Vizekanzler Wolfgang Brandstetter

Wolfgang Brandstetter: Der kauzigste Vizekanzler seit Herbert Haupt

Wolfgang Brandstetter ist der kauzigste Vizekanzler seit Herbert Haupt. Gernot Bauer über einen Justizminister zwischen Zweckoptimismus und Realitätsbeugung.

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Der Vogel ist tot, aber Wolfgang Brandstetter leugnet es. Spricht man dieser Tage mit dem Vizekanzler, fühlt man sich an den Monty-Python-Sketch erinnert, in dem der Besitzer einer Tierhandlung hartnäckig abstreitet, seinem Kunden einen toten Papagei verkauft zu haben. Dabei ist doch offensichtlich, dass das Vieh nicht mehr lebt. Es rührt sich nicht, macht keinen Pieps und reagiert nicht auf äußere Reize. Auch in der Regierung steckt kein Leben mehr. Nur Wolfgang Brandstetter will das nicht wahrhaben. So sagte er Dienstag nach dem Ministerrat: "Ich bekenne mich dazu, die Arbeit der Regierung in Würde zu beenden und ausverhandelte Projekte gemeinsam zu beschließen." Zusatz: "Ich bitte, mir zu glauben, dass in der Regierung Verständnis herrscht." Tatsächlich blockierte in diesem Ministerrat die ÖVP den von der SPÖ gewünschten Beschäftigungsbonus. Und die SPÖ zeigte beim ÖVP-Sicherheitspaket kein Entgegenkommen.

In seinen ersten Stellungnahmen nach seiner Designierung zum Vizekanzler vor zwei Wochen bezeichnete sich Brandstetter als "Masseverwalter" des rot-schwarzen Konkurses. Dies setzt zweierlei voraus: Erstens eine Masse und zweitens deren geordnete Abwicklung. Beides ist nicht gegeben. Die Regierung scheint derzeit nur noch fähig, Minima wie die Vertragsverlängerung des Bundeskartellanwalts zu beschließen. Das Insolvenzrecht ist gnädiger als die Politik. Ohne Masse wird das Konkursverfahren eingestellt. Die jetzige Regierung muss aber weitermachen, bis eine neue im Amt ist, also mindestens in den November hinein. Wolfgang Brandstetter wird also auch im Advent noch Vizekanzler sein. Bis dahin würde er gern einiges umsetzen: eine Strafrechtsnovelle, das Sicherheitspaket, Reformen zu Gewerbeordnung und Stiftungsrecht, die Reduktion von Mehrfachstrafen bei Verwaltungsverfahren. Und vielleicht wird es ja doch noch etwas mit der Bildungsreform. Wenn nicht gerade ein Energieanfall die Koalition packt, wird die Liste des Vizekanzlers allerdings unerledigt bleiben.

"Titel ohne Mittel"

Im besten Fall handelt es sich bei Brandstetters Äußerungen um Zweckoptimismus, im schlechteren um Realitätsbeugung. Dass er sein Amt kaum sinnvoll ausüben kann, musste er schon zu Beginn wissen. Brandstetter war noch gar nicht angelobt, da richtete ihm Kanzler Christian Kern bereits aus, die Funktion des Vizekanzlers sei "irrelevant", wenn sie nicht von Sebastian Kurz ausgeübt werde. Kern liegt damit falsch und richtig zugleich. Natürlich kann es sich der SPÖ-Vorsitzende nicht aussuchen, wen die ÖVP zum Vizekanzler macht. Der Volkspartei wurde ja auch kein Mitspracherecht bei der Nachfolge von Werner Faymann als Kanzler eingeräumt. Andererseits ist durchaus verständlich, dass der Regierungschef als Vize gern jemanden hätte, der nicht immer beim anderen Chef, nämlich dem Obmann der neuen Volkspartei, nachfragen muss. Nie stimmte der Kalauer vom "Titel ohne Mittel" so genau wie beim derzeitigen Vizekanzler der Republik Österreich.

Die Feststellung des Bundeskanzlers, Brandstetter sei irrelevant, irritiert den Vizekanzler zumindest nach außen nicht weiter. Das Verhältnis zwischen ihnen sei geprägt von gegenseitiger Wertschätzung, wird aus beider Umfeld glaubhaft versichert. Als parteifreier Justizminister kümmerte sich Brandstetter in den vergangenen Jahren allein um Sachpolitik - und das würde er auch jetzt weiterhin am liebsten tun. Doch in Vorwahlkampfzeiten löst taktisches Verhalten die Sachpolitik ab. Und gerade in der Person des Justizministers zeigt sich die Absurdität einer Bundesregierung, die trotz ihres Ablaufdatums noch einige Monate funktionieren sollte: Brandstetter ist Stellvertreter eines Kanzlers, der ihn nicht als Stellvertreter will. Und er ist der operativ höchstrangige Politiker einer Partei, der er gar nicht angehört. Geht es so weiter wie in den vergangenen zwei Wochen, sollte Bundespräsident Alexander Van der Bellen vielleicht ernsthaft darüber nachdenken, die SPÖ-ÖVP-Regierung bis nach der Wahl durch ein Beamtenkabinett zu ersetzen.

