Beim "Grand Prix" in Eichgraben flogen die Fäuste.
Österreich

Event im Wienerwald: Wie Rechtsextreme in den Kampfsport drängen

Spannende Fights, volles Haus, ein verbotenes Symbol: Ein Event im Juni verdeutlichte den Boom von Österreichs Kampfsport. Und ein Problem mit Rechtsextremen.

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Um 18:30 Uhr wird es im Turnsaal der Mittelschule Eichgraben finster. Deckenlampen werden ausgeschaltet, durch die verdeckten Fenster dringt kaum Licht ein. Musik ertönt, das Publikum verstummt, dann beginnt die Show: Kämpfer nach Kämpfer wird aufgerufen, im Scheinwerferlicht gehen sie im schmalen Gang zwischen den aufgestellten Sesselreihen durch und betreten den Ring. In den nächsten Stunden werden sie in 13 Kickbox-Kämpfen gegeneinander antreten. Unter ihnen: Karl Proderutti, einer der besten in Österreich, Bleon Redzepi, Nachwuchshoffnung aus Oberösterreich, und der ukrainische Meister Wladislaw Schatunskyj.

Die Halle ist mit 250 Zuschauern voll, der „2. Wienerwald Grand Prix“ trotz Ticketpreisen ab 25 Euro nahezu ausverkauft. Der Kampfsport in Österreich boomt, die Events füllen nicht nur Turnsäle im Wiener Umland, sie lassen auch große Hallen aus allen Nähten platzen.

Doch die Szene hat ein Problem: Rechtsextreme versuchen, den Sport als Bühne zu nutzen. Auch in Eichgraben stehen zwei Männer mit Verbindungen zur „Identitären Bewegung“ im Ring. Man dürfe Sport nicht mit Politik vermischen, sagen die Veranstalter. Doch so scharf verlaufen die Trennlinien nicht.

So populär wie Arnautović

In Eichgraben versteht man schnell, was den Sport ausmacht: Fäuste fliegen, Tritte landen, Blut fließt. Doch Kickboxen ist weit mehr als das. Die Kämpfer dürfen ihre Deckung nicht aufgeben, sie wehren Schläge ab oder weichen mit blitzschnellen Bewegungen aus. Die besten Kämpfe erinnern an Ballett-Choreografien.

Der Boom hat nicht nur das Kickboxen erfasst, sondern auch Disziplinen, die Nähe zum Ringen aufweisen, wie Brazilian Jiu Jitsu oder Grappling. Der größte Hype herrscht um Mixed Martial Arts (MMA), das alle Kampfsportarten vereint. Zur zweiten Auflage der MMA-Eventreihe „Sparta“ kamen im März 3000 Menschen in das „Multiversum“ in Schwechat. Wer damit anfangen möchte, kann das zum Beispiel im „Hiro Gym“ tun, das in Wien-Liesing Anfang des Jahres eröffnet hat und auf über 2000 Quadratmeter alles anbietet, was das Kämpferherz begehrt.

Zum Run auf den Sport hat auch Aleksandar Rakić beigetragen. Der Wiener kämpft im stärksten MMA-Verband der Welt, der UFC, und hat im Halbschwergewicht in den nächsten Jahren realistische Chancen auf einen Titel. Auf Instagram folgen Rakić über 220.000 Menschen und damit mehr als jedem aktiven österreichischen Skirennläufer und in etwa so viele wie dem Rekordspieler der Fußball-Nationalmannschaft, Marko Arnautović.

Bei Kaffee und Kuchen

Vom Glanz und Glamour des großen Sports sind die Teilnehmer der Veranstaltung in Eichgraben weit entfernt. Die Kämpfer ziehen sich in den Garderoben um, die unter der Woche die Schulkinder nutzen, beim Buffet gibt es Kaffee, Kuchen und Dosenbier. Im Juni des Vorjahres fand die erste Auflage des „Grand Prix“ statt, die zweite stand am Rande der Absage. Grund war die Teilnahme von Julian H. und Laurenz G. und deren politische Gesinnung, auf die eine Rechercheplattform der Wiener Antifa aufmerksam machte. Der „Standard“ griff das auf.

G. nahm regelmäßig an Kundgebungen der „Identitären Bewegung“ bzw. deren inofizieller Nachfolgeorganisation „Die Österreicher“ teil. Erst im November errichtete er mit anderen Aktivisten eine „Abschiebe-Zone“ in der Linzer Innenstadt, in der die „Schließung aller Grenzen“ und der „Stopp des Bevölkerungsaustausches gefordert wurde.“ Bis im Vorjahr war G. Angehöriger des Bundesheeres, seine Karriere dort musste er wegen seiner politischen Arbeit beenden. Laut Informationen von profil ist sein Name in den Akten mit einem Sperrvermerk versehen, eine Wiederaufnahme ist also bis auf Weiteres nicht möglich. Auch von H. kursieren Fotos, die ihn bei rechtsextremen Versammlungen zeigen, zum Beispiel bei einem „Patriotentreffen“ im Mai 2022 in Wien, an dem auch „Österreicher“-Chef Jakob Gunacker teilnahm.

