Streitgespräch

Soll man die Fußball-WM in Katar boykottieren?

Werner Kogler und Marc Janko über Korruption in Sport und Politik, den Problemfall ÖFB – und den falschen Mythos Córdoba. Und warum die beiden trotzdem die WM anschauen werden.

Drucken

Schriftgröße

Sportminister und Vizekanzler Werner Kogler kickte in seiner Jugend, Stürmer Marc Janko spielte unter anderem beim FC Porto und war Kapitän der Nationalmannschaft. Die beiden betonen: Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar war gekauft, die Vergabe an diese Diktatur, die Menschenrechte mit Füßen tritt, ein Fehler. Nur: Bei Gas aus Katar ist man weniger streng, argumentiert Janko.

Österreich ist nicht für die WM qualifiziert. Wenn Österreich mitspielte – würden Sie als Sportminister nach Katar fliegen?
Kogler
Nein, ich würde mit Sicherheit nicht hinfahren.
Was würden Sie als aktiver Fußballer tun?
Janko
Selbstverständlich würde ich hinfahren und möglichst gut spielen.
Kogler
Verstehe ich. Es gibt auch bei Politikerinnen und Politikern nicht nur schwarz und weiß. Die Sportministerin aus Deutschland fährt hin, auch dafür gibt es Argumente – etwa, dass man mit klaren Statements dort mehr erreicht. Mein Instinkt sagt mir: Nicht hinzufahren ist das deutlichere Statement. Ich bin auch heuer nicht zu den Olympischen Spielen in China gefahren, habe das in einem Tweet begründet. Mein Signal wurde gehört: Der chinesische Botschafter in Wien ist sofort beim Außenminister aufgeschlagen. 
Janko
Natürlich ist es absolut abzulehnen, dass Katar Menschenrechte verletzt und Stadion-Bauarbeiter ausbeutet. Es ist wichtig, das zu thematisieren. Ich habe aber ein Problem mit dieser zeitlich begrenzen Aufregungswelle vor der Fußball-WM. Denn es gibt massive wirtschaftliche Abhängigkeiten von Katar. Österreich kauft dort unter anderem Gas. Da stehen die Menschenrechte plötzlich nicht so im Vordergrund.
Kogler
Da haben Sie einen starken Punkt. Nur: Es gibt einen Unterschied zwischen einem Sportereignis und Gaslieferungen. Wir erleben den bestialischen Angriffskrieg Russlands, wir müssen raus aus der Gas-Abhängigkeit vom russischen Kriegstreiber. Vorgängerregierungen und Entscheidungsträger aus der Wirtschaft haben uns in diese Abhängigkeit gebracht, norwegische Gasfelder abgestoßen, ein sträflicher Fehler, fast eine wirtschaftspolitische Verbrecherspur. Wenn wir aus der Abhängigkeit von Russland kurzfristig rauswollen, brauchen wir Gas aus anderen Regionen. 
Janko
Ich verstehe die Zwickmühle. Ich will nur, dass wir uns nicht belügen und mit dem Finger nur auf den Fußball zeigen. Ich behaupte nicht, dass Österreich kein Flüssiggas aus Katar nehmen soll, immerhin befinden wir uns in einer Energie-Notsituation. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass es aus einem Land kommt, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten, Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt und Homosexuelle als geisteskrank bezeichnet werden.
Kogler
Da gebe ich Ihnen recht. Aber viele lupenreine Demokratien mit Gas gibt es leider nicht. Und akut gar kein Gas würde bedeuten, dass es bei uns nicht nur kalt wird, sondern die gesamte Industrie und damit Hunderttausende Arbeitsplätze krachen gehen. Wenn die Alternative lautet: Gas aus Russland oder aus Katar, dann muss man abwägen. Katar ist eine Diktatur, aber im Gegensatz zu Russland führt es keinen Angriffskrieg, ist nicht verantwortlich für zigtausende Tote, Massaker, Massenvergewaltigungen, Kinderverschleppung. Man kann sogar in den Taten zwischen Diktaturen eine Graduierung erkennen. Da bin ich im Zweifel für das gelindere Übel und Gas aus Katar.
Janko
Und ich bin im Zweifel jetzt der Meinung, dass es die Aufgabe der Fußballer ist, in Katar Fußball zu spielen. Und die Aufgabe des Fußballverbands Fifa ist, für ein Umfeld zu sorgen, in dem Menschenrechte eingehalten werden.

