Fiona Swarowksi und Mark Mateschitz stehen nebeneinander
Österreich

Warum das Vermögen der Reichsten in Österreich stark unterschätzt wird

Über das Vermögen des reichsten Prozents liegen nur grobe Schätzungen vor. Ein Professor der Wirtschaftsuni Wien will das ändern, er wünscht sich von der Nationalbank genauere Erhebungen. Der Vorschlag ließe sich einfach umsetzen.

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Dass Superreiche, wie Red- Bull- Erbe Mark Mateschitz oder die Familien Porsche und Piech zum obersten Prozent der Österreicher gehören, wissen wir. Die Antwort auf die Frage, wie viel Geld sie tatsächlich besitzen, lautet aber kurz und knapp: Keine Ahnung. Denn unser gesamtes Wissen über ihr Vermögen geht auf grobe Schätzungen zurück. 

Und die haben eine ziemlich große Bandbreite: Laut den belastbarsten Zahlen der Österreichischen Nationalbank (OeNB) besitzt das reichste Prozent in Österreich zwischen einem Viertel und der Hälfte des privaten Gesamtvermögens im Land. Genauer lässt sich das derzeit nicht sagen. Dabei gäbe es laut einem Ökonomen der Wiener Wirtschaftsuniversität eine ziemlich einfache Lösung, um die Datenlage schlagartig zu verbessern. Für eine seriöse Debatte über Vermögens- und Erbschaftssteuern wären detailliertere Zahlen jedenfalls notwendig. 

In Österreich gilt seit jeher: Über Geld spricht man nicht. Dabei gibt es davon recht viel. Mit einem Anstieg des Netto- Gesamtvermögens von 70 Prozent zwischen 2012 und 2021 gehört Österreich zu den reichsten Ländern der Welt. Die Verteilung der immensen Summen wird bislang aber nur geschätzt.

Reiche verweigern Antworten häufiger

Die belastbarsten Daten zur Verteilung von Geld und Vermögenswerten lieferte der Household Finance and Consumption Survey (HFCS) erstmals 2010. Der mittlerweile zum vierten Mal veröffentlichte Bericht eruiert mithilfe von Bankdaten und Umfragen in der Bevölkerung, wie es um das Vermögen privater Haushalte in 22 europäischen Ländern steht. 

Die größten Herausforderungen für die Forscher sind am oberen und am unteren Ende der Vermögensverteilung zu finden: Denn der reichste und der ärmste Teil der Bevölkerung sind schwer zu erfassen. Das betrifft Menschen, die zum einen nicht befragt werden, wie Obdachlose, oder jene, die teilweise nicht befragt werden wollen, wie sehr Reiche. Neben der geringen Wahrscheinlichkeit, dass Superreiche in einer zufällig ausgewählten Stichprobe von 8000 Haushalten ausreichend vertreten sind, stellt nämlich auch das Antwortverhalten eine Unsicherheit der HFCS- Datenerhebung dar. Die non–response Rate sei am oberen Ende der Verteilung deutlich höher, erklärt Dr. Wilfried Altzinger, Co-Leiter des Forschungsinstituts „Economics of Inequality“ an der WU Wien.

Fachleute sprechen vom sogenannten „fat tail“. Besonders reiche Haushalte haben einen großen Einfluss auf die finalen Schätzwerte des Gesamtvermögens, sind aber in der Studie kaum repräsentiert. Besonders in der zweiten Welle der HFCS- Erhebung konnte festgestellt werden, dass reichere Haushalte eher dazu tendieren, eine Teilnahme der Befragung zu verweigern, was die Lücke nur umso größer macht. Das führe laut Studien in den meisten Fällen zu einer Unterschätzung der Größe und Ungleichverteilung der tatsächlichen Vermögensbestände.

Wirtschaftsexperte Wilfried Altzinger

Lösung für verzerrte Zahlen: Oversampling

Eine Lösung für die derzeit mangelhafte Erfassung besonders vermögender Haushalte sieht Ökonom Altzinger in einem gezielten Oversampling. Bei dem Verfahren werden bestimmte Gruppen, die aufgrund ihrer geringen Anzahl statistisch kaum erfasst werden können, also beispielsweise die Reichsten, überproportional berücksichtigt. Das kann zu einer genaueren Analyse der Vermögensverteilung beitragen. Wenig bis gar nicht repräsentierte Bereiche der Verteilung werden somit mittels zusätzlicher Umfragen abgedeckt. Das sei „prinzipiell sehr einfach durchführbar“ und wäre „absolut notwendig“, betont der Wiener Wirtschaftsexperte im Gespräch mit profil. 

Aktuelle Schätzungen würden laut Altzinger darauf schließen lassen, dass die reichsten 100 Familien Österreichs ein Vermögen von 220 Milliarden besitzen, wobei das Gesamtvermögen hierzulande laut OeNB bei 1250 Milliarden Euro liegt. „Wenn diese absolut kleine Gruppe an Haushalten nicht ausreichend miterfasst wird, haben wir eine extrem unzufriedenstellende Datenbasis“, kritisiert der Ökonom. Gerade für seriöse Vermögensanalysen sei dies aber aufgrund der hohen Konzentration eine unabdingbare Voraussetzung. Auch die Autor:innen einer 2017 veröffentlichen Studie der Johannes Kepler Universität Linz bestätigen: Beide Verzerreffekte - sowohl die Unterrepräsentation als auch die steigende Antwortverweigerung – könnten durch die Methode stark reduziert werden. 

17 Länder setzen bereits auf das Oversampling, Österreich gehört nicht dazu. Nur in 5 der insgesamt 20 EURO-Ländern wird ein derartiges Oversampling nicht durchgeführt. Dabei sei diese Methode ein wichtiger Schritt um verzerrte Darstellungen der Vermögensverteilung zu vermeiden und detaillierte Analysen zu gewährleisten, betont Altzinger im Gespräch mit profil.  

Zu wenig Daten aus Österreich

Die Österreichische Nationalbank, die die österreichischen Daten für den HFCS liefert, führt auch in der gerade laufenden fünften Welle der Befragungen kein Oversampling durch. Der Grund dafür sei der hohe Aufwand. „Der überwiegende Bereich der Vermögensverteilung in Österreich, insbesondere der wichtige Teil der Verschuldung, wird durch den HFCS gut abgebildet. Für die meisten komplexeren statistischen Anwendungen spielen die Probleme der Erfassung des oberen Rands eine untergeordnete Rolle“, heißt es auf Anfrage von profil. Die Befragung mittels HFCS würde aus der Sicht der ÖNB vor allem der Finanzmarktstabilität und damit insbesondere der Erhebung der (Netto-) Verschuldung von Haushalten und Banken dienen. Hierfür sei der Mehrwert der Erfassung von sehr hohen Vermögen „fraglich“, heißt es. 

Dieses Argument überzeugt Altzinger nicht. Denn die Daten sind prinzipiell da. In anderen Ländern der EURO-Zone werden für ein Oversampling beispielsweise Administrativdaten zur Einkommenssteuer oder über besonders wohlhabende Wohnviertel als Grundlage für eine höhere Stichprobenziehung verwendet, erklärt er. Sowohl die Kostendeckung als auch die technischen Voraussetzungen seien gegeben. Dass das Oversampling in Österreich nicht durchgeführt wird, sei eher eine politische Frage, vermutet der Wirtschaftswissenschafter. “Sicherlich ist der Aufwand statistisch etwas höher als bei einer normalen Befragung, wäre aber in Anbetracht dessen, was die Methode an Mehrinformation liefert, absolut zu rechtfertigen.”

Auch die Reliabilität ist laut Altzinger aufgrund der existierenden Vorinformationen, beispielsweise über die Wohnungs- oder Grundstücksgröße, gegeben. “Die Kontrollmöglichkeiten sind hier relativ gut. Wenn jemand mit einem 300 Quadratmeter großen Pool in Döbling Angaben macht, die absolut nicht mit diesen Vorinformationen kompatibel sind, wird das entsprechend recherchiert und korrigiert, um unseriöse Auskünfte auszuschließen", erklärt der Experte.

Altzingers Forschung wird derzeit übrigens prominent diskutiert, allerdings ohne seinen Namen zu nennen. Auf Grundlage der ersten HFCS-Welle veröffentlichte der Ökonom im Jahr 2013 eine Simulation, die zeigen sollte, wie viele Menschen von einer Erbschaftssteuer betroffen wären. Bei einem Freibetrag von einer Million Euro wären dies etwa zwei Prozent der österreichischen Bevölkerung. Auf diese - zehn Jahre alten - Zahlen beruft sich aktuell auch die SPÖ unter Andreas Babler. 

Gröbere Unschärfen sind aufgrund der veralteten Daten und der bloß rudimentären Erfassung der Reichsten nicht ausgeschlossen.

Karolina Heinemann

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.