Frederik Obermaier
SZ-Journalist Obermaier: "Was ich in Österreich sehe, erschreckt mich"

SZ-Journalist Obermaier: "Was ich in Österreich sehe, erschreckt mich"

SZ-Enthüllungsjournalist Frederik Obermaier über Einschüchterungsversuche, Rechtspopulisten und Hindernisse bei der Recherche, die nur durch mehr Zusammenarbeit über Grenzen hinweg zu überwinden sind.

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INTERVIEW: EDITH MEINHART

profil: Sehen Sie die Pressefreiheit gefährdet, wenn Rechtspopulisten wie die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich Stimmung gegen Journalisten machen? Obermaier: Vor einigen Jahren hätte ich Ihnen noch erzählt, in welcher Luxuszone wir zumindest hier in Europa arbeiten. Aber das Klima hat sich gewandelt. Die Gewalt in Worten gegenüber Journalisten wird heftiger und schlägt zunehmend in tätliche Gewalt um. Journalisten werden im Internet bedroht, auf der Straße angepöbelt, bei Demonstrationen und auf dem Heimweg angegriffen, auch in Deutschland. Das ist ein besorgniserregendes Signal, dass das Selbstverständliche nicht mehr selbstverständlich ist und wir – leider – wieder über Pressefreiheit reden müssen.

profil: Welche Einschüchterungen erleben Sie? Obermaier: Eine Zeit lang hat eine Neonazi-Gruppe mich per Steckbrief gesucht, auch wurde ich von einem Privatdetektiv beschattet, aber Gott sei Dank wurde ich bisher nicht körperlich angegriffen. Aber die Zuschriften, die ich bekomme, sind manchmal in einer Sprache verfasst, über die ich mich wundere. Dreckschwein, Lügner und Ähnliches ist da zu lesen. Und bei Recherchen wie den Panama Papers oder den Paradise Papers, wo es um Geldwäsche und organisierte Kriminalität geht und mächtige Personen involviert sind, mache ich mir durchaus Gedanken um meine Sicherheit. Zumal mich jetzt schon öfter Behördenvertreter gewarnt haben: „Passen Sie auf, das kann gefährlich werden.“ Ich hätte mir gewünscht, das wäre nicht nötig, aber ich und meine Kollegen haben mittlerweile Vorkehrungen getroffen.

Wenn die Presse nicht mehr frei arbeiten kann, ist die Demokratie ernsthaft in Gefahr.

profil: Was ist für Sie noch Teil des Spiels, wo beginnt die Gefahrenzone? Obermaier: Rechtspopulisten versuchen systematisch, die Glaubwürdigkeit von Journalisten zu unterwandern, vor allem, wenn diese Skandalen hinterherrecherchieren. Wir sehen es in den Vereinigten Staaten, wo der Präsident fast täglich lügt, im Verdacht kriminellen Handelns steht und einige seiner Angehörigen und Kabinettsmitglieder in Interessenskonflikte verwickelt sind. Natürlich hat so jemand ein Interesse, Medien, die darüber berichten, mit Lügenpresse-Geschrei und Enemy of the People-Geschreibe auf Twitter schlechtzumachen. Wir sehen das aber auch in Europa. Der frühere slowakische Ministerpräsident Robert Fico bezeichnete Journalisten als Hyänen, Idioten und anti-slowakische Prostituierte; ein slowakischer Kollege, Ján Kuciak, wurde kurz darauf ermordet. Das Schlimme ist: Opfer dieser Entwicklung sind wir alle, unsere freie, demokratische Gesellschaft. Nicht weil Journalisten wichtiger sind als andere Bürger, sondern weil wir zu dieser Gesellschaft gehören und es zum Problem für unsere Demokratie wird. Wenn die Presse nicht mehr frei arbeiten kann, ist die Demokratie ernsthaft in Gefahr.

profil: Täuscht der Eindruck, dass ausgerechnet Journalisten nicht besonders gut darin sind, genau das zu erklären? Obermaier: Nicht gut genug, das muss man selbstkritisch sagen. Auch wenn wir an sich gerne über uns reden, treffen wir bei solchen kritischen Themen oft nicht den richtigen Ton. Aber es gibt Ausnahmen. Wenn ich nach Österreich schaue, finde ich, dass es der Kollege Armin Wolf sehr gut versteht, in sachlichem Ton zu erklären, wie er behandelt wird und warum das ein Problem ist, eben nicht, weil es gegen ihn, Armin Wolf, geht, sondern gegen kritischen Journalismus im Allgemeinen. Wir brauchen mehr Wolfs, aber auch mehr Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. Die vergangenen Jahre waren geprägt von einem Wandel in der Mentalität von Journalisten: weg vom Einzelkämpfer, der im Kämmerchen seinen Scoop verteidigt, hin zu grenzüberschreitenden Kooperations-Projekten wie den Panama Papers oder dem Laundromat-Projekt vom OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project). Diese Projekte zeigen: Gemeinsam sind wir stark, gemeinsam können wir den Mächtigen auf die Finger klopfen. Und dafür sind wir da.

profil: Man kann aber auch verstehen, dass Politiker das vermeiden wollen. Obermaier: Klar ist das nicht immer leicht. Aber es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Kein Politiker sollte sich wünschen, mit Journalisten immer Best Friends zu sein. Es gehört zu unserer Rolle, anzuecken und etwa auch aufzuzeigen, was eine Person, die im Rampenlicht steht, in der Vergangenheit getrieben hat, was derzeit schiefläuft und was für Auswirkungen das in Zukunft haben könnte.

So weit darf es nicht kommen, dass Missstände von öffentlichem Interesse aus Angst vor Gegenwind nicht mehr aufgegriffen werden.

profil: Ausgehungerten Medienhäusern fällt dies zunehmend schwer, zumal sie Social-Media- und Presseabteilungen gegenüberstehen, die personell und technologisch mitunter besser ausgestattet sind. Obermaier: Ich sehe da eine bedenkliche Entwicklung: Ministerien und Parteien schaffen sich eigene Kanäle, um ihre Inhalte ungefiltert an potenzielle Wähler weiterzugeben, weil sie eben die Einordnung scheuen. Da werden ganze News Desks aufgebaut. Gleichzeitig brauchen sie tagelang, um Presseanfragen einfachster Natur zu bearbeiten, wenn sie von kritischen Journalisten kommen; und wenn sie überhaupt Antwort geben, ist sie oft mehr als dürftig. Darüber hinaus sehen wir uns mächtigen Kräften gegenüber, multinationalen Konzernen, Reichen und Superreichen, Politikern mit Einfluss, die Anwälte und Krisen-PR-Agenturen bezahlen, um Journalisten einzuschüchtern. In der Bundesrepublik gibt es Kanzleien, die sogenannte presserechtliche Informationen verschicken. Darin steht sinngemäß: Wenn Sie über diesen Inhalt, über den eine andere Zeitung berichtete, auch etwas veröffentlichen, werden wir Sie verklagen. Das ist nichts anderes als ein Drohbrief. Es ist nachvollziehbar, dass Redaktionen ohne ausreichenden finanziellen Polster, um die Berichterstattung durch die Instanzen zu verteidigen, sich davon einschüchtern lassen. So weit darf es aber nicht kommen, dass Missstände von öffentlichem Interesse aus Angst vor Gegenwind nicht mehr aufgegriffen werden.

profil: Dass Presseabteilungen gar nicht oder knapp vor Redaktionsschluss reagieren, ist fast schon Usus. Was machen Sie in solchen Fällen? Obermaier: Ich rede mich leicht, weil ich in der Regel nicht mit tagesaktueller Berichterstattung, sondern mit Langzeitprojekten befasst bin. Wenn ich an einem Tag keine Antwort kriege, frage ich am nächsten Tag nochmals, und wenn ich immer noch keine kriege, frage ich die Woche drauf auf einer öffentlichen Pressekonferenz. Außerdem schreibe ich Anfragen, beantrage die Herausgabe von Dokumenten über das Informationsfreiheitsgesetz …

profil: … das es in Österreich bis heute nicht gibt … Obermaier: … und klage notfalls diese Dokumente mithilfe unserer Rechtsabteilung ein. Darüber hinaus gibt es mittlerweile über Mediengrenzen hinweg einen kollegialen Austausch. Und natürlich hilft man da auch mal, wenn man mitkriegt, dass jemand hinter einem Papier her ist, das man selbst schon lange hat. Es ist aber auch wichtig, öffentlich zu machen, wenn – wie im vergangenen Jahr geschehen – ein deutscher Minister sich über Monate unseren Fragen nicht stellt, gleichzeitig er aber Zeit findet, zahllose Industrieveranstaltungen zu besuchen. So sehr ich soziale Netzwerke oft kritisch sehe, ist eine Plattform wie Twitter hilfreich, wenn es darum geht, einem interessierten Publikum offenzulegen, welche Steine Politiker und Unternehmen uns Journalisten in den Weg legen.

profil: Was antworten Sie Menschen, die Ihnen vorhalten, dass es woanders viel schlimmer ist, in Ungarn etwa oder in der Türkei? Obermaier: Ich muss gestehen, was ich in Österreich sehe, erschreckt mich. Es ist unsere journalistische Pflicht, darauf hinzuweisen, wo ein Land im Begriff ist, abzudriften.

profil: Was steckt hinter den Angriffen von FPÖ-Politikern auf Armin Wolf? Obermaier: Ich denke, es geht darum, von seinen wichtigen Fragen abzulenken, indem man eine emotional aufgeladene Diskussion über den ORF oder ihn als Person anfängt. Dazu muss man sagen: Was Armin Wolf macht, ist Journalismus, er erfüllt eine wichtige Funktion innerhalb unserer Demokratie. Es ist unsere Aufgabe als Journalisten, Politiker nicht mit Plattitüden und einfachen Antworten davonkommen zu lassen, sondern nachzuhaken und einzuordnen. In dieser Hinsicht ist Armin Wolf ein Vorbild.

Frederik Obermaier, 35, ist leitender Redakteur des Ressort Investigative Recherche der „Süddeutschen Zeitung“ und war als Mitglied des International Consortium of Investigative Journalists an den Offshore-Leaks, Luxemburg-Leaks und Swiss-Leaks-Enthüllungen beteiligt. 2016 brachte er – gemeinsam mit seinem Kollegen Bastian Obermayer – die Panama-Papers-Enthüllungen in Gang und wurde dafür im Jahr darauf mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges