Kanzler gehen, Sozialpartner bleiben

Sozialpartner: Der Überlebenskampf der Polit-Dinosaurier

Reinhold Mitterlehner legt sich mit den Sozialpartnern an. Löblich, aber aussichtslos: Warum der Vizekanzler scheitern muss.

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MITARBEIT: JAKOB WINTER

Wo schon der alte Kaiser die Sommerfrische genoss, gefällt es auch republikanischen Würdenträgern. Seit 2006 treffen die Sozialpartner alljährlich zu Herbstbeginn zum „Bad Ischler Dialog“ zusammen. Beim vorjährigen Treffen wirkte die Stimmung im Kongresshaus der Kurstadt etwas getrübt. Schuld waren die Ischler Kaufleute, die ihre Geschäfte auch gern am 8. Dezember zu Mariä Empfängnis aufsperren und damit gegen die Gebote von Arbeiterkammer und ÖGB verstoßen. Deren Drohung: Eine Stadt, in der gegen Ladenöffnungszeiten verstoßen werde, sei kein geeigneter Tagungsort; der nächste Sozialpartner-Dialog könnte woanders stattfinden. Dem Ischler SPÖ-Vizebürgermeister – und ÖGB-Funktionär – Josef Reisenbichler gelang es laut „Oberösterreichischen Nachrichten“, das Problem zu lösen. Die Geschäfte bleiben zu. Daher werden im September die Präsidenten von Wirtschaftskammer (Christoph Leitl), Arbeiterkammer (Rudi Kaske), ÖGB (Erich Foglar) und Landwirtschaftskammer (Hermann Schultes) guten Gewissens in Bad Ischl tagen. Von Kaske sind wieder Sätze wie dieser zu erwarten: „Die Sozialpartner sind nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.“

Vor allem ist die Sozialpartnerschaft ein großes Teil im Machtapparat der Republik Österreich und seit 2008 sogar in der Bundesverfassung verankert. Die Sozialpartner brauchen keine Lobby, weil sie selbst in Regierung und Parlament sitzen; sie bestellen sich Gesetze und Verordnungen; sie legen fest, wer wie lange arbeitet, wie viel dabei verdient wird und ob Gebietskrankenkassen Hüftoperationen zahlen. Kanzler gehen, Sozialpartner bleiben. So viel Macht bringt keine gute Nachrede. Seit Jahren gelten sie als die letzten Dinosaurier der Zweiten Republik. Zu Recht?

Christoph Leitl ist der längstgediente aller Sozialpartner. Seit dem Jahr 2000 steht er an der Spitze der Wirtschaftskammer. Wo immer Leitl hinkommt, ob Bozen oder Bangalore, lobt er die Errungenschaften der österreichischen Sozialpartnerschaft. Leitl vergangene Woche gegenüber profil: „Wohlstand und sozialer Friede sind keine Selbstverständlichkeit. Wohin es führt, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber keine vernünftige Basis finden, zeigt sich gerade bei den Streiks in Frankreich.“

Dass Arbeiter Barrikaden errichten und Autoreifen anzünden, ist in Österreich tatsächlich nicht an der Tagesordnung. Gern erzählt Leitl eine seiner Lieblingsgeschichten: Vor Jahren standen im BMW-Motorenwerk in Steyr die Laufbänder still, weil die Gewerkschaft zu ausgedehnten Betriebsversammlungen geladen hatten. Als die Produktion gefährlich ins Stocken geriet, reichte ein Anruf auf höchster Ebene. Die Bänder liefen wieder an.

In Österreich wird eben symbolisch gestreikt. Im Gegenzug erwarten sich die Gewerkschaften, dass die Arbeitgeber dies bei Lohnverhandlungen auch würdigen.

