Arbeitsmarkt

Studie: So können auch Nicht-Akademiker von Bildungskarenz profitieren

Die Bildungskarenz steht wegen Missbrauchs in der Kritik. Eine Studie der deutschen Bertelsmann Stiftung liefert drei Reformvorschläge: Strengere Regeln bei der Kurs-Zulassung, einen Rechtsanspruch für Arbeitnehmer – und höheres Entgelt für Geringverdiener.

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Die Kritik an den laschen Kriterien für die Bildungskarenz dürfte einen wahren Kern haben. Das legt zumindest das Kursangebot eines Anbieters nahe, der laut Eigenangaben auf „Bildungskarenz per Fernstudium“ spezialisiert ist: Neben „Angst- und Stressbewältigung“, „Autobiografisches Schreiben“ und „Maschinenschreiben am PC“ bietet die Schule mit Sitz in Wien auch Weiterbildungen zu „Persönlicher Lebensführung“, „Wellness“ und „Zeitmanagement“ an.

Es sind Kurse wie diese, die zuletzt eine Debatte über die Zweckmäßigkeit der Bildungskarenz ausgelöst haben. Der Rechnungshof wies in einem ausführlichen Bericht darauf hin, dass die Weiterbildungsmaßnahme oft für eine Verlängerung der Elternkarenz missbraucht wird – oder um eine berufliche Auszeit vom AMS finanzieren zu lassen; bis hin zur Weltreise (profil berichtete). Kosten von einer halben Milliarde Euro jährlich stünde wenig Nutzen gegenüber.

Bildungskarenz mit Reform-Bedarf

Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) drängt deshalb auf eine Reform der Bildungskarenz, auch die Gewerkschaft und die Arbeiterkammer sind an Bord. Nur Kochers Koalitionspartner, die Grünen, sperren sich noch. Doch was sollte sich konkret ändern?

Eine neue Studie von der renommierten Bertelsmann Stiftung aus Deutschland (Titel: „Mehr Weiterbildung für alle“) liefert mehrere Handlungsempfehlungen, die auch für die österreichische Bundesregierung Relevanz haben. Das Forscherteam rund um Luisa Kunze hat sich eingängig mit der Situation in Österreich beschäftigt, denn anders als hierzulande gibt es in Deutschland noch keine bundesweit institutionalisierte Bildungskarenz – allerdings läuft gerade eine Debatte über eine Einführung der Bildungszeit.

Luisa Kunze: „Rechtsanspruch auf Bildungskarenz“

Die Arbeitsmarktexpertin der deutschen Bertelsmann Stiftung zeigt in einer Studie, wie die Bildungskarenz verbessert werden könnte, damit auch Geringqualifizierte davon profitieren. Derzeit ist das nicht der Fall.

Das Kernproblem beschreibt Kunze so: Insbesondere Geringqualifizierte fühlen sich von Weiterbildungsmaßnahmen ausgeschlossen: 73 Prozent von ihnen geben an, dass ihr Arbeitgeber sie für Weiterbildung nicht freistelle, gut 50 Prozent sagen, sie seien über ihre Weiterbildungsmöglichkeiten nicht informiert. Ganz anders ist das bei Hochqualifizierten – bei ihnen sperrt sich der Arbeitgeber nur in 27 Prozent der Fälle. Die Erhebung stammt zwar aus Deutschland, lasse sich laut Kunze aber auch auf Österreich umlegen.

Bessergestellte profitieren stärker von Bildungskarenz

„In Österreich profitieren überwiegend die Bessergestellten von der Bildungskarenz“, sagt die Arbeitsmarktexpertin. „Aus einer volkswirtschaftlichen Sicht macht es aber Sinn, Schlechterqualifizierte zu schulen. Das ist angesichts des Strukturwandels der Wirtschaft auch notwendig. Einige Arbeitgeber haben aber keinen individuellen Nutzen von der Weiterbildung ihrer Helferinnen und Helfer, da es in ihren Unternehmen eben nur Hilfsjobs gibt.“

Wie lässt sich die Inanspruchnahme der Bildungskarenz besser auf Menschen mit unterschiedlichen Bildungshintergründen verteilen? Der Schlüssel dafür ist für die deutsche Volkswirtin der „Rechtsanspruch“: Das würde auch Geringqualifizierten den Zugang zur Weiterbildung garantieren. Schließlich ist bei der Bildungskarenz derzeit die Zustimmung des Arbeitgebers eine Voraussetzung.

Unternehmen entgegenkommen

Damit die Personalabteilungen von Unternehmen davon nicht zu stark belastet werden, schlägt die Studienautorin eine deutlich längere Vorlaufzeit von neun Monaten für die Bildungskarenz vor. Mitarbeiter von Kleinunternehmen sollen nur Anspruch auf Bildungsteilzeit haben. Das würde den Unternehmen „Planungssicherheit“ geben. Zusätzlich soll nur eine gewisse Anzahl an Mitarbeitern pro Betrieb zeitgleich die Weiterbildungsauszeit in Anspruch nehmen können. Vorrang sollten dabei laut Kunze immer Geringqualifizierte haben.

Was die Bezahlung von Karenzlern angeht, hat Kunze einen ähnlichen Ansatz wie Arbeitsminister Kocher und die Gewerkschaft: Der Ressortchef will den täglichen Mindestsatz von derzeit 14,53 Euro auf 32,18 Euro mehr als verdoppeln. Die deutsche Studie würde noch weiter gehen: „Je geringer das Entgelt der Beschäftigten, desto höher muss der Prozentsatz des Bildungszeitgeldes sein.“ Mindestlohnempfänger sollten zur Sicherung ihres Lebensstandards 100 Prozent Entgeltersatzleistung beziehen können, während für Besserverdienende geringere Prozentsätze gelten.

Expertin: Missbrauch „eindämmen“

Zu den skurrilen Angeboten österreichsicher Bildungskarenz-Fernschulen (Stichwort: „Autobiografisches Schreiben“) sagt Kunze: Die Möglichkeiten, es auszunutzen, sollten eingedämmt werden. Eine Arbeitsmarktverwertbarkeit der Inhalte sollte gegeben sein.“ Die Expertin würde eine „Akkreditierung“ der Angebote durch eine staatliche Stelle begrüßen und schlägt vor, dass es für formale Abschlüsse einen Bonus geben sollte.

Auch Kocher will nachschärfen: Seine Reformvorschläge zielen darauf ab, die Mindestzahl an ECTS-Punkten anzuheben, das Ausbildungsziel vorab verpflichtend festzulegen und die Anwesenheiten der Teilnehmer besser zu kontrollieren.

Erstaunlich, dass das bisher noch nicht passiert.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.