Nach der Amoktat in Graz: Wie lassen sich Schulen besser schützen?

Von Nina Brnada
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Es gibt nichts, was den Amoklauf am Grazer BORG Dreierschützengasse hätte verhindern können: keine Schranken, kein Kontrollposten, kein Wachmann. Darin sind sich viele Lehrerinnen und Lehrer, Sicherheitsexperten, Psychologen und Politiker im Großen und Ganzen einig. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass sie mit dieser Einschätzung wohl richtig liegen: All diese Vorkehrungen gab es beispielsweise an der Belgrader Grundschule Vladislav Ribnikar, als der 14-jährige Kosta K. am 3. Mai 2023 mit der Waffe seines Vaters und der Absicht zu töten zu seiner Schule marschierte. Der Wachmann vor dem Schultor war für den Schützen kein ernsthaftes Hindernis – er hat ihn erschossen und sich innerhalb von wenigen Momenten Zutritt ins Gebäude verschafft. Kosta K. tötete daraufhin sieben seiner Mitschülerinnen und Mitschüler.
Derlei extreme Taten werden sich wohl niemals völlig ausschließen lassen. Vor allem, wenn die Schule ein offener Ort bleiben soll. Doch die Frage, wie man künftig Schulen sicherer machen könnte, bewegt nicht nur Lehrer, Eltern und Schüler, sondern auch die Politik. Vielfach ist die Rede von einer Evaluierung „baulicher Maßnahmen“, von möglichen Schließanlagen, Schleusensystemen, Metalldetektoren.
Doppelt so viele Schulpsychologen
Wiens Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling (Neos) spricht vage von „Zugangssperren“, womöglich Gegensprechanlagen. In Graz denkt eine Expertengruppe darüber nach, Schließsysteme einzurichten oder gar in Schulen Rückzugsräume für Notfälle einzurichten. Das Innenministerium kündigt bis Ende des Schuljahres, also für die kommenden Tage, mehr Polizeipräsenz rund um Schulen an. Was das genau bedeutet, führt das Ministerium nicht aus. Es sind allesamt Maßnahmen, die wenig invasiv sind, aber zumindest kurzfristig das Gefühl vom absoluten Kontrollverlust, den der Amoklauf ausgelöst hat, zurückdrängen. Was genau sich ändern wird, ist völlig unklar und wird wohl stark vom jeweiligen Schulstandort abhängen. Sicher ist, dass es in den kommenden drei Jahren doppelt so viele Schulpsychologen geben soll wie heute. Auf einen Psychologen kämen dann nicht 6000 Schülerinnen und Schüler, sondern 3000.
Im Oeversee-Gymnasium, rund drei Kilometer südlich des Tatorts in der Dreierschützengasse, sind als erste Maßnahme die Schultore zumindest zeitweise versperrt, sagt Herbert Weiß, Professor für Mathematik und Darstellende Geometrie. Weiß ist nicht nur Lehrer, sondern auch oberster AHS-Gewerkschafter. Die verschlossenen Türen wirken vor allem jetzt beruhigend, seien auf Dauer aber keine Lösung. Aus Schulen sollten keine Trutzburgen werden, das sei nicht nur eine Frage der Haltung, sondern auch im Alltag wenig praktikabel.
„Wenn ich nur bedenke, dass beispielsweise an unserer Schule viele externe Vereine unseren Turnsaal benutzen – wie soll man das absichern?“, fragt Weiß. Schulen seien offene Orte. Und jemand wie der Schütze sei keine klassische schulfremde Person, sondern ein ehemaliger Schüler und würde immer und überall leicht in seine Schule gelangen. „Vielfach brauchen diese Leute Zeugnisduplikate oder Ähnliches. Mir scheint, diese Tragödie war vor Ort nicht zu verhindern gewesen.“
Alarmübungen auffrischen
Lehrergewerkschafter Weiß findet jedoch, dass Schulen sehr wohl Möglichkeiten hätten, sich auf derartige Extremsituationen vorzubereiten – und zwar mit Abläufen, die man nicht erst erfinden müsste, weil es sie ohnehin schon gibt. So wie Feuer- und Bombenalarm ist auch Amok eine Eventualität, für die sich Schulen jetzt schon zumindest theoretisch wappnen müssen. Genau diese Amok-Übungen würden aber, im Gegensatz zu regelmäßigen Feueralarmtrainings, im Schulalltag oftmals vernachlässigt, sagt Weiß. Wie etwa bei Bombenalarm würden Lehrerinnen und Lehrer untereinander auch dabei mit Codewörtern kommunizieren, die nur die Lehrerschaft kennt, mit dem Ziel, unter den Schülerinnen und Schülern keine Panik auszulösen. Bei Amokalarm würde man beispielsweise die Sicherung von Türen und das Verbarrikadieren üben.