Mitterlehner für "Umorientierung"

In der Vorwoche löste ein früherer leitender Angestellter von Christoph Leitl Empörung bei ÖGB und Arbeiterkammer aus: Reinhold Mitterlehner. Der ÖVP-Vizekanzler – von 2000 bis 2008 Generalsekretär der Bundeswirtschaftskammer – legte den Sozialpartnern in einem „Kurier“-Interview „eine Umorientierung“ nahe. Mitterlehner: „Die Arbeitnehmer-Vertreter fordern ständig Ausweitungen sozialer Rechte und Schutzbestimmungen. Die Arbeitgeber fordern ein Riesen-Paket an Maßnahmen und Steuererleichterungen, ohne die Gegenfinanzierung darzustellen.“

Rudi Kaske warf Mitterlehner daraufhin „untergriffige Argumentation“ vor. Und Christoph Leitl meinte: „Gerade von der Regierungsstelle, die in letzter Zeit nicht durch erregende Performance aufgefallen ist, brauchen wir uns das nicht sagen lassen.“ Reinhold Mitterlehner reagierte mit dem ältesten aller Argumentationstricks: „Wenn man die ganze Empörung jetzt hernimmt, ist das eher eine Bestätigung, dass die Vorwürfe in der Sache nicht falsch sind.“

Im Gegensatz zu den geeinten Sozialpartnern bleibt Mitterlehner mit seiner Kritik allein. Der neue Kanzler Christian Kern lobt die Gewerkschaften seit seinem Amtsantritt demonstrativ. Schon als ÖBB-Chef galt Kern als Hackler-Versteher. Immerhin kündigte der Kanzler eine Studie zur möglichen Reduzierung der von den Sozialpartnern kontrollierten 22 Sozialversicherungen an. Studien gelten allerdings als verlässlicher Hinweis darauf, dass baldige Reformen beim Studienobjekt auszuschließen sind.

Gegen die von Mitterlehner geforderte Liberalisierung der Gewerbeordnung will sich die Wirtschaftskammer – so ist zu hören – nicht sperren, auch wenn die Erfahrung anderes lehrt. Im Herbst 2012 hatte das Wirtschaftsministerium das Fotografengewerbe liberalisiert. Ein paar Reglementierungen blieben auf Druck der Kammer übrig. So sollten Fotografen erst nach dreijähriger Berufserfahrung von Privatpersonen für Hochzeiten oder Taufen engagiert werden dürfen. Der Verfassungsgerichtshof kassierte im Dezember 2013 auch diese Beschränkung. Die Begründung: Bei der Ausübung des Fotografenberufs seien keine Gefahren für Leib und Leben der Kunden zu erwarten, Reglementierungen daher nicht notwendig. Der Bundesinnungsmeister der Berufsfotografen stänkerte daraufhin in der „Presse“: „Ein paar ahnungslose Richter haben eine falsche Entscheidung getroffen.“

Heikle Gewerbe wie etwa Augenoptiker, Installateure und Schädlingsbekämpfer werden freilich auch in Zukunft einen Kompetenznachweis benötigen. Und auch Tätowierer müssen bei ihrer Befähigungsprüfung weiterhin einschlägige Fragen beantworten: „Welcher Nerv versorgt die Gesichtsmuskulatur motorisch? – „Was ist ein Sekret, und wie wirkt es?“ – „Wie erkennt man Herpes genitalis?“

Detailwissen zu Geschlechtskrankheiten als Voraussetzung für den Tätowierer-Beruf hemmt das österreichische BIP-Wachstum nur bedingt, das heimische Arbeitszeitrecht nach Ansicht der Wirtschaft umso mehr.

Einigung nicht absehbar

Auf eine Reform konnten sich die Sozialpartner bisher nicht einigen. Die Wirtschaft fordert mehr Flexibilität und den Zwölf-Stunden-Tag (bei insgesamt gleicher Monatsarbeitszeit), die Arbeitnehmer verlangen im Gegenzug eine Arbeitszeitverkürzung und eine sechste Urlaubswoche. Eine Einigung ist nicht absehbar – obwohl die Reform schon im Regierungsprogramm 2013 angekündigt wurde.