Der Veranstalter des „Grand Prix“, der Kickbox-Verband WKF, erklärte im Vorfeld, von den Umtrieben nichts gewusst zu haben. Präsident Gerhard Corradini sagte, dass sich die WKF von jedem extremistischem Gedankengut distanziere. Letztlich gab Georg Ockermüller – Eichgrabens ÖVP-Bürgermeister und damit Hausherr des Turnsaals – grünes Licht. Er hielt noch vor Beginn der Kämpfe eine Rede, in der er sagte, dass Spitzensport mit Politik nichts zu tun habe und forderte, von politischen Statements während der Veranstaltung abzusehen. Also durften H. und G. kämpfen. H. gewann seinen Kampf, G. ging nach nicht einmal 90 Sekunden und einem Haken zur Leber zu Boden KO.

Trotz des sehr unterschiedlichen Ausgangs hatten die beiden Kämpfe eine Gemeinsamkeit: G. und H. werden beide von Ahmet Simsek trainiert, er stand beim „Grand Prix“ in ihrer Ringecke und rief von dort Tipps und Kommandos. Der Sohn türkischer Einwanderer ist im österreichischen Kampfsport ein bekannter Name: Er war Staatsmeister im Kickboxen und Mitglied des Nationalteams im klassischen Boxen, auch im MMA hat er neun Profi-Kämpfe bestritten. Im Gespräch mit profil in einem Café im dritten Wiener Bezirk erzählt auch er vom Boom. Die Szene sei, als er 2009 angefangen habe, noch sehr überschaubar gewesen, mittlerweile werde er manchmal von Fremden auf der Straße um ein Foto gebeten.

Von der politischen Einstellung seiner Schützlinge G. und H. habe er keine Kenntnis gehabt. „Im Gym reden wir nicht über Politik“, sagt er. Solange sich seine Athleten respektvoll verhalten, nicht straffällig werden und die Spielregeln der Demokratie akzeptieren, sieht er keinen Grund, Leute auszuschließen. Von G.s Sperrvermerk beim Bundesheer wusste Simsek nichts. „In meinen Trainings treffen sich Österreicher, Serben, Tschetschenen und Georgier. Es geht nicht um Hautfarbe oder Religion, sondern um Liebe zum Kampfsport“ , sagt er.

Im Gym reden wir nicht über Politik.

Ahmet Simsek

Boxtrainer

Verfassungsschutz beobachtet

Tatsächlich bringt der Kampfsport Menschen unterschiedlicher Religionen, Herkünfte und Hautfarben zusammen. Und es ist besser, Rechtsextreme kämpfen im Ring und in Anwesenheit eines Schiedsrichters gegen Migranten oder deren Kinder, als auf der Straße Jagd auf sie zu machen. Fraglich aber ist, ob das eine das andere ausschließt, ob die Grenze zwischen Politik und Sport wirklich so eindeutig ist, wie das auch Bürgermeister Ockermüller darstellte.

Nicht so trennscharf liegt die Angelegenheit für den deutschen Verfassungsschutz. Dieser konstatiert seit 2017 einen „signifikanten Anstieg von rechtsextremistischen Kampfsportturnieren, Kampfsporttrainings und sogenannten Selbstverteidigungsseminaren“, wie es auf der Homepage der Behörde heißt. Als Grund dafür geben die deutschen Verfassungsschützer an, dass die neonazistische Szene seit den großen Migrationsbewegungen 2015 verstärkt die Wehrhaftigkeit und den Schutz von Familie und Heimat propagieren würde.

Dezidiert rechtsextreme Kampfsportturniere wie sie in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit unter den Namen „Kampf der Nibelungen“ und „Kampf der freien Männer“ stattgefunden haben, gibt es in Österreich nicht. Einzelfälle sind G. und H. dennoch nicht. Im Kulturzentrum „Castell Aurora“ in Steyregg bei Linz, das der „Identitären Bewegung“ nahesteht, finden Kampfsporttrainings statt, im Imagevideo sieht man einen vermummten Mann, der auf einen Boxsack einschlägt. Gottfried Küssel, seit Jahrzehnten Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene, sagte 2019 im Interview mit der Zeitschrift „N.S. heute“: „Es ist für einen jungen Menschen durchaus eine Notwendigkeit, sich auch körperlich zu definieren. Heute geht man ins Fitness-Center, lernt Boxen, MMA und so weiter, wir hatten halt damals die Wehrsportgeschichte.“ In den österreichischen Verfassungsschutzberichten der vergangenen Jahre findet Kampfsport allerdings nur am Rande Erwähnung.

Beim „Grand Prix“ in der Eichgrabener Turnhalle geht im Laufe des Abends zumindest ein Wunsch von Bürgermeister Ockermüller in Erfüllung: Politische Botschaften gibtes während der Veranstaltung keine. Einzige – unbeabsichtigte – Ausnahme: Nach H.s Kampf stellen sich er und sein Gegner neben der Schiedsrichterin auf. Wie im Kampfsport üblich nimmt sie H.s Hand und – um seinen Sieg zu verdeutlichen – streckt sie in die Luft. Dabei wird ein Tattoo auf der Innenseite seines Oberarms erkennbar. Es zeigt ein Keltenkreuz, das für Re chtsextreme weltweit die Überlegenheit der „weißen Rasse“ symbolisieren soll. In Österreich ist die Verwendung des Zeichens verboten.

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

ist seit Mai 2023 Redakteur im Österreich Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.