Einen Amoklauf wie jenen in Graz wird auch die beste Vorbereitung nicht verhindern können.
Hedwig Wölfl
Kinderschutzeinrichtung Möwe.
Damit die Griffe und Schritte besser sitzen, könnte man die Abläufe regelmäßiger und standardmäßiger auffrischen, so wie bei Feueralarmübungen, findet Weiß. Auch Kinderschutzkonzepte müsste man nicht neu erfinden. Denn diese müssen mit Ende des noch laufenden Schuljahres in jeder Schule vorliegen, eine Maßnahme, zu der alle Schulen in Österreich vergangenes Jahr noch unter der schwarz-grünen Regierung verpflichtet wurden. Anlass waren sexuelle Übergriffe an Schulen, etwa jene an einer Wiener Mittelschule, in der ein Lehrer über Jahre 20 Schüler sexuell genötigt haben soll.
Standortspezifische Konzepte
Doch die Konzepte gingen viel weiter und umfassen eigentlich sämtliche Punkte, die nun auch im Lichte des Grazer Amoks diskutiert werden: Mobbing, Umgang in der Schule, gewaltfreie Kommunikation; aber auch sehr operative Fragen wie Anwesenheit und Zutritt von schulfremden Personen. „In diesen Konzepten ist schon sehr viel drinnen, und sie bieten viele Möglichkeiten, auch weil sie von Teams an jeder Schule standortspezifisch zusammengestellt werden“, sagt Hedwig Wölfl von der Kinderschutzeinrichtung Möwe. Wölfl hat mit ihrem Möwe-Team viel Erfahrung in der Beratung zur Erstellung von Kinderschutzkonzepten an Schulen und diese auch dem Ministerium zur Verfügung gestellt.
Bildungsminister Christoph Wiederkehr, Neos
„Wir investieren in den nächsten Jahren mehr Budget in Präventionsmaßnahmen an Schulen, in denen auch Kinderschutz integriert ist.“
Das BORG Dreierschützengasse hatte laut Bildungsministerium ordnungsgemäß ein solches Konzept ausgearbeitet, es habe „alle Anforderungen“ erfüllt. Darin festgeschrieben ist beispielsweise eine zumindest vierteljährliche Begehung mit dem externen Sicherheitsbeauftragten, ein schulinternes Krisenteam, Evakuierungspläne, eine „Krisencheckliste“ der Schulpsychologie und eine jährliche Begehung der Fluchtwege und Sammelplätze, so das Ministerium. Am BORG Dreierschützengasse nutzte es nichts: „Einen Amoklauf wie jenen in Graz wird auch die beste Vorbereitung nicht verhindern können“, sagt Wölfl.
Zumindest hätten derartige Konzepte das Potenzial, Österreichs Schulen um ein Vielfaches sicherer zu machen, wenn sie mit Leben erfüllt sind. Viele Schulen seien auch sehr engagiert, sagt Wölfl. „Wir bekommen aber das Feedback, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer oftmals damit schwertun, dass die Erstellung und Weiterentwicklung dieser Konzepte im Alltag neben allen anderen Aufgaben einfach mitläuft.“ Tatsächlich könne man nicht sagen, wie viele Ressourcen dafür aufgewendet werden, das sei von Standort zu Standort sehr unterschiedlich, genauso wie die Anforderungen, heißt es aus dem Bildungsministerium. Auf die Frage, ob es Bestrebungen gibt, Schulen bei Kinderschutzkonzepten künftig grundsätzlich mehr zu unterstützen, heißt es von Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos): „Wir investieren in den nächsten Jahren mehr Budget in Präventionsmaßnahmen an Schulen, in denen auch Kinderschutz integriert ist.“

Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.