Eigentlich kann man es Sebastian Kurz ja nicht verdenken, mit Brandstetter nur einen Vizekanzler-Darsteller installiert zu haben. Wenn sich ÖVP-Obmänner der Reihe nach in dieser Funktion aufreiben - warum das Amt nicht vorübergehend einem Parteifreien geben? Mit einer durchaus erwünschten Nebenwirkung: Das Testimonial Brandstetter verleiht Kurz' Ankündigung, neben der ÖVP eine parteiunabhängige Bewegung zu formen, mehr Glaubwürdigkeit. Dass Brandstetter dabei garantiert beschädigt wird, nimmt Kurz in Kauf. Und der Justizminister hätte seine Beförderung ja auch verweigern können.

Erinnerungen an Herbert Haupt

Besonders deutlich wird die Unmöglichkeit seiner Situation dann, wenn Brandstetter über sein Amt reflektieren muss, wie jüngst in einem "Presse"-Interview. Da meinte er auf die Frage, ob er wie Innenminister Sobotka dem Kanzler "Versagen" vorwerfen würde: "Das müssen Sie diejenigen fragen, die diese Frage beurteilen wollen." Was er denn mit der ÖVP zu tun habe? "Ich hab mit der ÖVP insofern zu tun, als ich das, was ich tue, mit Rückendeckung des Obmanns der ÖVP tue." Nach dem Ministerrat am Dienstag beschrieb er die Zusammenarbeit mit Christian Kern so: "Mir als Eisenbahnpendler und dem früheren ÖBB-General wird es wohl gelingen, einen Fahrplan zu machen." Und am Ende meinte er voller freudiger Erwartung: "Bis nächste Woche, da gibt's wieder Ministerrat." Genuschelte Formulierungen, bemühte Metaphern, unerwartete emotionale Momente, dazu sein Netter-Onkel-Habitus (bei einem Alter von 59 Jahren) - Brandstetter erinnert an den bisher kauzigsten aller österreichischen Vizekanzler: Herbert Haupt. Der frühere FPÖ-Obmann und Sozialminister war nach dem Rücktritt von Susanne Riess-Passer eine Notlösung, errang dank Schachtelsätzen und schrulligem Gesamteindruck allerdings beinahe Kultstatus. Nach neun Monaten im Vizekanzler-Amt musste Haupt im Oktober 2003 für Hubert Gorbach Platz machen. Beiden war es in Gegensatz zum heutigen Vizekanzler zumindest vergönnt, in einer Koalition zweier halbwegs kooperationswilliger Parteien zu arbeiten.

Trotz seiner undankbaren Aufgabe darf man sich Brandstetter als glücklichen Menschen vorstellen. Wochenends fährt er im Renault Avantime aus seiner Young- und Oldtimer-Sammlung durchs Waldviertel oder begibt sich unbekümmert vom erhöhten Arbeitsaufwand ins Salzkammergut. Der Vizekanzler ohne Macht will und lässt sich nicht stressen. "Ich bin der richtige Mann in dieser speziellen Situation, weil ich ohne politische Ambitionen bin", sagt er. Ganz so ist es wohl auch nicht. Zum einen lässt er offen, ob er bei der kommenden Nationalratswahl kandidiert. Jemand ganz "ohne politische Ambitionen" würde dies wohl ausschließen. Und natürlich ist Brandstetter gern Minister. Bei der Neujahrsklausur der ÖVP im steirischen Pöllauberg präsentierte er in einer vertraulichen Strategiesitzung der schwarzen Regierungsmannschaft so viele neue Ideen für das Justizressort, dass es seine Kollegen als Bewerbung für eine weitere Amtszeit interpretierten. Allerdings scheint fraglich, ob auf der Liste von Sebastian Kurz überhaupt Platz sein wird. Und für das Justizministerium wäre bei einem ÖVP-Wahlsieg wohl Irmgard Griss die gesetzte Bewerberin, falls die Bundespräsidentschafts-Kandidatin auf der Liste Kurz kandidiert.

Mittwoch vergangener Woche trafen Kanzler und Vizekanzler eher zufällig in Graz aufeinander und nützten die Gelegenheit für eine improvisierte Unterredung. Danach war Wolfgang Brandstetter wieder voller Zuversicht: "Ich bin sicher, dass unser heutiges spontanes Treffen zur atmosphärischen Verbesserung in der Bundesregierung beitragen wird." Beim Reden kommen die Leute zusammen, sagt Brandstetter in solchen Fällen gerne. Vielleicht sollte der karenzierte Professor am WU-Institut für Wirtschaftsstrafrecht einen alten römischen Grundsatz bedenken: Ultra posse nemo obligatur. Frei übersetzt: Unmögliches kann von niemandem erwartet werden. Schon gar nicht von einem Vizekanzler, der versucht zusammenzuführen, was nicht zusammengehören will.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.