Kein Wunder, dass so manches Regierungsmitglied offen über eine Entmachtung der Sozialpartner räsoniert. So schlug Finanzminister Hans Jörg Schelling im vergangenen Herbst vor, den Sozialpartnern bei Reformen Fristen zu setzen, nach deren Ablauf die Regierung ohne sie entscheiden solle. Dabei stand Schelling als ehemaliger Vizepräsident der Wirtschaftskammer und Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger selbst an der erweiterten Spitze der Sozialpartnerschaft.

Regierungsentscheidungen ohne Sozialpartner scheitern freilich schon daran, dass diese in der Regierung sitzen. Im Gegensatz zu Schelling will sich Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser als ehemalige Vizepräsidentin des ÖGB mit den Sozialpartnern nicht anlegen. Sozialminister Alois Stöger war Sekretär der Metaller-Gewerkschaft und Obmann der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse. Von Schellings Vorstoß hält er wenig: „Wenn ich in der Sozialpartnerschaft kein Ergebnis habe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich auch im Parlament keines habe, sehr groß.“ Schöner kann man die Rolle der Sozialpartnerschaft in der österreichischen Realpolitik eigentlich nicht beschreiben.

Laut einer Berechnung des Politikwissenschafters Laurenz Ennser-Jedenastik lag der Anteil der Regierungsmitglieder mit sozialpartnerschaftlichem Hintergrund in den 1970er-Jahren bei über 40 Prozent, in der Ära von Kanzler Franz Vranitzky etwa bei 30 Prozent und in den SPÖ-geführten Regierungen der vergangenen zehn Jahre bei einem Viertel.

Unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel (2000 bis 2007) waren Sozialpartner mit einem Tiefstwert von 13 Prozent kaum repräsentiert. Arbeiterkammer und ÖGB galten Schüssel als natürliche Feinde bei seinen Reformen. Und auch die eigenen schwarzen Sozialpartner hielt er aufgrund ihres großkoalitionär geprägten Wesens für Gegner.

Gegen die Pensionsreform des ÖVP-Kanzlers organisierte der ÖGB im Mai 2003 eine der größten Demonstrationen der Zweiten Republik. Am Ende musste selbst Wolfgang Schüssel teilweise kapitulieren und die Sozialpartner an den Verhandlungstisch zurückbitten.

Dass nun Reinhold Mitterlehner auf Wolfgang Schüssels Spuren wandelt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Während Schüssels Kanzlerschaft galt der damalige ÖVP-Abgeordnete als unsicherer Kantonist, der sich der Entmachtung der Sozialpartner entgegenstellte.

Die Sozialpartner-Sündenliste

Zehn Jahre später ist die schwarze Sozialpartner-Sündenliste wohl nicht kürzer als weiland unter Schüssel.

Ladenöffnungszeiten: Erst im Juni wurde der Betreiber dreier Adeg-Geschäfte in Salzburg zu einer drakonischen Strafe von 70.000 Euro verdonnert, weil er seine Märkte in den Tourismusgemeinden Bad Gastein, Altenmarkt und Maishofen am 27. Dezember, einem Sonntag, offen gehalten hatte. Eine Liberalisierung wird von Gewerkschaft und Wirtschaftskammer abgelehnt.

Pensionen: Die auch von den Sozialpartnern beschickte Pensionskommission lieferte in den vergangenen Jahren kaum brauchbare Konzepte ab.

Arbeitsmarkt: Monatelang scheiterten die Sozialpartner an einer Einigung zum Bonus-Malus-System, das ältere Arbeitnehmer länger in Beschäftigung halten soll. Erst im vergangenen Oktober gelang beim Arbeitsmarktgipfel der Regierung die Reform, allerdings in einer Light-Variante.

