Unterwegs mit Pamela Rendi-Wagner: "Hände hoch! Klatschen!"

Alle finden Pamela Rendi-Wagner ungemein sympathisch, aber niemand nimmt sie richtig ernst. Auf Märkten, in Bädern und im Gemeindebau trifft die SPÖ- Spitzenkandidatin Menschen und übt sich im Small Talk. Tagebuch eines seltsam gedämpften Wahlkampfs

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Ein Frauenwahlkampf hat eigene Regeln: dezente Blusen, Jackett, keine duftigen Sommerkleider. Nichts Auffälliges. Am Buffet zugreifen wie ein Möbelpacker; mit so gut wie nichts auf dem Teller eine Erklärung parat haben: damit die Nachspeise noch reinpasst oder Ähnliches. Nicht zimperlich sein. Nicht hektisch gestikulieren. Nicht laut auflachen. Sonst droht der Hühner-Vergleich. Strahlendes Lächeln aufsetzen, wenn Männer unentwegt betonen, wie fesch man sei. Hoffen, dass man die Frauen an deren Seite nicht vergrämt. Frau sein? Am besten vergessen, aber untergründig wirken lassen.

Ein erfahrener SPÖ-Wahlkampfhelfer erinnert sich: Altkanzler Christian Kern habe immer nur gegrüßt, wenn die Kameras eingeschaltet waren. Pamela Rendi-Wagner sei anders, menschlich schwer in Ordnung. So etwas habe er in der SPÖ überhaupt noch nie erlebt.

Parallel zu Auftritten im engen Umfeld der SPÖ, begleitet von Wahlkampfmanager Christian Deutsch, macht Rendi-Wagner einen "userzentrierten Community-Wahlkampf". Das heißt: viele Treffen, wenige Leute, keine Journalisten. Dafür aber jede Menge Fotos für die sozialen Medien. Interessierte werden über Instagram und Facebook angeworben und ausgewählt. Meist melden sich Frauen. Die drei Tirolerinnen, mit denen Rendi-Wagner vor zwei Wochen in einer Innsbrucker Galerie fröhliche Stunden verbrachte, bekamen ein paar Tage später Ansichtskarten aus Orth an der Donau geschickt, von Rendi-Wagner höchstpersönlich geschrieben. Beim nächsten Tirol-Besuch werden sie die SPÖ-Vorsitzende wieder treffen und dürfen Freundinnen oder Freunde mitbringen. Ein Schneeball-System, das ist der Plan. Kann daraus eine Lawine werden - in neuneinhalb Wochen?

Die Idee stammt von einer Agentur namens fehradvice, die neuerdings auch für den ORF arbeitet und beim Schweizer Rundfunk-Volksbegehren die Stimmung gedreht haben soll. Einer ihrer Mitbegründer, Ernst Fehr, ist ein gefragter Ökonom, der einst bei Alexander Van der Bellen studierte und darüber forscht, was Menschen als gerecht und ungerecht empfinden.

Die Enttäuschten sind allgegenwärtig

Ein Pulk von Radlern, Rendi-Wagner vorneweg, fährt bei Orth an der Donau durch dunklen Wald. Zwischen Grün blitzt es blau, schon riecht man den Fluss, Wind kommt auf, Sand knirscht unter den Rädern. Viele tragen rote "Kinderfreunde"-T-Shirts, selbst jener Mann, der erzählt, er habe vor 30 Jahren sein Mitgliedsbuch zurückgeschickt, weil ihn die Partei bei der Jobsuche hat hängen lassen.

Die Enttäuschten sind allgegenwärtig. Sie hängen vergangener Größe nach, lassen sich bisweilen bei SPÖ-Terminen blicken, aus Verpflichtung, vielleicht auch, um sich "die Neue" aus der Nähe anzuschauen. Der Funke will nicht so recht überspringen. SPÖ alt und SPÖ neu fremdeln. Rendi- Wagner weiß nichts von der verratenen Liebe. Sie kennt die Partei nur in ihrem Niedergang.

Soziologen sprechen vom "Fahrstuhleffekt". Für die sozialdemokratische Wählerschaft ging es in den 1970er-Jahren nach oben, doch nicht für alle, und mit der Zeit blieben immer mehr in den unteren Etagen hängen.

"Dass ich das noch erlebe - eine Frau als Parteivorsitzende!" Die alte Dame ist 90 Jahre alt und seit 70 Jahren Mitglied der SPÖ. Sie war dabei, als die legendäre Johanna Dohnal 1979 als Staatssekretärin am Ballhausplatz einzog. Die Hausarbeiter hätten sich damals geweigert, die Kisten auszupacken. Sie glaubten, "die wird eh nicht lang bleiben".

