen und einem Algorithmus, der süchtig machen und insbesondere für junge User:innen manipulieren soll. Dem chinesischen Techkonzern droht mitunter eine hohe Geldstrafe.

Medienkompetenz als Prävention

Wichtiger als Regulierungen und Diskussionen über Verbote ist, darüber sind sich die Expert:innen einig, Präventionsarbeit – bevor die jungen User:innen in Berührung mit problematischen oder manipulativen Inhalten kommen.

Das sei allerdings auch eine Ressourcenfrage, argumentiert Markus Decan vom Bundesverband für Elternvereine: „Auf der einen Seite haben wir überforderte Eltern, die selbst nicht checken, wie TikTok funktioniert. Auf der anderen Seite kann man die Aufklärungsarbeit Lehrkräften nicht aufdrängen, weil sie ohnehin schon überfordert sind und die nötige Expertise nicht haben.“

Verbesserungsvorschläge und Forderungen an die Politik richten die Expert:innen einige: Darunter eigene Fortbildungen für Lehrer:innen, den verstärkten Einsatz externer Lehrkräfte, sowie die Förderung journalistischer, faktenbasierter Accounts auf TikTok.

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.