Wie Jugendliche in Kampfsport-Klubs für den IS-Terror angeworben werden

Wie Jugendliche in Kampfsport-Klubs für den IS-Terror angeworben werden

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Kickboxen hat einen Hautgout. Brutal und verroht sieht es aus, wenn eine Faust aufprallt, ein Fußtritt ein dumpfes Klatschen auf Bauch, Magen und Oberschenkel erzeugt. Ein Wunder, dass nicht Gedärme spritzen, sondern nur Schweiß. Die Boxer tragen Muskelpanzer, ihre Gesichter sind verzerrt vor Anstrengung. Auf den Shorts prangen martialische Embleme.

Die meisten Kampfsportarten stammen aus Asien, doch Kickboxen ist eine westliche Abwandlung, nach dem Vietnamkrieg von US-Soldaten entwickelt, um ihr Trauma durch körperliche Disziplin zu bannen. Hierzulande erfreut sich die Verbindung von traditionellem Boxen mit Schlagen und Treten wachsender Beliebtheit unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Viele tschetschenische Burschen sind mit Kickboxen aufgewachsen, so wie österreichische Kinder mit Skifahren.

Was machst du da in Syrien? Komm zurück, deine Frau ist schwanger! Und jetzt ist er tot

Fast jeder der verirrten Jugendlichen, die nach Syrien in den Dschihad gezogen sind, hatte zuvor mit Kickboxen oder ähnlichen Kampfsportarten zu tun. Einer der derzeit im Grazer Landesgericht wegen des Verdachts auf Rekrutierung für die IS auf eine Anklage wartenden Wiener Prediger trieb nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes seine Anhänger zu harter körperlicher Ertüchtigung – unter anderem zum Kickboxen – an. Dazu wurde eine Koryphäe aus der Schweiz nach Österreich geholt: der zweifache Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi. Wie sich nun herausstellt, hatte der Champion in der Nähe von Winterthur ein islamisches Kampfsportcenter betrieben, von dem aus mehrere Jugendliche nach Syrien verschwanden. Gashi selbst hatte sich dem „Islamischen Staat“ angeschlossen. Dieser Fall hat Wiener Kickboxer alarmiert.

„Wir haben Gashi auf Facebook geschrieben: Was machst du da in Syrien? Komm zurück, deine Frau ist schwanger! Und jetzt ist er tot“, sagt Foad „Pitbull“ Sadeghi bedrückt. Der 29-jährige Österreicher iranischer Herkunft ist selbst Weltmeister im Thaiboxen. Sadeghi kämpft, um zu gewinnen. „Wenn du der Beste sein willst, gibt es keine andere Einstellung“, sagt er. Diese unbedingte Härte zähle jedoch nur während des Kampfs. Der gegenseitige Respekt dürfe nie verloren gehen. Seit einem Jahr betreibt er einen Klub in der Wiener Leopoldstadt, jenem Bezirk, von dem aus in der NS-Zeit mehr als 65.000 Wiener Juden in Vernichtungslager deportiert wurden.

Man kann nicht wissen, warum einer kommt. Aber ich spür, wenn einer Aggressionen hat

Sadeghi sieht darin eine gewisse Verpflichtung. „Ich bin mit Leuten aufgewachsen, die ins Gefängnis kamen. Ich kenne das Schlimmste und das Beste, was der Mensch sein kann.“ Auch ihn habe der Kampfsport vor Jugendtorheiten gerettet. „Man kann nicht wissen, warum einer kommt. Aber ich spür, wenn einer Aggressionen hat: wie er einem in die Augen schaut, wie er auf einen zukommt. Da sind ein paar Tschetschenen hier hereingekommen, die waren so aggressiv, die haben wir nicht aufgenommen“, erzählt Sadeghi.

Islam Suleymanov, 19 Jahre alt, ein melancholisch dreinblickender Tschetschene aus Grosny, HTL-Schüler, hat es geschafft. Mindestens dreimal in der Woche verausgabt sich der fromme Muslim beim Kickbox-Training. Neun Jahre war er alt, als er mit seinen Eltern aus der Heimat flüchtete. Er erinnert sich an eine Kindheit im Keller, an Hunger und Kampfgetöse. Warum schlägt er sich jetzt mit anderen im Keller eines Studios? Der junge Mann schaut verloren in die Ferne. „Damit man nicht draußen in Schlägereien gerät, und um Aggressionen wegzukriegen“, sagt Suleymanov. Ihn habe der Kampfsport vor der Gewalt auf der Straße bewahrt. „Das ist einfach so. Man weiß es, wenn man es einmal getan hat.“ Das Kickbox-Training beruhige ihn, sagt Suleymanov. Seinen Landsleuten würde er das gern vermitteln, doch das sei schwierig. „Die Kriegserfahrung, die Lebensart, falsche Prediger.“

Mit Jugendlichen, die nach Syrien gegangen sind, hat auch Karim Mabrouk Erfahrungen gesammelt. Er ist selbst ein kleiner Star, Österreichmeister, Sportstudent, 22 Jahre alt. Zeitweise arbeitet er für eine Security-Firma, obwohl er solche Jobs nicht mag. Er hofft, bald von den Gagen für die Kämpfe leben zu können.

