Warum die Wiener Jugend noch linker wählt als der Rest der Stadt
Das Gemeine am Cool-sein ist doch die Zufälligkeit. Man ist es oder eben nicht. Cool-sein kann man sich nicht erarbeiten, erkaufen schon gar nicht und es kommt auch nicht automatisch mit dem Alter – im Gegenteil. Das macht es zu einer vergleichsweise unbestechlichen Währung, besonders in der Politik. Bestes Beispiel: Heinz-Christian Strache. In seiner Zeit als FPÖ-Chef und Spitzenkandidat in Wien hat er immer wieder versucht, sich über eine „coole“ Schiene der Jugend anzubiedern. Er veröffentlichte Rap Songs („Für Faymanns Pfusch die beste Rache, ist dein Kreuz bei HC Strache“), tourte durch Österreichs Clubs, war der letzte der heimging, belagert von seinen Anhängern. Die FPÖ war die erste Partei, die erkannte, dass man auch im Internet wahlkämpfen kann – dort, wo die jungen Leute sind.
Mittlerweile machen das alle Parteien in Österreich. Im Wien-Wahlkampf sprangen sie auf digitale Trends, versuchten im Zeitalter der digitalen Überflutung irgendwie nicht unterzugehen. SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig traf den Influencer Satansbraten (über eine halbe Million TikTok-Follower) zum Burek essen, die Wiener Grünen schickten den Eisvogel „Eisi“ (Mann in Eisvogel-Kostüm) für eine Straßenumfrage auf die Mariahilfer Straße, die Neos zerrten Sepp Schellhorn, Staatssekretär und Koch (fast eine halbe Million Instagram-Follower), vor die Kamera, bei der FPÖ teilte man Werbespots mit Pensionisten, ÖVP-Spitzenkandidat Karl Mahrer ließ sich beim U-Bahnfahren interviewen und lästerte über die U6.
Ob das jetzt wirklich cool war, vermag dieser Text nicht zu beurteilen. Man weiß allerdings, wie die Jugend gewählt hat – und rechte Parteien schneiden dabei nicht sonderlich gut ab.
Die Stadtjugend ist progressiv
Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik erklärt das Ergebnis so: „Dass die konservativen und rechten Parteien bei den Jungen so schwach sind, hängt durchaus mit der politischen Orientierung in den Städten zusammen. Hier haben wir eine Jugend, die offensichtlich gesellschaftspolitisch progressiv denkt.“ Damit kann man sich auch den Wahlerfolg der KPÖ bei den unter 30-Jährigen erklären, im Gegensatz zur ÖVP hätte die den Einzug, wenn es nach den Jungen ginge, nämlich geschafft.
Praprotnik sagt außerdem: „Die Inhalte von ÖVP und FPÖ waren im Wien-Wahlkampf sehr ähnlich. Die ÖVP hat ja sogar betont: Wenn ihr die Politik präferiert, die die FPÖ fordert, dann wählt doch uns, weil die FPÖ keine reale Chance hat, in eine Regierungsverantwortung mit der SPÖ zu kommen.“
Geholfen hat das offenbar nicht. Auch die FPÖ schwächelte bei den Jungen. Bei den unter 30-Jährigen erreichten die Freiheitlichen nur 15 Prozent, im Vergleich zum Gesamtwahlergebnis sind das fünf Prozentpunkte weniger.
Der Kern der ÖVP ist 60 plus
Was man einmal mehr sehen konnte: Die Stammwählerinnen und Stammwähler der Volkspartei sind keine Jugendlichen. Praprotnik sagt: „Bei der ÖVP erkennt man deutlich: Wenn es Parteien nicht gut geht, reduziert sich die Wählerschaft auf die Stammwählerschaft. Das erkennen wir unter anderem daran, dass Menschen beim Wahlmotiv am häufigsten angeben, diese Partei immer zu wählen. Bei der ÖVP sind das eben vor allem Menschen mit 60 Jahren oder älter. Der harte Kern der Partei ist 60 plus.“
Vergleicht man das Wahlergebnis der unter 30-Jährigen mit den über der Generation 60+ wird der Unterschied besonders deutlich. Während ein Fünftel aller Menschen, die 60 Jahre oder älter sind, die ÖVP wählten, machten nur vier Prozent der unter 30-Jährigen ein Kreuz bei der Volkspartei. Ein Grund dafür könnte durchaus der Spitzenkandidat sein. „Ein personelles Angebot an die Jugend ist ein Spitzenkandidat, der 70 Jahre alt ist, natürlich nicht“, sagt Praprotnik.
Auf Social Media wurde mittlerweile ein ÖVP-Wahlkampfslogan von „Deutsch ist Pflicht. Habibi“ zu „Einstellig, Habibi“ umfunktioniert. Das kann einem am Ende auch passieren, wenn man cool sein möchte.