„Österreich kauft in Katar Gas. Da stehen die Menschenrechte plötzlich nicht so im Vordergrund.“

Marc Janko

Kann man es sich als Sportler so leicht machen? Man ist berühmt. Hat man nicht die Pflicht, das Wort zu ergreifen?
Janko
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele berühmte Fußballer in Katar ein Zeichen setzen werden. Das begrüße ich sehr. Auch ich würde definitiv ein Zeichen setzen. Aber ich halte es für falsch, von Sportlern zu erwarten, dass sie sich positionieren müssen. Auch wenn klar ist, dass es „Sportswashing“ auch im Fußball gibt.
Es ist lange bekannt, dass Katar Menschenrechte verletzt, Frauen- und Homosexuellenrechte missachtet. War es ein Fehler, die WM nach Katar zu vergeben?
Janko
Natürlich! Ich habe ein Problem damit, dass wir erst jetzt darüber reden. Die Vergabe passierte vor über zehn Jahren – im unglaublichen Doppelpack mit der WM für Russland 2018. Das hätte nie passieren dürfen, zu Recht wurden Funktionäre der Fifa wegen Stimmenkaufs verhaftet.
Kogler
Die Vergabe war ein klarer Fall von Korruption. Man kann getrost sagen: Die Fifa ist eine Mafia  – gewesen. Wobei ich nicht sicher bin, ob man in der Vergangenheit sprechen muss. Sicher ist: Mafia ist fast ein Hilfsausdruck, das System um Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter war aufreizend obszön. Es bringt aber nichts, wenn die vereinigten obermoralischen Sportminister dauernd im Chor sagen: Die Fifa ist eine Mafia. Das wäre zu einfach, auch dort gibt es Veränderungen. 
Janko
Es hat sich bei der Fifa im Wahlprozess einiges geändert. Stimmenkauf kann nicht mehr so einfach stattfinden wie damals.
Kogler
Da bin ich fast ein bisschen strenger als Sie. Es reicht nicht, dass der Entscheidungsmechanismus verändert wurde und jetzt mehr Funktionäre mitstimmen – deswegen können immer noch Geldkoffer unterwegs sein. Es braucht mehr Compliance-Regeln und Transparenz.  
Janko
Ich würde mich schon als kritisch und streng wahrnehmen. Ich liebe den Fußball, bin unabhängig von Institutionen wie der Fifa. Wenn es meine Überzeugung ist, erhebe ich gegen vieles meine Stimme und rede nichts schön.  
Kogler
Ich glaube, dass sich die Fifa-Strukturen zu wenig verändert haben, um Stimmenkauf ausschließen zu können. Aber wir stimmen überein: Es ist ein erster Schritt, dass die Entscheidungsgremien erweitert wurden, das allein löst aber noch nicht die offensichtlichen Probleme. Sie haben die Doppelvergabe an Katar und Russland angesprochen – viele haben gleich gesagt, dass das nach Stimmenkauf stinkt. 