Des Weiteren blockierten rote und schwarze Sozialpartner aus Sicht der ÖVP bei der Schulautonomie, der Lockerung des Berufsschutzes, bei Maßnahmen gegen den Sozialmissbrauch, der Altersteilzeit, der Rot-Weiß-Rot-Karte und beim Wett­bewerbsgesetz.

Auf die Kritik der ÖVP antworten Arbeiterkammer und Gewerkschaft mit ihrer eigenen Erfolgsbilanz. Ganz oben: die Kurzarbeit, dank der Österreich ohne Entlassungswellen durch die Wirtschaftskrise 2009 kam; dazu die Steuerreform mit Milliarden-Entlastung und die Reform bei Invaliditätspensionen. Außerdem verhandeln die Sozialpartner mehr als 700 Kollektivverträge.

Einig sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darin, dass die Verhinderer nicht in der Sozialpartnerschaft, sondern in der Koalition zu finden sind. So habe man vor wenigen Wochen der Regierung ein Papier zur Integration von Flüchtlingen übergeben, aber bis dato keine Antwort erhalten. Auch das große Konzept zu einer umfassenden Bildungsreform werde von SPÖ und ÖVP ignoriert.

Verhältnis der Spitzenrepräsentanten schwächelt

Zum Teil liegt die derzeitige Schwäche der Sozialpartner auch am Verhältnis ihrer Spitzenrepräsentanten. Christoph Leitl konnte besser mit den früheren ÖGB-Präsidenten Rudolf Hundstorfer und Fritz Verzetnitsch als mit Erich Foglar. Man leistet freilich Beziehungsarbeit. Vergangenen Sommer trafen Leitl, Kaske, Schultes und Foglar erstmals zum freien Gedankenaustausch im Büro des ÖGB-Präsidenten zusammen. Die Krawatten saßen etwas lockerer, wie ein Teilnehmer berichtet, und man dachte über die großen Themen nach. Ob er denn endloses Wachstum wirklich für realistisch halte, wurde Leitl etwa von den Gewerkschaftern gefragt. Dieses Jahr ist der Wirtschaftskammer-Präsident an der Reihe. Für Anfang Juli lud er seine Präsidentenkollegen zu sich ins Büro.

Die junge Garde der Sozialpartnerschaft sieht die Altvorderen durchaus kritisch. „Da sitzen sich seit 30 Jahren dieselben Leute gegenüber, alles muss immer abgetauscht werden, und dann geht nichts weiter“, sagt Sascha Ernszt. Der Elektroenergietechniker ist seit drei Jahren Vorsitzender der Gewerkschaftsjugend. Den Sozialpartner-Dschungel kennt er aus der Nähe. So bekommt ein Lehrling in der Metallindustrie seine Internatskosten vom Arbeitgeber komplett erstattet, sein Kollege im Metallgewerbe aber nur zum Teil. Auch Herbert Rohrmair-Lewis, Chef der Jungen Wirtschaft, hält nichts vom Gibst-du-mir-geb-ich-dir-Mechanismus in der Sozialpartnerschaft: „Den politischen Abtausch versteht in der Bevölkerung kaum jemand. Es gibt einfach gute Ideen, die man umsetzen muss.“

Im Gegensatz zu Reinhold Mitterlehner hat die Bevölkerung den Glauben an die Sozialpartnerschaft noch nicht verloren. Laut einer Umfrage von Unique research für profil hält eine Mehrheit von 61 Prozent die Sozialpartnerschaft für nützlich. Meinungsforscher Peter Hajek: „Die vielgescholtenen Sozialpartner haben in der Bevölkerung einen besseren Ruf, als so manche Politiker annehmen.“

Harald Mahrer zum Beispiel: Beim Bad Ischler-Dialog 2015 sprach der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zuerst zum Thema – „Digitale Wirtschaft und Arbeitswelt“ – und attackierte dann seine Gastgeber: Die Sozialpartnerschaft sei für den „Stillstand im Land“ verantwortlich.

Da konnte auch der Ischler Vizebürgermeister Josef Reisenbichler nicht mehr vermitteln.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.