Stationen einer Abschiebung: Zurück in Österreich

Die Beamten kamen in den frühen Morgenstunden. Das machen sie immer, um wenig Aufsehen zu erregen, sagen Flüchtlingshelfer. Seit Wochen schiebt das Innenministerium Flüchtlinge, die im Vorjahr nach Österreich gekommen sind, nach Kroatien ab.

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Im November 2016 traf es Farzad, 18, aus Tulln. Die profil-Journalistin Franziska Dzugan lernte den jungen Afghanen vor einem halben Jahr kennen. Er hat sich einer Runde angeschlossen, die ein- bis zweimal in der Woche gemeinsam laufen geht. Sie hat Farzad als verlässlichen, großzügigen und sportlichen jungen Mann kennengelernt, der immer ein Vokabelheft dabei hat.

Dzugan dokumentiert aus nächster Nähe, wie ein Mensch, der ihr ans Herz gewachsen ist und an dessen kleinen Erfolgen und Niederlagen sie Anteil genommen hat, verschwunden ist und nun zurückkehrte.

Am Montag, 27. März, wird Farzad wieder mit seinen Mitschülern in der Klasse sitzen – dort hatten ihn die Polizisten vor vier Monaten abgeholt.

Samstag, 19. März

Freunde holen Farzad mit dem Auto in Zagreb ab. Er war im Hotel Porin eine Vertrauensperson für viele andere Flüchtlinge, und alle wollen sich verabschieden. Am späten Abend passiert er mit den dazu nötigen Papieren die Grenze nach Österreich. In Langenlebarn erwartet ihn eine Willkommensparty. Er hat stark abgenommen und ist müde, aber er strahlt: „Ich fühle mich hier zuhause“, sagt Farzad.

Freitag, 18. März

Es ist offiziell: Farzad darf nach vier Monaten in Zagreb zurück nach Österreich. Der Verwaltungsgerichtshof hat seinem Antrag auf aufschiebende Wirkung stattgegeben. Farzads Asylverfahren läuft also weiter, er darf sich währenddessen wieder in Tulln aufhalten. „Ich bin so glücklich“, sagt Farzad am Telefon.

2. Jänner 2017

11 Uhr: „Sie sind mit Knüppeln auf eine Gruppe Flüchtlinge losgegangen“, berichtet Farzad am Telefon. Er ist sehr aufgebracht. In Zagreb ist es in den vergangenen Tagen zu mehreren gewalttätigen Übergriffen durch Einheimische gekommen. Einige Flüchtlinge mussten im Krankenhaus behandelt werden. Farzad hat Angst, die Unterkunft zu verlassen.

12 Uhr: Die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft Hotel Porin in Zagreb demonstrieren friedlich gegen die rassistische Gewalt, der sie zunehmend ausgesetzt sind. Er werde auf der Straße immer wieder angefaucht, erzählt Farzad. „Schleicht euch in euer Lager“, zischen die Leute, so viel Kroatisch versteht er inzwischen. „Wegen des Rassismus gegen bin ich aus dem Iran geflüchtet. Nun ist es hier genauso“, sagt der junge Afghane.

Mittwoch, 14. Dezember

14 Uhr

Farzad hat über die Plattform Border Crossing Spielfeld, die sich von Österreich aus um die abgeschobenen Flüchtlinge kümmert, Kontakt zum Goethe-Institut in Zagreb aufgenommen. Dort gibt es deutsche Bücher, eine Play Station und gratis Internet. „Das ist ein sehr guter Platz. Sie haben auch ein Zimmer zum Musikhören“, freut sich Farzad. Seit er eine Zutrittskarte bekommen hat, verbringt er dort viel Zeit.

1300 Menschen haben inzwischen die Petition gegen Farzads Abschiebung unterschrieben. Seine Freunde sammeln weiter Unterschriften. Farzad hofft, auf legalem Weg nach Österreich zurückzukehren.

Warteschlange vor der Essensausgabe im Hotel Porin.

Montag, 12. Dezember

12 Uhr

Ein Bekannter von Farzad, der ebenfalls aus Österreich abgeschoben worden ist, kehrt zurück. Mit dem Bus fährt er zur kroatischen Grenze, von dort schlägt er sich zu Fuß nach Wien durch. Zwei Tage ist er unterwegs, bis er schließlich ankommt.

Er ist kein Einzelfall. „Wir gehen davon aus, dass sich täglich zehn bis 15 Menschen auf den Weg machen“, sagt Birgit Roth von der Plattform Border Crossing Spielfeld. Manche werden von kroatischen Grenzpolizisten entdeckt. Haben die Flüchtlinge Geld dabei, setzen sie die Polizisten in den Bus zurück nach Zagreb. Haben sie kein Geld, lässt die Polizei sie an der Grenze wieder laufen.

Manche, wie der Bekannte von Farzad, versuchen, wieder in Österreich unterzukommen. Er stellt nun einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Asylverfahrens, was ihn vor einer neuerlichen Abschiebung schützt. Das Problem: Die Bearbeitungsfrist des Verfahrens dauert sechs Monate, in denen der junge Afghane keinen Anspruch auf die Grundversorgung hat. Für die Helfer in Österreich ist es eine enorme Aufgabe, einen zurückgekehrten Flüchtling zu versorgen. Oft sind ihre Unterkünfte schon wieder vergeben, und es gibt keine finanzielle Unterstützung.

Nicht alle gehen zurück nach Österreich. Manche machen sich von Kroatien auf nach Deutschland oder über Italien nach Frankreich. Das ist mit ein Grund, warum die Bayern an ihren Grenzen derzeit wieder verstärkt kontrollieren. Ihre größte Sorge gelte Frauen und Jugendlichen, die sich häufig allein auf den Marsch durch Europa machen, sagt Flüchtlingshelferin Birgit Roth: „Sie gehen niemandem ab. Wer weiß, wie viele von ihnen verschwinden?“

Donnerstag, 8. Dezember

16 Uhr

Der Freund wird aus dem Krankenhaus entlassen. „Ich glaube es geht ihm besser“, meint Farzad.

Dienstag, 6. Dezember

14:30 Uhr

Einer von Farzads Freunden im Hotel Porin schneidet sich mit einem Messer die Hände auf. Er ist ebenso wie Farzad aus Österreich abgeschoben worden und kommt in Kroatien nicht zurecht. Er ist so verzweifelt, dass er sogar zurück will in den Iran. Die kroatischen Behörden sagten ihm, er müsse die 600 Euro für den Flug selbst bezahlen. Eine völlig absurde Summe für jemanden, der 14 Euro im Monat vom kroatischen Staat erhält. Farzad fährt mit seinem Freund im Rettungswagen ins Krankenhaus und bleibt bis spät in der Nacht bei ihm. Als er heimgehen will, bemerkt er, dass er seine Jacke, sein Handy und sein Geld in der Flüchtlingsunterkunft vergessen hat. Zwei Stunden wandert er frierend durch die fremde Stadt zurück ins Hotel Porin.

Montag, 5. Dezember

11 Uhr

Farzad freut sich sehr auf den Besuch seines Verwandten, der bald im Hotel Porin ankommen wird. Am Telefon wirkt er fröhlich wie lange nicht: "Ich habe gerade das Zimmer geputzt für meinen Gast."

5 Uhr

Ein Verwandter von Farzad, der schon seit Jahren in Österreich lebt, macht sich heute Morgen auf nach Zagreb, um ihn zu besuchen. Viele haben ihm etwas mitgegeben. Hauptsächlich braucht Farzad warme Kleidung – im Hotel Porin ist es bitterkalt. Wollsocken, Decken, Schmerzgel für sein schon länger verletztes Knie, Ersatz für sein gestohlenes Ladekabel und ein paar Leckereien zum Nikolaus sind nun auf dem Weg ins Hotel Porin. Seine Fußballschuhe, um die er ursprünglich gebeten hat, bleiben doch in Tulln. "Schickt sie bitte nicht mit, hier wird so viel gestohlen", schreibt Farzad an seine Freunde. Und: "Ich hoffe ich kann zurück."

Warme Sachen für Farzad. In seinem Zimmer ist der Heizkörper kaputt, durch die Fenster pfeift der Wind.

Freitag, 2. Dezember

14 Uhr

Die rechtliche Situation bleibt unüberschaubar, der Anwaltstermin hat wenig ergeben. Die kroatischen Behörden wollen, dass sich Farzad nun in Zagreb registrieren lässt. Er weigert sich, weil er befürchtet, dass ihm bei einer Rückkehr nach Österreich daraus ein Nachteil erwachsen könnte. Seither fühlt sich Farzad in der Unterkunft schikaniert: Plötzlich ist seine Bettdecke verschwunden, eine neue bekommt er nicht. (Eine freiwillige Helferin aus Zagreb leiht ihm schließlich eine warme Decke.) Er und seine Zimmerkollegen sollen erst einen Schlüssel für ihr Zimmer bekommen, wenn alle einen Fingerabdruck gegeben haben, sagt Farzad. Weil im Hotel Porin sehr viel gestohlen wird, ist das ein echtes Problem.

Dienstag, 29. November

11 Uhr

Farzad wartet seit Stunden auf ein Beratungsgespräch mit einem Anwalt im Hotel Porin. Er möchte erfahren, was es für ihn heißt, dass er in Kroatien angeblich nicht registriert ist. Er hat gehört, dass er sich innerhalb eines Monats registrieren lassen oder das Land wieder verlassen muss.

Warten auf Beratung beim Anwalt.

Samstag, 26. November

10.00 Uhr

Erster Anruf von Farzad aus Zagreb. Er erzählt von seinen Erlebnissen, seit er sein Handy abgeben musste: Den Donnerstag hat er schlafend in einer Einzelzelle verbracht, man habe ihm zwei Schlaftabletten gegeben, berichtet er. Gegessen habe er in den vergangenen Tagen kaum. Am Freitag haben ihn kroatische Polizisten am Flughafen in Zagreb in Gewahrsam genommen und in die Flüchtlingsunterkunft gebracht. Dort hat man ihm gesagt, er sei gar nicht in Kroatien registriert. Die österreichischen Behörden würden das nur behaupten. Nun könne er aber nicht mehr zurück. Er ist verzweifelt.

Das Treppenhaus in der Flüchtlingsunterkunft.

14 Uhr

Farzads Freunde und Unterstützer nehmen an der Demonstration gegen Abschiebungen unter dem Motto „Lasst sie bleiben“ in Wien teil. „Ich mag schreien wegen der Ungerechtigkeiten in unserem Land. Ich denke ständig an Farzad, der im Sommer 18 Jahre alt geworden ist. Er ist jünger als meine Töchter. Er ist ein Kind, ein Kind, dass sie aus der neu gewonnenen Geborgenheit herausgerissen haben. Sie haben ihn uns weggenommen“, sagt Hemma, die wie eine Löwin für die Rückkehr des jungen Afghanen kämpft.

Demo gegen Abschiebungen und für die Rückkehr von Farzad.

Freitag, 25. November

10.45 Uhr

Farzad meldet sich per WhatsApp, er hat sein Handy zurück bekommen: „Hallo, mir geht es gut. Um 12 Uhr werde ich nach Kroatien fliegen.“

Farzads Freunde haben die Plattform Border Crossing Spielfeld informiert, die freiwillige Helfer im Flüchtlingslager Zagreb gebeten hat, sich um Farzad zu kümmern. Sie werden ihn heute empfangen.

In Kroatien gibt es zwei sehr große Flüchtlingsunterkünfte. Farzad wird dem ehemaligen Hotel Porin untergebracht, einem Plattenbau außerhalb von Zagreb. Die Tageszeitung „Der Standard“ berichtete vergangene Woche über die „erschreckenden Zustände“ in dem heillos überfüllten Asylquartier. Strom gebe es dort nur zwischen 14 und 21.30 Uhr, für 600 Bewohner stünden nur fünf Waschmaschinen zur Verfügung, das Essen sei sehr knapp.

Petra Leschanz, Juristin und Aktivistin bei Border Crossing Spielfeld, war vor bereits vor Ort. Seit Österreich immer mehr Flüchtlinge nach Kroatien abschiebe, sei „das Hotel Porin rammelvoll, die Sicherheit ist nicht gewährleistet“, berichtet Leschanz in einem Radiointerview.

Farzads Schlafplatz im Hotel Porin.

9.15 Uhr

Farzad ist bereits auf dem Weg zum Flughafen. Er wird heute in einen Abschiebeflieger steigen. Er muss entweder mit Croatia Airlines um 10.10 oder mit Austrian Airlines um 12.50 nach Zagreb fliegen.

Donnerstag, 24. November

13 Uhr

Donnerstags gibt es keine Besuchszeit in der Schubhaft. Eine Freundin von Farzad, die offiziell als seine Vertrauensperson eingetragen ist, versucht es dennoch. "Dazu gab es von den Behörden ein striktes Nein", berichtet sie. Inzwischen startet eine Online-Petition gegen die Abschiebung von Farzad.

Heute gibt es im Anhaltezentrum keine Besuchszeit.

Mittwoch, 23. November

5.30 Uhr

Die Polizei sucht Farzad in seiner Flüchtlings-Unterkunft in der Pfarre St. Stephan in Tulln – er ist nicht anwesend.

7.30 Uhr

Seine Freunde aus der Unterkunft benachrichtigen Farzad, dass er gesucht wird. Er ist gerade auf dem Weg in die Schule, er hatte bei Freunden übernachtet.

8 Uhr

Eine Vertreterin des Roten Kreuzes, das Farzads Quartier bereitstellt, fährt zur Schule. Freunde, Rotes Kreuz und die Schulleitung meinen, Farzad sollte sich besser bei der Behörde melden.

Farzad holt seine persönlichen Dinge aus der Flüchtlings-Unterkunft.

8.30 Uhr

Farzad sitzt auf der Tullner Polizeinspektion. Er soll noch heute ins Polizeianhaltezentrum an der Rossauer Lände in Wien überstellt werden. Noch kann er seinen Anwalt nicht erreichen.

Bei der Polizei.

9 Uhr

Farzad erfährt, dass er in zwei Tagen in einem Flieger nach Kroatien sitzen wird. Dort hat er auf dem Weg nach Österreich seine Fingerabdrücke abgegeben.

Farzad wird nach Wien gefahren.

Der junge Afghane spricht sehr gut deutsch. Er hat einen negativen Asylbescheid bekommen. Farzad lebte im Iran. Seine Freunde und Unterstützer wollen, dass er in Tulln bleiben darf. Vor zwei Wochen organisierten sie für Farzad eine Mahnwache auf dem Hauptplatz.

Mahnwache Tulln: Freunde und Unterstützer protestieren gegen Farzads Abschiebung.

10 Uhr

Die Polizei nimmt Farzad das Handy ab. Er wird es erst in Kroatien wieder bekommen.

14 Uhr

Farzads Anwalt rät, trotz allem einen Antrag auf aufschiebende Wirkung zu stellen. Die Abschiebungen würden "völlig willkürlich und zufällig" laufen, sagt der Anwalt.

16 Uhr

Besuchszeit in der Schubhaft. Eine Person darf Farzad heute empfangen. Gekommen ist seine Deutschlehrerin, die ihn seit Monaten unterrichtet. Sie ist froh, dass sie noch Abschied nehmen kann. "Farzad ist traurig, aber gefasst. Er weiß, dass er hier viele Freunde hat. Wir werden ihn wiedersehen", sagt sie.

Besucher warten im Polizeianhaltezentrum auf Einlass.
Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.