„Finde es seltsam, dass Córdoba das berühmteste Spiel ist.“

Werner Kogler

War die WM in Katar gekauft?
Janko
Ja, mit Sicherheit. 
Kogler
Das ist belegt. Auch mit Verurteilungen, weil es sich die USA nicht gefallen ließen, dass sie nicht zum Zug kamen, und prozessierten.
Ist es sinnvoll, jetzt die WM zu boykottieren? 
Janko
Grundsätzlich gut, dass wir darüber reden, aber diese Diskussion kommt viel zu spät. Jetzt ergibt es keinen Sinn mehr, die WM zu boykottieren. Für viele Sportler, speziell aus kleineren Ländern, ist es wahrscheinlich die einzige WM, an der sie teilnehmen. Und so schnell wird man kein Ersatzland finden. 
Kogler
Ich sehe keinen Sinn in einem Boykott. Wir haben auch bei China nicht dazu aufgerufen. Es ergibt keinen Sinn, wenn Sportler über zehn Jahre nach der Entscheidung für einen Austragungsort nicht hinfahren. Auch die Diskussion, ob man die Spiele schauen darf, ist entbehrlich. Sinnvoller ist, darauf zu achten, dass wir künftig Ähnliches vermeiden.
Janko
Die Vergabe war absurd. Fünf Jahre nach der Vergabe kommt man drauf, hoppala, im Sommer hat es in Katar 50 Grad, das ist ungesund. Und das hat jahrelang niemand thematisiert? Da muss man sich ja an den Kopf greifen! Ich stelle mir als zweifacher Familienvater die Frage: Wie steht’s um unsere Welt, wenn solche Dinge hingenommen werden? Egal wo man hinschaut, findet man Missstände. Korruption etwa gibt es in Österreich genauso.
Sie finden es unfair, nur beim Fußball moralisch zu werden – solange unsere T-Shirts irgendwo billig genäht und unsere Tomaten von illegalen Migranten gepflückt werden?
Janko
Genau, man muss den Blick weiten. Hier am Tisch liegen unsere Handys: Ein iPhone besteht zu 90 Prozent aus arabischem Erdöl und afrikanischen Rohstoffen, die dort in Minen zutage gefördert werden, wo die Arbeitsumstände wohl noch schlimmer sind als bei Bauarbeitern in Katar. Oder nehmen wir Kleidung, wo laut einer Studie von „clean clothes“ aus dem Jahr 2019 von 264 Marken nur fünf den Mitarbeitern in den Produktionsstätten menschenwürdige Löhne zahlen. Wir müssen uns langsam fragen, was wir mit unserem Konsum fördern. Es ist eine Doppelmoral, bei vielem wegzuschauen – und nur beim Fußball hinschauen.
Kogler
Der Sport ist ein Brennglas für Fragen, die sich die Gesellschaft auch sonst kritischer stellen sollte. Daher ist es unfair, wenn man den moralischen Blick nur dem Sport auferlegt, während er bei wirtschaftlichen Interessen kaum eine Rolle spielt. Da muss Ethik erst mühsam ins Bewusstsein gebracht werden, davon wissen wir Grüne ein Lied zu singen.
Janko
Es ist halt eine große Bühne, die der Fußball bietet. 
Kogler
Ja, und die Bühne ist ambivalent. Katar ist eine Katastrophe. Aber prinzipiell könnte man natürlich auch Sport-Großveranstaltungen in Ländern machen, wo nicht alles pipifein ist – und hoffen, dass die große Bühne etwas verbessert.
Das passiert doch nie: Weltmeisterschaften und Olympische Spiele waren etwa in China, Russland – und Verbesserungen gab es nie.
Kogler
Bisher stimmt das leider. Eines der bittersten Erlebnisse war Russland: Vier Tage, nachdem 2014 in Sotschi die olympische Flamme erloschen ist, marschierten die Russen auf der Krim ein. Und so war es überall: Die Karawane zog weiter, der Fokus war weg, die Menschenrechte verschlimmerten sich. Aber theoretisch könnte es auch etwas ändern.
Janko
Katar ist nicht die erste WM, die in einem Land mit fragwürdigem Umgang mit Menschenrechten stattfindet – Stichwort Russland, Stichwort Südafrika. Überall wurden im Vorfeld Lippenbekenntnisse abgegeben. Wir alle wissen, was danach passierte.
Kogler
Ich beschreibe eine Welt, wo sich über Großereignisse vielleicht etwas zum Besseren ändert. Gerade Diktaturen begreifen Sport als große politische Inszenierung, bei dem Hebel könnte man ansetzen und Forderungen stellen. Aber das ist eine Vision. In der derzeitigen Realität bin ich so skeptisch wie Sie.
Janko
Die asiatischen Winterspiele im Jahr 2029 finden in Saudi-Arabien statt. Das ist die nächste Absurdität! Darüber redet derzeit niemand – und kurz davor werden alle fragen: Wie kann man Winterspiele in so einem heißen Land machen? Wo soll da der Schnee herkommen?
Kogler
Das ist natürlich absoluter Unfug. 
Janko
Das ist für die Umwelt genauso ein Unding wie Katar.
Kogler
Bei Katar wurde angenommen, dass man im Sommer spielt – daher wurden die riesigen Klimaanlagen in Stadien gebaut. Jetzt wird im Winter gespielt, bei 20 bis 25 Grad, trotzdem werden die Klimaanlagen angeworfen, weil sie da sind. Das ist doch eine Perversion. Diese WM in Katar ist von vorn bis hinten verkorkst. 
Das berühmteste WM-Spiel Österreichs fand 1978 in Córdoba statt. Alle reden über den Sieg gegen Deutschland – niemand sagt dazu, dass die WM 1978 in der Militärdiktatur Argentinien abgehalten wurde. Hat sich seit damals die Wahrnehmung verändert?
Kogler
Damals war die Zeit sicher anders, ich habe es selber mitgekriegt. Amnesty International war damals mit der Kampagne „Fußball ja, Folter nein“ unterwegs. Ich war 16 Jahre und eigentlich vollkommen unpolitisch. Aber das hat mich gepackt, ich war dann der Einzige, der in der Fußballer-Kabine Amnesty-Pickerl aufgepickt hat.
Sie spielten damals bei Sturm Graz.
Kogler
Nur kurze Zeit in der U21, nicht sehr erfolgreich, Kampfmannschaft war nie ein Thema. Amnesty hat mich damals beschäftigt, ich habe Berichte über Folter in der argentinischen Militärdiktatur gelesen. Auch das hat mich dazu gebracht, mich politisch zu engagieren. Aber ich finde es generell seltsam, dass Córdoba das berühmteste Spiel ist – doch vielleicht zeichnet das die österreichische Seele aus. 
Janko
Warum können Sie den Córdoba-Mythos nicht nachvollziehen?
Kogler
Verstehen kann ich ihn schon. Aber die österreichische Nationalmannschaft hat über Jahre manches geleistet – und wir reden nur über das Spiel gegen Deutschland. Offenbar reiben wir uns gerne am großen Bruder. 
Janko
Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Als kleiner Junge habe ich von allen Seiten gehört: Córdoba, wie toll! Je älter man wird, desto mehr recherchiert man. Ich war total enttäuscht, als ich herausfand, dass wir zum Zeitpunkt, als wir die Deutschen geschlagen haben, schon ausgeschieden waren. 
Es ging um nichts mehr.
Janko
Genau. Aber man glorifiziert Córdoba seit Jahrzehnten mit dem Fakt, die Deutschen mit nach Hause genommen zu haben – wohlwissend, dass man selbst davor sportlich gescheitert ist. Das spiegelt die österreichische Sportler-Seele gut wider. 
Konnte das Nationalteam nach Córdoba noch Erfolge feiern?
Janko
Die Jungs, die 1982, 1990 und 1998 zu einer WM gefahren sind und nach der Vorrunde ausgeschieden sind, haben sich ähnlich geschlagen – sie hatten nur nicht das Losglück, den großen Bruder mit nach Hause nehmen zu können. 
Kogler
Von der Rangreihung war die WM-Teilnahme 1978 ganz weit vorn. Österreich war unter den besten acht Mannschaften. Wir hatten dort zwei Spiele gegen Schweden und Spanien, wo der Schachner dieses Tor vom Fünfereck schoss. Da haben wir gewonnen, als es noch um den Aufstieg ging. Man könnte sich solche tollen Spiele für einen Hype aussuchen, haben wir aber nicht gemacht – und das ist wirklich frappierend. 
Janko
Ich möchte nichts schmälern und jedem seinen Mythos lassen. Es war eine gute Leistung, aber ich kann nicht nachvollziehen, dass das als der Jahrhundert-Moment verkauft wird. 
Die österreichische Nationalmannschaft war seit fast 25 Jahren bei keiner WM dabei, das letzte Mal 1998. Woran liegt das?
Janko
Ich vermute hauptsächlich an den Strukturen.
Wo genau?
Janko
Ich zitiere einen mächtigen ÖFB-Funktionär: „Es ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.“ Wenn solche Menschen an den Hebeln der Macht sitzen, ohne Visionen und Animo zu haben, etwas zu ändern, wird’s eben ewig so weitergehen. 
Das ÖFB-Präsidium besteht großteils aus Landespräsidenten. Richter, Rechtsanwälte und Bürgermeister bestellen dort etwa den Teamchef. Ist das noch zeitgemäß? 
Kogler
Die Frage der Organisation des ÖFB kann man schon stellen. Mein Eindruck ist: Wir sind in Österreich bei der Teamchef-Frage ein bisschen zu ungeduldig. Man sollte jemandem vertrauen, der ein bestimmtes Spielsystem forciert, und dem mehr Zeit geben als den Vorgängern. Das Bestellsystem der Trainer ist massiv hinterfragenswert. Man müsste überlegen, wie man im oberen Funktionärstum mehr Profis reinbringt. Oder generell: Mehr drauf schauen, dass beim Erfolg was weitergeht, und weniger einmischen und intrigieren. 
Janko
Das fordere ich seit Jahren. Profis sollen über Profis entscheiden. Ehrenamt ist wichtig – für den Breitensport. Aber die Anforderungen im Profibereich haben sich geändert. Ein Anwalt aus einem Bundesland kann nicht wissen, welche Anforderungen ein Profisportler braucht und welcher Struktur es bedarf, um professionell arbeiten zu können. 
Kogler
Man muss sich schon fragen, warum kleine Länder mehr schaffen – zum Beispiel Kroatien.
Welche Antwort geben Sie auf diese Frage?
Kogler
Für einen eingefleischten Österreich-Fan ist es tragisch, dass wir seit 1998 bei keiner Weltmeisterschaft waren. Künftig will die FIFA Weltmeisterschaften mit 48 Teams spielen – da wäre es eine besondere Niederlage, wenn Österreich nicht dabei wäre. 
Haben Sie als Nationalteam-Spieler je bemerkt, dass die Struktur des ÖFB den Erfolg der Mannschaft verunmöglicht?
Janko
Da würde ich es mir zu leicht machen. Aber eine professionelle Struktur erhöht sicher die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs. Die Schweiz macht uns das vor, die sind Stammgast bei jedem Großereignis. 
Der ÖFB wird von einer Inseraten-Affäre erschüttert. Präsident Gerhard Milletich wird vorgeworfen, sein Amt ausgenützt zu haben, um Inserate für seinen Verlag zu keilen. Welche Konsequenzen muss das haben?
Kogler
Ich würde mir vom ÖFB eine Struktur erwarten, die das selber darstellen und aufarbeiten kann.
Ist der ÖFB dazu in der Lage?
Kogler
Ich hoffe doch. Es wäre gut, wenn sie eine objektive Kommission zur Klärung der Vorwürfe einsetzen. Man sollte den Mailverkehr offenlegen. Als Fördergeber erwarte ich mir, dass der ÖFB etwas schafft, damit die Mitglieder wieder Vertrauen fassen können.
Aktuell richten sich die Landespräsidenten über Medien Unfreundlichkeiten aus.
Kogler
Das macht mich ja so skeptisch.
Janko
Es gilt die Unschuldsvermutung, aber restlose Aufklärung ist gefordert. Wir reden hier vom höchsten Sportfunktionärs-Amt in Österreich, dem ÖFB-Präsidenten. Aufklärung muss auch in seinem Interesse sein. Wenn er die Vorwürfe nicht klagt, würde das meiner Meinung nach einem Eingeständnis gleichkommen. 
Kogler
Da stimme ich zu. Aber wenn der Verband so „beinand“ ist, um es im Dialekt zu sagen, dass die sich in erster Linie gegenseitig etwas ausrichten, ist das mindestens so unschön wie eine mögliche Inseratenaffäre. 
Janko
Vor allem ist der ÖFB handlungsunfähig. 
Kogler
Ja, dadurch entsteht Blockade.
Ist eigentlich der Sport korrupter oder die Politik?
Kogler
Bei dem Begriff muss man aufpassen: Reden wir über das, was im Strafrecht normiert ist oder …
Janko
… ich würde sagen: Nein. Korruption fängt nicht beim Strafrecht an. Da geht es auch um ethische und moralische Standards. 
Kogler
Ja, es geht um ein bestimmtes Ethos. Ich habe mir noch nicht den Kopf darüber zerbrochen, ob im Sport oder in der Politik mehr Korruption stattfindet. In der Politik – und da bin ich ein bisschen stolz auf uns Grüne – sind die Aufklärungsstandards seit einigen Jahren deutlich höher. Die Justiz kann unabhängig arbeiten. Ein Sektionschef kann nicht mehr sagen: Geh bitte, Aufklärungsbehörde, Staatsanwaltschaft, derschlagt’s das. Und es gibt von uns durchgesetzte Untersuchungsausschüsse als Minderheitenrecht. Auch die bewirken eine Selbstreinigungsfähigkeit, die ich in bestimmten Sportverbänden gar nicht feststelle. 
Janko
Ich hoffe, dass der ÖFB das aufklärt. 
Zurück zur WM in Katar: Der Ex-Profi Gary Lineker wünscht, dass sich homosexuelle Fußballer dort outen – ist das sinnvoll?
Janko
Als Zentraleuropäer sollte man offen damit umgehen. Aber in sozialen Medien könnte auf jene, die sich trauen, sich zu outen, viel hereinprasseln. Man kann leicht jemanden in die Pflicht nehmen, sich zu outen, wenn es nicht um einen selbst geht.
Kogler
Outing ist eine sehr persönliche Entscheidung. Das einzufordern, halte ich für nicht sinnvoll. Viel wichtiger ist, für all jene, die das tun wollen, ein gutes Umfeld zu schaffen.
Haben Sie Spieler kennengelernt, die Leidensdruck verspürten, weil sie sich nicht outen konnten?
Janko
Ich habe mit keinem zusammengespielt, der sich geoutet hat. Aber es gab natürlich die eine oder andere Vermutung.
WM-Botschafter Khalid Salman bezeichnete Homosexualität als „haram“ und „geistigen Schaden“ – im europäischen Fußball traut sich auch kaum ein Fußballer ein Outing zu. Sind wir scheinheilig im Urteil über andere Länder? 
Janko
Ich würde mir wünschen, als Gesellschaft offener zu werden. Liebe sollte für alle möglich sein, egal in welcher Form. 
Wir haben viel über das Negative an der WM in Katar geredet. Werden Sie trotzdem die WM schauen – oder schalten Sie den Fernseher aus?
Janko
Ich werde definitiv schauen. Dies Mal eben mit Punsch vorm Fernseher.
Kogler
Ich schaue mit Sicherheit auch. Aber alle Matches gehen sich terminlich nicht aus.
Da hatten Sie es bei der WM 2018 leichter, da waren die Grünen gerade nicht im Parlament.
Kogler
Dafür mussten wir einen Schuldenberg abtragen und uns aus der Grube herauskämpfen. Was bei dieser WM definitiv anders sein wird: Zu Public Viewings einzuladen, haben wir nicht im Sinn. Es ist sinnvoll, überall zurückhaltend zu sein, wo Sponsoren auftauchen könnten. Das ist ein Signal. Ansonsten sollten wir jede persönliche Entscheidung respektieren. Aber ob der Herr Janko oder ich oder andere zu Hause oder im Wirtshaus die WM schauen oder nicht schauen, wird den Emir von Katar auch nicht um den Schlaf bringen. 
Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin