Polizei bei der Räumung des Protestcamps von Umweltschützern auf der geplanten Baustelle der Wiener Stadtstraße in Wien-Donaustadt.

Stadtstraße: Wenn Benzinopas gegen Klimaktivisten mobilisieren

In der Lobautunnel-Debatte fielen vor allem Klimaschützer auf. profil traf die andere Seite, einen wütenden Straßenbefürworter

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„Ich bin im Internet nicht immer brav“, grinst Gerhard Bockberger. Einmal sei der 65-Jährige wegen eines, wie er selbst sagt, „blöden Kommentars“ schon von Facebook gesperrt worden. Aber er sei halt immer schon „goschert“ gewesen – und was die „anderen Depperten“ in den sozialen Medien können, das könne er schon lange. Die „anderen Depperten“, das sind für Gerhard Bockberger Grüne, Linke und vor allem die Protestbewegung gegen den Lobau-Tunnel und die Wiener Stadtstraße. 

Der pensionierte Monteur von Siemens wuchs in Aspern auf und lebte 57 Jahre in Wien-Donaustadt. Seine Leidenschaft gilt dem Individualverkehr: Motorräder, Segelflieger, Boote; wenn es um Spritverbrauch geht, gerät er ins Schwärmen: „1200 Liter in drei Wochen – das soll ja Sinn machen, das ist geil“, resümiert er einen Segelurlaub in Kroatien.

Wenig verwunderlich, dass Bockberger in der Debatte um den Lobau-Tunnel und die Wiener Stadtstraße eine eindeutige Haltung einnimmt: Als „bezahlte Anarchisten“, „Idioten“ und „dumme Kinder“ bezeichnet er die Lobau-Protestbewegung, die man „bestrafen“, „einsperren“ und „mit dem Wasserwerfer räumen“ solle.

Zur Erinnerung: Die Stadt Wien möchte mit Stadtstraße und Lobau-Tunnel zwei Verkehrsprojekte umsetzen – Klimaschützer sind dagegen und besetzten Baustellen.

Den Aktivisten gehe es nur um „Radau“, nicht um die Umwelt, ist  sich Bockberger sicher. Täglich macht der Pensionist seinem Ärger auf Facebook Luft: In der Gruppe „Lobautunnel JETZT!“, die aus knapp 1200 Mitgliedern besteht, ist er einer der eifrigsten Poster. Fielen bislang vor allem die Klimaschützer mit ihren Blockadeaktionen und Besetzungen auf, zeigen sich auch die vehementen Befürworter des Lobau-Projekts immer wütender. 

Auffällig wurde die Facebookgruppe, als in der Nacht zum 31. Dezember eine Holzhütte auf einer von Aktivisten besetzen Baustelle in Flammen aufging. Acht Lobau-Besetzer, die in der Konstruktion schliefen, wurden durch das Feuer geweckt und entkamen über die Fenster. Die Polizei vermutet Brandstiftung, der Verfassungsschutz ermittelt. In der „Lobautunnel JETZT!“-Gruppe herrschte Jubel: „Der Brandstifter for Präsident“, postete einer, einen „Orden für den Täter“ wünschte sich ein 72-jähriger Ex-Bezirksrat der SPÖ.

Schon im Vorfeld des Brandes hieß es in Kommentaren: „Hingehen und abfackeln“ oder „Ich würde 5 Liter Sprit beisteuern! Die Sch… Pyramide brennt wie Zunder.“ Die Grüne Landtagsabgeordnete Heidi Sequenz übergab eine Sammlung von Postings der Wiener Staatsanwaltschaft. 

Gegründet wurde die Gruppe „Lobautunnel JETZT!“ vom niederösterreichischen ÖVP-Gemeinderat Michael Machek. „Ich wollte Menschen eine Stimme geben, die auf das Auto angewiesen sind“, sagt er zu profil. Machek habe bereits im vergangenen Sommer mit dem Stopp des Lobautunnels gerechnet.

Die Stimmung sei nach der Absage durch Umweltministerin Leonore Gewessler im Dezember in seiner Facebookgruppe gekippt: „Viele Leute waren frustriert, ich habe aber immer dazu aufgefordert, sachlich zu bleiben.“ Aus Zeitgründen sei es ihm nicht möglich, täglich Hunderte Kommentare zu moderieren, er habe aber Leute aus der Gruppe entfernt. Machek meint: „Der Kampf um den Lobau-Tunnel ist noch nicht vorbei.“ Er ist überzeugt, dass der Tunnel alternativlos ist, eine Studie, die die damalige Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou in Auftrag gab, würde das bestätigen. Bald plant der Gemeinderat, mit einer Petition für das Lobau-Projekt zu werben. Eine neue Umfrage im „Standard“ gibt ihm Aufwind: Darin befürwortet eine Mehrheit der Wiener Bevölkerung Stadtstraße und Lobau-Tunnel.

Gerhard Bockberger ortet hinter dem Lobau-Protest eine größere Bedrohung: „Die linke Lehrerschaft verblödet die Jugend in Richtung Grün – das wird uns Probleme machen“, meint der dreifache Großvater beim profil-Gespräch in einem Hirschstettner Gasthaus, unweit der Protestcamps gegen die Stadtstraße. Abseits von Social Media gilt sein Elan derzeit der Anschaffung eines opulenten Wohnmobils. Mit seiner Frau plant er, damit von Kap Nord bis Spanien zu fahren. Ob er im Alter nicht allmählich milder werde? „Eigentlich schon – aber mich zipft’s halt an, wenn die so deppert sind.“ Eine neuerliche Facebook-Sperre des Pensionisten bleibt damit nicht ausgeschlossen.