Ungerechtfertigte Kurz-Kritik an der EMA

Österreichs Bundeskanzler will Druck auf die unabhängige EU-Arzneimittelbehörde machen, damit sie Impfstoffe rascher zulässt. Zu Recht? Eindeutige Antwort: nein.

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Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sorgen für Verwirrung. In einer Pressekonferenz ließ Kurz jüngst mit einem Statement zur Zulassung von Corona-Impfstoffen aufhorchen: „Wir kämpfen auf europäischer Ebene für die Zulassung von AstraZeneca.“

In den darauffolgenden Tagen schoss sich Kurz immer wieder auf die EMA ein, jene unabhängige Europäische Arzneimittelagentur mit Sitz in Amsterdam, die Corona-Impfstoffe prüft. Die Behörde möge rascher und unbürokratischer für die Zulassung der Impfung des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca sorgen, von dem die EU Hunderte Millionen Dosen bestellt hat. „Irgendwann reißt mir der Geduldsfaden“, sagte Kurz später im Privatsender Puls4.

Das sind brisante Ansagen. Denn die EMA hat sich strikt der Einhaltung wissenschaftlicher Standards verschrieben. Regelmäßig betonen EMA-Vertreter, dass sie sich gegen jegliche politische Einflussnahme verwehren und ihr Zulassungsprozedere ausschließlich auf drei Ziele ausrichten: Sicherheit, Effizienz und Wirksamkeit der Impfstoffe. Zuletzt hat dies EMA-Chefin Emer Cooke, eine Pharmazeutin aus Irland, im Dezember bekräftigt.

In eine ähnliche Kerbe schlägt auf profil-Anfrage die österreichische Gesundheitsagentur AGES, quasi die Wiener Verbindungsorganisation zur EMA: „Die Begutachtungsverfahren für Impfstoffe werden von unabhängigen wissenschaftlichen Experten-Teams durchgeführt, die Unterlagen und Daten prüfen, ohne sich von politischem Druck beeinflussen zu lassen.“

Aber Kurz gehe es nicht um die Aufweichung wissenschaftlicher Standards, beteuerte der Kanzler in den letzten Tagen. Sondern darum, die verwaltungsmäßigen Abläufe bei der EMA zu straffen und zu beschleunigen. Auch andere EU-Länder – neben Österreich noch Dänemark, Tschechien und Griechenland – teilen die Kritik. Die vier Staaten verliehen ihrer Forderung nach mehr Tempo in Briefen an die Brüsseler EU-Kommission und an EU-Ratspräsident Charles Michel Ausdruck.

Ist was dran am Vorwurf der bürokratischen Schwerfälligkeit? Wer sich das Zulassungsprozedere ansieht, stellt fest: offenbar nicht. Der Ablauf der AstraZeneca-Zulassung im Detail: Am 12. Jänner, vor nicht einmal zwei Wochen, stellte AstraZeneca den Antrag auf Zulassung in der EU (es handelt sich um eine beschränkte Zulassung auf ein Jahr). Seither evaluiert die Behörde das Ansinnen.

Laut EMA ist mit einer Entscheidung am 29. Jänner zu rechnen. Anschließend muss noch die Brüsseler EU-Kommission ihren Segen geben, damit der Impfstoff tatsächlich in Gebrauch kommen kann. Doch diese Bestätigung lässt nicht lange auf sich warten: Sie werde „binnen 24 Stunden“ erfolgen, so ein Sprecher der Kommission gegenüber profil. Fazit: Der ganze Zulassungsprozess dauert, nach heutigem Stand der Dinge, gezählte 18 Tage.

Dass ein derart hohes Tempo möglich ist, liegt an einem neuen Verfahren, das die EMA angesichts der Corona-Krise eingeführt hat: dem sogenannten Rolling Review („rollendes Verfahren“). In dessen Rahmen werden Forschungserkenntnisse bereits vor Beginn des formellen Verfahrens von den Pharmakonzernen an die EMA übermittelt. Ein Rolling Review ermöglicht, dass der offizielle Zulassungsprozess nur ein paar Tage dauert.

Wohlgemerkt, die Entscheidung kann letztlich in alle Richtungen ausfallen –  das ist eben das Wesen von Zulassungsprozessen. Die Impfung könnte vollständig zugelassen oder auf bestimmte Altersgruppen beschränkt werden (auf letztere Variante deutet laut Experten derzeit vieles hin). Theoretisch ist auch eine vollständige Verweigerung der Zulassung möglich. 

Wo aber zeigt sich nun die überbordende Bürokratie, die Kurz derart wortreich beklagt? Das bleibt rätselhaft. Mangelndes Tempo kann man den EU-Behörden im Fall der Impfstoffzulassungen nicht vorwerfen. Vielleicht geht es dem Kanzler in Wahrheit darum, mit EU-Kritik von den Mängeln im innerösterreichischen Pandemie-Management abzulenken. Es sei dahingestellt, ob es – angesichts ohnehin grassierender Impfskepsis – klug vom Kanzler ist, Zweifel an der Unabhängigkeit der EMA-Experten von politischer Einflussnahme zu schüren.

Jedenfalls blieb eine profil-Anfrage nach Sinn und Zweck der Aktion ans Bundeskanzleramt unbeantwortet. Und was sagt die EMA zu den Versuchen aus Wien, Druck zu machen? „Wir sind uns der großen Verantwortung bewusst, die wir für den Schutz der europäischen Bevölkerung tragen“, heißt es in einer Stellungnahme an profil. „Die Zulassung wird erteilt, sobald die Erkenntnisse überzeugend belegen, dass der Nutzen des Impfstoffs größer ist als dessen Risiko.“