Darf man in der Politik absolut ehrlich sein, abwägen, differenzieren, etwas für gut und für schlecht gleichzeitig halten? Würden das die Menschen verstehen? Die Ambivalenzen des Lebens, die Dialektik des Fortschritts? Darüber denke sie oft nach, gesteht Rendi-Wagner.

Nicht geübt für große Bühnen

"70.000 Kinder um ihre Chancen gebracht." - "12-Stunden-Tag eingeführt." - "Sozialversicherung zerschlagen." - "Abschaffung der Mindestsicherung." Mit diesen Worten zählt Rendi-Wagner auf Parteirat im Wiener MuseumsQuartier die Sünden der "Ibiza-Koalition" auf. Die Stimmung im Saal ist gedämpft, doch auf Applaus getrimmt. Sie fährt fort: "Wir befinden uns hier an einer Weichenstellung, die nicht nur die nächsten Jahre betrifft, die wahrscheinlich eine ganze nächste Generation betreffen wird. Deshalb müssen wir unsere Ideen, unsere Visionen präsentieren. Wir müssen darüber reden, jeden Tag und in der Nacht." Verstörende Pause. In der Nacht?

Rendi-Wagner ist nicht geübt für große Bühnen. Sie verhaspelt sich, hat die Zeilen im Manuskript verloren. In 50 Minuten hat sie das gesamte Wahlprogramm durchgehechelt, alle wurden genannt: Frauen, Mütter, Alte, Junge, Arbeitslose, Beschäftigte, Polizisten, Lehrer, Migranten. Am Ende ist auch noch ein Mikro nicht ausgeschaltet, und man hört ihr Kommando: "Hände hoch! Klatschen!" Sonst stünde sie gar noch als einsame Cheerleaderin da.

Rendi-Wagner ist verunsichert. Der Rückhalt in der Partei fehlt. Ihre Themen handeln von allem und damit von nichts. Allmählich bilden sich Schwerpunkte heraus: Pflegeversicherung, Klimaticket, neuer Familienbonus. Alle sagen, sie sei sympathisch. Es gibt Frauensolidarität. Aber auch diese verwandelt sich in Mitleid und Zorn. Die Unsicherheit, die man bei ihr wahrnimmt, erzeugt Aggressionen. Die Umfragewerte sinken stetig, und die Partei hat in den vergangenen Jahren gelernt, anders zu reden als zu denken. Zwölf-Stunden-Tag? Zerschlagung des Gesundheitssystems? Wer erlebt das im Alltag? Geredet wird trotzdem so.

Sympathisch, aber ein bisserl g'spreizt

Sie wollen solidarisch sein mit Rendi-Wagner, sie wollen ihr nicht in den Rücken fallen, aber sie zweifeln daran, dass sie die Richtige sei. Sie solle ein Viertel Wein trinken, dann wär sie lockerer, sagen die Männer. Sie ist sympathisch, aber ein bisserl g'spreizt, sagen die Frauen. Sie wird als oberlehrerinnenhaft wahrgenommen.

Rendi-Wagner bei den Standlern am Grazer Lendplatz: "Ist das Biofleisch?" - "Ist das alles selbst angebaut?" - "Haben Sie ein Papiersackerl?"

Eine Frau an der Spitze bedeutet einen Kulturbruch in der Sozialdemokratie. Die Zeit ist reif, aber die Partei noch nicht so weit. Feminismus wird lauthals propagiert. Die Taten sprechen nicht dafür. Die deutsche Sozialdemokratin Andrea Nahles, die die Partei von der Pike auf kannte und mit Rendi-Wagner nicht zu vergleichen ist, wurde weggemobbt. Beanstandet wurden: schrille Stimme, emotionales Auftreten, Frisur. Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau.

Wie lange noch?

Im Burgenland besucht Rendi-Wagner ein Heim der Kinderfreunde, das eine Ferienbetreuung für Kinder organisiert. Die Sonne scheint, Blumen blühen, die Kinder sind aufgeregt und schreien durcheinander. Geplant war, dass Rendi-Wagner den Kindern erklärt, was eine Ärztin macht. Doktor ist hier nicht so gefragt, aber das rote Feuerwehrauto von Schandorf kennen alle - und Uniformen. Feuerwehrmann, Polizist wollen sie werden oder Verkäuferin.