Die Jugendlichen, die das tun, sind wie nach einer Gehirnwäsche. Sie haben wenig Ahnung von der Religion

Mabrouk kennt einige Jugendliche aus seiner Wohngegend, der Großfeldsiedlung im 21. Wiener Gemeindebezirk, die sich im vergangenen Jahr zur Terror-Miliz IS absetzten. Manchmal war es die ganze Clique: Muslime, Konvertierte, Kleinkriminelle. „Die Jugendlichen, die das tun, sind wie nach einer Gehirnwäsche. Sie haben wenig Ahnung von der Religion, lassen sich in etwas hineinfallen. Das sind Leute, die in ihrem Lebensstil sehr radikal sind. Egal, was sie machen“, sagt Mabrouk. Das Schlimmste sei, dass auch mancher Rückkehrer die IS-Milizen noch immer verteidige. „Egal, wie lang man mit ihm redet. Der hat das schon fest in seinem Kopf. Radikal bleibt radikal. Er sagt, dort leben die besten Menschen der Welt, und die Medien würden das völlig verzerrt darstellen.“

Mabrouk ist stolz darauf, Trainer im „Tosan“ zu sein, denn dieser Klub ist speziell: unscheinbar von außen, rote Boxhandschuhe als Symbol. Man trifft hier Tschetschenen, Albaner, Serben, Türken, Ägypter, aber auch Österreicher. Auch einige Frauen trainieren hier – und Juden. Während im Souterrain die Erwachsenen ächzen und stöhnen, springen in der ersten Etage kleine gelenkige Buben wie Gummibällchen durch einen hellen, großen Raum, die meisten mit einer Kippa auf dem Kopf.

Ronen Natanov, 17 Jahre alt, ein Wiener Jude, trainiert erst seit wenigen Wochen im „Tosan“. Er fällt auf unter den Muskelpaketen: klein, blass und bebrillt. Er habe noch nie zuvor Kampfsport betrieben, eigentlich gar keinen Sport, und anfangs sei es eine Katastrophe gewesen, aber nicht wegen der Leute, sondern wegen seiner Unsportlichkeit, erzählt Natanov. Es sei „schon ungewohnt – Araber, Bosnier, Tschetschenen und Juden“. Aber keiner sei ihm feindlich oder respektlos gegenübergetreten. Politische Debatten über Israel vermeide er vorsichtshalber trotzdem. Natanov trainiert, um seine Selbstverteidigungskraft zu stärken: „Dann weiß ich, was man in einem solchen Fall am besten tut.“ In Wien habe er bisweilen schlechte Erfahrungen gemacht, wenn er mit Kippa unterwegs war.

Wie ist es um ihre Popularität bestellt?

Was sie konkret tun werden, um das Image des geliebten Sports zu verbessern, wissen die Kickboxer noch nicht so genau. Alexander Karakas, ein umtriebiger Agenturchef, hat sie auf die Idee gebracht, ihre Prominenz unter den Jugendlichen zu nutzen. Karakas hatte auch schon die Kampagne „Not in God’s Name“ und den „Trialog-Fußball-Verein“, in dem Christen, Muslime und Juden zusammenspielen, initiiert.

Aber wie ist es um ihre Popularität bestellt? Sind diese Kickboxer wirklich eine so große Nummer unter Wiener Jugendlichen? Sie stellen sich für profil gern einem Testspaziergang durch den 2. Bezirk. Wie zufällig (in Wahrheit jedoch bestellt) schlendern unweit des Klubs zwei Jugendliche des Wegs. Begeistert stürzen sie auf die Kickboxer zu und bitten um ein Autogramm. Sie glühen vor gutem Willen, sind kaum einzubremsen.

Doch später am Praterstern bildet sich ungeplant eine kleine Traube von Jugendlichen. Einer der Kickboxer, Sasa Jovanovic, auch er ein Weltmeister, ist von seinen serbischen Landsleuten als Erster erkannt worden. Wenn einer wie er in aller Deutlichkeit sagt, dass er den Dschihadismus ablehnt, kann er über den Sport hinaus Vorbildwirkung entwickeln.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling