Josef Cap (links) im Gespräch mit Maria Maltschnig und profil-Redakteur Clemens Neuhold

Das neue SPÖ-Parteiprogramm - ein Streitgespräch

Ein neues SPÖ-Parteiprogramm, zwei Autoren. Urgestein Josef Cap begann 2014 damit, bevor er 2016 durch die junge Maria Maltschnig ersetzt wurde, jetzt ist das Grundsatzpapier fertig. Ein Streitgespräch.

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profil: Wie viel Cap steckt im neuen Parteiprogramm? Maltschnig: Wie stark findest du dich denn darin wieder? Cap: Der Anfangsspirit ist dabei. Im weiteren Prozess sind auch Dinge dazugekommen, die nicht meine Zustimmung finden. So bin ich strikt dagegen, dass schon eine Minderheit der Mitglieder darüber bestimmen darf, mit wem die SPÖ eine Koalition eingehen soll. Das führt nicht zu mehr Demokratie. Maltschnig: Wir haben dafür nach Deutschland geschaut. Die SPD hat ihre Mitglieder über die Koalition mit der CDU abstimmen lassen, was diese extrem geschätzt haben. Das ist natürlich eine Demokratisierung. Außerdem müssen mindestens 20 Prozent der Mitglieder an der Abstimmung teilnehmen, damit sie bindend ist. Cap: Wir haben seit den 1970er-Jahren sehr viele unserer Mitglieder verloren. Bei der 20-Prozent-Hürde könnten schon 20.000 Mitglieder über eine Koalition bestimmen. Das ist von der Gewichtung im Vergleich zu den rund 1,4 Millionen Wählerinnen und Wählern, die uns zuletzt gewählt haben, undemokratisch. Maltschnig: Warum ist es besser, wenn sich das wie derzeit 30 Parteifunktionäre im Hinterzimmer ausmachen? Cap: Auf Basis einer Mehrheit des Parteirates entscheidet am Ende der Vorsitzende. Er hat das Vertrauen der Wähler.

profil: Der neue Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig für den Sie, Herr Cap, gelaufen sind, hat einen ähnlichen Zugang. „Am Ende entscheidet der Bürgermeister“, lautet sein Credo. Cap: Emmanuel Macron meinte, die moderne Antwort auf illiberale Strömungen ist nicht die autoritäre Demokratie, sondern die Autorität durch Demokratie. Maltschnig: Mehr Mitbestimmung in der SPÖ zu ermöglichen, ist sehr modern. Das Selbstverständnis hat sich gegenüber den 1970er-Jahren stark verändert. Wohnungen und Jobs können wir unseren Mitgliedern nicht mehr versprechen, sondern nur noch eines: dass sie ihren Teil beitragen können, die Welt besser zu machen.

Diese Regelung führt dazu, dass besonders junge Aufmüpfige kaum mehr eine Chance haben. (Josef Cap)

profil: Sehr kritisch sieht Ludwig den Vorschlag, wonach sich SPÖ-Politiker nach zehn Jahren aus ihren Funktionen zurückziehen sollen. Maltschnig: Man kann auch nach zehn Jahren weitermachen, wenn man ein Zweidrittelvotum übersteht. Ich finde das Signal der Zehnjahresfrist wichtig, weil man eine Funktion nicht auf Lebenszeit garantiert hat. Das verhindert eine gewisse Bequemlichkeit. Cap: Nein. Diese Regelung führt dazu, dass besonders junge Aufmüpfige kaum mehr eine Chance haben. Du motivierst zu Angepasstheit in der zweiten Periode, damit du überlebst. Ein Drittel Streichungen geht aber ganz schnell. Bei manchen Bundesparteitagen hatte ich die schon, bevor ich gegrüßt habe. Maltschnig: Die Angst vor den Angepassten ist übertrieben. Ob man in einer Partei Widerspruch aushält, ist eine Kulturfrage und unabhängig von der Dauer der Amtsperiode. Zentral ist ein gewisser Selbstschutz vor Bequemlichkeit.

Josef Cap (66) war neben Jakob Auer (ÖVP) der längstdienende Abgeordnete im Hohen Haus (1983–2017). Der einstige SPÖ-Rebell, Klubchef und Fixstern am Rednerpult warf sich zuletzt für die Machtüber­nahme des neuen Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig ins Z

profil: Haben Sie sich in 34 Jahren Parlament davor geschützt, Herr Cap? Cap: Insbesondere durch direkten Kontakt mit den Vorzugsstimmenwählern. Mein Reformansatz wäre, die Vorzugsstimmenhürden so abzusenken wie schon 2013 zwischen SPÖ und ÖVP beschlossen. Die ÖVP hat parteiintern diesen Weg längst beschritten, damit die Wähler echt mitentscheiden können. profil: Umweltschutz nimmt eine überraschend prominente Rolle im Programmentwurf ein. Das wird die Autofans in SPÖ und Gewerkschaft nicht freuen. Maltschnig: Unseren Mitgliedern war das Thema sehr wichtig, und auch ich bin im Zweifel dafür, beim Umweltschutz mutig zu sein. Die ökologische Frage ist eine soziale. Arme sind viel stärker von Umweltverschmutzung und Klimawandel betroffen.

profil: Könnte es sein, dass der Wiener Richtungsstreit zwischen rechtem und linkem Parteiflügel nun zwischen Wien und Bund weitergeht? Der vermeintlich rechtere Ludwig protestierte schon als Stadtrat gegen Ihre Bestellung zur Chefin der roten Parteiakademie. Maltschnig: Nein. Er war damals unglücklich darüber, wie meine Bestellung öffentlich wurde. Das habe ich gut verstanden. profil: Wird Ludwig dem neuen Programm zustimmen? Maltschnig: Ich denke schon. Cap: Da haben wir immerhin noch den Parteitag vor uns.

Eine Sündenbockpolitik gefährdet den Sozialstaat als Ganzes.

profil: Was haben Sie sich noch kritisch markiert, Herr Cap? Cap: „Es braucht eine europäische, nicht nationalstaatliche Perspektive“, steht da. Auch ich bekenne mich zu Europa, aber ich will, dass kleine Länder wie Österreich mit ihren sozialen Errungenschaften nicht untergehen. Maltschnig: Wovor fürchtest du dich? Cap: Vor niedrigeren Standards im Gesundheits- und Sozialbereich. Unsere Errungenschaften drohen über das neoliberale und neokonservative Dach Europa ausgeräumt zu werden. Deswegen muss Österreich Österreich bleiben. Maltschnig: Auch bisher blieben wir von den EU-Mehrheiten nicht unberührt und mussten eine Schuldenbremse einführen. Es gibt keinen Plan B zur EU. Die Europa-Begeisterung unter unseren Mitgliedern ist enorm hoch. Cap: Macron fordert einen EU-Finanzminister. Das darf nicht auf Kosten der Budgethoheit der nationalen Parlamente gehen.

profil: Wir sitzen in einem türkischen Lokal am Wiener Brunnenmarkt. Draußen verkaufen Syrer Gewürze, die Solidarität in der Gesellschaft schwindet, auch durch die starke Zuwanderung. Ist das eine Gefahr für das gemeinsame Sozialsystem? Maltschnig: Der Sozialstaat, wie wir ihn kennen, ist die größte gesellschaftliche Errungenschaft. Er ist effizient und ein wirkungsvolles Instrument zur Armutsbekämpfung und damit auch zur Kriminalitätsprävention. Das vergisst man in der aufgeheizten Zuwanderungsdebatte. Eine Sündenbockpolitik gefährdet den Sozialstaat als Ganzes. Cap: Es sind zu rasch zu viele Menschen zugewandert. Mir gefällt der Satz im Parteiprogramm „Integration vor Zuwanderung“ deswegen sehr gut. Aber generell brauchen Sozialstaat und Wirtschaft Zuwanderung, um sich weiterzuentwickeln. Maltschnig: Da stimme ich dir zu. Migrationsfeindliche EU-Länder wie Ungarn oder Tschechien kämpfen mit Abwanderung und Arbeitskräftemangel.

Maria Maltschnig (32) ist Direktorin des Renner-Instituts und übernahm von Josef Cap die Arbeit am Parteiprogramm.  Maltschnig war Kerns Kabinettschefin im Bundeskanzleramt und in dessen Zeit als ÖBB-Chef seine Assistentin. Davor arbeitete die studierte V

profil: Es fehlt offenbar das Gefühl, dass die Zuwanderer von heute die Österreicher von morgen sein werden. Maltschnig: Diese Situation gab es in Österreich ja auch früher. Die Flüchtlinge aus dem Jugoslawienkrieg und deren Kinder sind aus Österreich nicht mehr wegzudenken. Geschlossene Parallelgesellschaften, wie es sie zum Beispiel in Großbritannien gibt, sind hier eher problematisch, vor allem, wenn sich dort konservative, patriarchale Strukturen verfestigen, die die Freiheit von Mädchen und Frauen einschränken. profil: Das Kopftuch sei eine Bereicherung, sagte Ex-Bürgermeister Michael Häupl. Cap: Definitiv nein. Nirgends im Koran steht, dass Frauen ihre „Reize“ vor den Männern verbergen müssen – schon gar nicht Mädchen im Kindergarten und in der Volksschule. Maltschnig: Menschen muss es möglich sein, ihre Religion frei auszuüben. Die Sozialdemokratie hat schon im Programm von 1978 die Leistungen religiöser Gemeinschaften für die Gesellschaft anerkannt. Diese Akzeptanz prägt uns. Wir stellen uns im Parteiprogramm aber dagegen, dass im Namen der Religion patriarchale Strukturen verfestigt werden. Dass Migration nicht nur menschlich, sondern klar geregelt ablaufen muss, ist Konsens in der SPÖ. Das Thema hat uns bei den internen Debatten deswegen auch viel weniger Kopfzerbrechen bereitet als etwa das Grundeinkommen.

profil: Das liegt vielleicht daran, dass an solchen Diskussionsrunden eher Studierende mit Tagesfreizeit als prekär Beschäftigte und Lehrlinge teilnehmen. Maltschnig: Das wissen wir. Deswegen haben wir einen Teil der Mitglieder per Losentscheid angeschrieben und gebeten, mitzudiskutieren. So wollten wir alle sozialen Gruppen in der Partei erreichen. profil: Braucht es in Zeiten der Automatisierung und Digitalisierung ein Grundeinkommen für alle? Maltschnig: Wir haben die Idee rasch verworfen. Es käme so teuer, dass man dafür einen großen Teil des Sozialstaats abschaffen oder die Staatsquote auf 70 Prozent des BIP erhöhen müsste. Das ist völlig illusorisch.

Interview: Clemens Neuhold; Fotos: Michael Rausch-Schott

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.