Für Weihnachten gilt eine Sonderregelung

profil-Morgenpost: Sind Sie Weihnachtslied-Textsicherheitsexperte?

Guten Morgen!

Drucken

Schriftgröße

Die größte Kulturleistung der Menschheit ist der Gesang. Alle Menschen (leider auch böse) aller Kulturen aller Zeiten sangen. Im heurigen Jahr ist der Gesang Corona-bedingt in Verruf geraten. Wer singt, spuckt dabei und steckt damit an. Daher warnen Virologen seit Monaten vor gemeinsamem Singen. Auch die Clusterfahndung zeigt: Chöre waren Corona-Cluster, Kirchenchöre Supercluster. Auf dem Gotteslob sollte ähnlich wie bei Zigarettenschachteln stehen: „Singen kann Ihre Gesundheit gefährden!“ Oder: „Achtung! Gesang tötet!“ Darunter müsste das Foto einer Corona-Lunge oder eines Corona-Opfers auf der Intensivstation abgebildet sein.

Emotionaler Kurzschluss

Weihnachten ohne Singen ist wie Weihnachten ohne Schnee oder Geschenke (übrigens: hier wäre eines, sogar rot verpackt). Wir wollen uns gar nicht daran gewöhnen. Egal wie Sie am 24. Dezember feiern – Sie sollten singen. „Weihnachtslieder sind der unmittelbarste emotionale Kurzschluss zur Kindheit. Tiefer kann Erinnerung nicht sitzen. Sie wirken wie Traubenzucker, der sofort in die Blutbahn geht“, schrieb der deutsche Autor Ijoma Mangold 2014 in einem erhellenden Text in der „Zeit“.

Beim Feiern morgen Abend sind Mund-Nasen-Schutze nicht obligatorisch, auch bei „Stille Nacht, heilige Nacht“ nicht. Weihnachten darf einfach nicht zur Masked-Singer-Show werden. Da „Stille Nacht, heilige Nacht“ das bekannteste Weihnachtslied ist, herrscht landauf, landab, in Tälern und Städten eine gewisse Textsicherheit. Wie bei der Bundeshymne kennen die meisten von uns zumindest die erste Strophe. Wer alle Strophen kennt, ist ein Textsicherheitsexperte. Ihr Morgenpostler ist ein solcher. Er kennt alle Strophen aller Weihnachtslieder, sogar von „Es wird scho glei dumpa“. In der zweiten Strophe dieser Weise zieren Engel die „Liegestatt“ des Heilands aus. Wann sonst kann man übers Jahr „Liegestatt“ hören?

Weihnachtslieder wirken nicht nur wie Traubenzucker, sie retten auch vom Aussterben bedrohte Wörter. Ohne „Leise rieselt der Schnee“ wüsste niemand mehr, was „Harm“ bedeutet. Gerade in Pandemie-Zeiten empfiehlt sich der Begriff für ein Comeback, etwa bei Predigten von Erzbischöfen. Aber auch als Mahnwort in Rudi Anschobers Pressekonferenzen würde „Harm“ gut passen.

Sinnliche Singleplarty

Wenn Sie morgen Weihnachten feiern, dann bitte im Einklang mit der tagesaktuellen Covid-Verordnung des Gesundheitsministers: also maximal zehn Personen aus maximal zehn Haushalten. Sollte es am 24. Dezember tatsächlich irgendwo landauf, landab, in Tälern oder Städten eine Bescherung mit zehn Personen aus zehn verschiedenen Haushalten geben, ist es wahrscheinlich keine besinnliche Weihnachtsfeier mit Gesang, sondern eine sinnliche Singleparty, vielleicht auch mit Masken.

Feiern und singen Sie morgen nach Ihrer Fa­çon!

Gernot Bauer

Abonnieren Sie hier die Morgenpost als Newsletter.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.