Unterm Baum sitzen sie alle friedlich. Ein kleiner Junge wird auf Rendis Schoß bugsiert. Er will erst nicht, mit sanftem Druck seiner Mama, geht's dann doch. Er sieht unglücklich drein, am Ende lacht er. Es wird geknipst und gefilmt und interviewt.

"Sie lässt sich in eine Duellsituation hineinzwingen, das kann nicht gut gehen"

Mitten im Trubel ein abgeklärter Zaungast: Kurt Neumann, Leiter des Literaturquartiers Alte Schmiede, hat einen langen, klugen Brief an die SPÖ-Spitze geschrieben, was seiner Ansicht nach alles schiefläuft. Keine Reaktion. "Sie lässt sich in eine Duellsituation hineinzwingen, das kann nicht gut gehen", sagt er seufzend. Wie wahr. Das Argument, eine Partei, die 130 Jahre alt ist, müsse den Kanzleranspruch stellen, ist von vorgestern.

Ein Pflegekompetenzzentrum im Oberburgenland. Auch hier wird Rendi-Wagner mit offenen Armen empfangen, doch die alten Menschen, um die es hier geht, werden überrumpelt. Journalisten, Fotografen und Kamerateams fallen ein wie ein Heuschreckenschwarm. Die Senioren lassen es über sich ergehen, Rendi-Wagner legt ihre Hand behutsam auf alte Hände, geht in die Knie, nickt, lächelt. Einige freuen sich, andere schließen schockiert die Augen. Warum machen Politiker das?

Wahlkampf, das ist die peinliche Falle der kurzen Begegnung. Es wird vorgetäuscht, dass man den Menschen zuhöre. In Wahrheit geht es um schöne Bilder. Small Talk in der politischen Sphäre, das Schlimmste überhaupt. Rendi-Wagner auf dem Wiener Naschmarkt. Ein Event für begnadete Schmähführer oder für jemanden, der seit Ewigkeiten in der Politik ist. Auf Rendi-Wagner trifft beides nicht zu.

Die Standler heischen von ihren mit Früchten und Spezereien aufgebockten Budeln um Aufmerksamkeit. Jeder ein kleiner Schausteller. Hier das beste Falafel, dort ein Stück Halwa. "Hm, ich liebe Halwa", sagt Rendi-Wagner. "Wie macht man das mit der Hitze in Kairo oder in Damaskus?"

Zu gemütlich darf ein Wahlkampf auch nicht sein

"Who is she?", fragen Touristen. "The next chancelor", antwortet einer aus dem Tross wie beiläufig. Am frühen Nachmittag sind hier kaum Wiener unterwegs, und die wenigen ärgern sich, weil der Zug aus Fotografen, Kameraleuten, Journalisten und SPÖ-Entourage alles verstopft. "Diesen Zirkus müssen wir auch noch zahlen", zischt eine Passantin. Es geht von Stand zu Stand. Hier ein Händeschütteln, dort wird Rendi-Wagner angehalten, in Teekanister hineinzuriechen. Sie soll hinter die Budel, ein paar Orangen abwiegen - allein schon wegen der Farben - und Verkäuferin spielen. Die Fotos sind später überall, auf Instagram, Facebook, Google. Hier wird krampfhaft dem Digitalprofi Sebastian Kurz hinterhergesprintet.

Würde sie länger stehen bleiben, bekäme Rendi-Wagner gewaltiges Geschimpfe über die Marktordnung zu hören. Jeder Standler bekommt im Vorbeigehen einen Packen roter Kugelschreiber auf die Budel gelegt. Man hetzt weiter. Rendi-Wagner sagt: "Zu gemütlich darf ein Wahlkampf auch nicht sein".

Fachsimpelei im Krankenhaus in Wels. Das ist ihr Metier. Bakteriologie. Heimatgeruch. Hier gibt es keinen Small Talk, sondern kundige Fragen.

"Um wie viel kann die Wartezeit verkürzt werden beim Ineinandergreifen von Tagesklinik, stationärem Aufenthalt und nachoperativer Betreuung?" Ein Augenarzt flüstert ihr beim Abschied "Alles Gute!" ins Ohr. Pflegerinnen und Schwestern sind hingerissen von der Politikerin, bitten verschämt um ein Selfie. Eine Ordensschwester, eher distanziert: "Uns sind alle Menschen willkommen."

"Warum haben Sie denn keinen Badezug an?"

Wahlkampfmaschinerie und Ferienlaune passen nicht zueinander, auch nicht im ältesten Freibad Europas in der sozialdemokratischen Hochburg Steyr. Es ist so heiß, dass die Luft flimmert. Ein riesiges Becken, in dem klares Wasser die Sehnsucht nach einem Gletscher wachruft. Man will sofort hineinspringen. Aus der Lautsprecheranlage eine Durchsage: "Die Parteivorsitzende der SPÖ ist hier - Rendi Pamela Rendi eh Wagner - und verteilt Eis an die Kinder." Rendi-Wagner, in eleganter schwarzer Hose und Seidenbluse, bewegt sich, gefolgt vom Tross, zwischen schwitzenden und nassen Leibern. Männer in Badehosen haben überhaupt keinen Genierer, ältere Frauen jedoch erstarren, wenn ein halbes Dutzend Fotografen und Kameraleute die Objektive auf ihren als suboptimal empfundenen Körper richten.

"Warum haben Sie denn keinen Badezug an?", wird Rendi-Wagner dreist gefragt. Von Männern. Frauen schützen sich mit Badetüchern, gehen schüchtern auf sie zu, für ein Selfie.

Rendi-Wagner in Gruppen von Frauen. Man muss nicht hinschauen. Man hört es. Immer liegt ein Lachen in der Luft. Kein gekünsteltes, gewolltes Lachen, sondern einfach lachen, Spaß, Befreiung.

Das Lachen Rendi-Wagners kann irritieren. Sie knipst es an und aus wie ein Licht. Sie macht das nicht immer im Takt oder nach dem Wunsch der Fotografen. Man erinnert sich an das ORF-Interview von Armin Wolf, der sie am Abend der EU- Wahlschlappe fragte: "Warum lachen Sie so?" Rendi-Wagner sagt, sie habe gelacht, weil er vier Mal dieselbe Frage gestellt habe. Lachen aus Verzweiflung? Rendi-Wagner lacht öfter, wenn es eigentlich nichts zu lachen gibt.

Wähnt sie sich unbeobachtet, sieht Rendi-Wagner oft traurig aus. Vielleicht sind das in diesem Wahlkampf die wahrhaftigsten Momente.

Sie geht den harten Weg

Auf ihrer Website steht: "Ich bin unglaublich stolz, Teil einer Bewegung zu sein, deren Ziel es immer war, das Leben der Menschen zu verbessern." Aufgewachsen im Gemeindebau. Das seien ihre Wurzeln, das werde die SPÖ-Basis überzeugen, versuchen ihre Berater ihr seit Monaten einzubläuen. Im Alter von fünf Jahren zog Rendi-Wagner mit ihrer Mutter aus dem Gemeindebau weg. Als sie vorvergangene Woche die Per-Albin-Hanson-Siedlung besuchte, war das ein emotionaler Kraftakt, nach mehr als 40 Jahren wieder dorthin zu gehen. Es gibt vage Erinnerungen: Wo ist die Stiege? Welche Tür? Wie werden die Leute reagieren ? Einer schaute aus dem Fenster. Wie lange er schon hier wohne? - "Seit 1972." - "Dann waren wir ja Nachbarn", rief sie hinauf. So erzählt sie es später. Medien waren nicht erlaubt. Stattdessen Bilder auf Instagram - mit einer älteren Frau auf dem Bankerl im Gemeindebau.

Wesentlich mehr erfährt man auf der Zugfahrt mit Rendi-Wagner und Ex-Infrastruktur- und Gesundheitsminister Alois Stöger von Wels nach Linz. Stolz sitzt er ihr gegenüber. Schließlich hat er Rendi-Wagner "erfunden", sie 2011 als Sektionschefin ins Gesundheitsministerium geholt, aus damals 90 Bewerbern, die er alle - bis auf sie - persönlich traf, ausgewählt. Sie wurde es, obwohl er sie gar nicht kannte. Aber sie war von der Ausbildung her die beste, sagt Stöger. In einer schlaflosen Nacht habe er das Risiko abgewogen.

Rendi-Wagner lebte damals mit ihrem Mann in Israel, Michael Rendi, österreichischer Botschafter in Tel Aviv. Sie hatte eine Gastprofessur an der Tel Aviv University. Auf Anraten eines Berufskollegen hatte sie sich im Ministerium beworben. Ihre zweite Tochter war gerade ein Jahr alt geworden. Sie hätte sich jetzt beruflich etwas zurücknehmen können, aber eine moderne Frau wie Rendi-Wagner ist eine, die auf eigenen Beinen stehen will. Auch in der SPÖ, der sie erst beitrat, als sie Gesundheitsministerin wurde, hätte sie einen angenehmeren Weg nehmen können. Sie geht den harten Weg. Als SPÖ-Vorsitzende. Ein Frauenleben.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling