Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)

Zwei Jahre Türkis-Grün: Es lohnt sich doch

Türkis-Grün galt als gefährliches Experiment für die Grünen. Aber am zweiten Geburtstag der Regierung ist es eher die ÖVP, die sich Sorgen machen muss.

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Gefeiert wurde nicht, jedenfalls nicht offiziell. Im kleinen Kreis werden Grünen-Chef Werner Kogler und sein Team vielleicht doch ein Gläschen auf den Jahrestag gehoben haben - pandemiekonform natürlich. Am 7. Jänner jährte sich die Regierungsbildung zum zweiten Mal. Und vor allem das zweite Jahr in Amt und Würden lief für die Grünen erheblich besser, als die meisten Beobachter erwartet hätten.

Der Juniorpartner in einer Koalition hat ein schweres Los - das gilt im Politikbetrieb seit jeher als ungeschriebenes Gesetz. Im Schlepptau der besonders machtbewussten ÖVP von Sebastian Kurz hatten auch Werner Kogler und sein Team lange Zeit eine schlechte Prognose. Die Grünen seien guten Willens, schrieb profil vor genau einem Jahr, aber "ohne Netzwerk in den Institutionen und machttechnische Anfänger." Damals stimmte die Analyse, heute stimmt sie nicht mehr. Oder nicht mehr ganz.

Der (nicht zuletzt von den Grünen) erzwungene Rücktritt von Sebastian Kurz als Kanzler habe die Situation massiv geändert, meint der Politologe Fritz Plasser. "Ein vorzeitiger Bruch der Regierung wäre für die ÖVP derzeit schlimmer als für die Grünen. Deshalb wird die Volkspartei in nächster Zeit nichts tun, was den Fortbestand der Koalition gefährden könnte." Der Wechsel im Kanzleramt gebe den Grünen auch mehr Möglichkeiten zur Profilierung, glaubt Plasser. "Sebastian Kurz hat die Grenzen für den Koalitionspartner sehr eng gefasst. Ich gehe davon aus, dass der Handlungsspielraum mit Karl Nehammer größer geworden ist."

Was bringt es den Grünen, in der Regierung zu sitzen?

War es das wert? Diese Frage wurde in grünen Kreisen noch vor ein paar Monaten recht oft gewälzt. In Fragen der Migration zog die ÖVP ohne viel Federlesens ihre harte Linie durch, während das wichtigste Thema der Grünen, der Klimawandel, vor lauter Pandemiebekämpfung kaum eine Rolle spielte. Was bringt es, in der Regierung zu sitzen, wenn man mit den eigenen Anliegen regelmäßig an einer türkisen Wand zerschellt?

Doch während die ÖVP mit sich selbst und der Staatsanwaltschaft beschäftigt war, kam die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler auf Betriebstemperatur. Zuletzt gelangen ihr ein paar aus grüner Sicht durchaus beachtliche Erfolge. Politisch am besten zu vermarkten ist das 1-2-3-Ticket für den öffentlichen Verkehr. - "Drei Euro am Tag für ganz Österreich" ist der neue Jubelschrei in jedem Interview.

Erfolgsprojekt Klimaticket

Das grüne Prestigeprojekt ist seit Ende Oktober verwirklicht und ein Erfolg. Bis Weihnachten wurden schon mehr als 130.000 Tickets verkauft. Schon zuvor hatte der Nationalrat ein Projekt aus dem Hause Gewessler mit dem sperrigen Namen "Erneuerbaren Ausbaugesetz" beschlossen, das vorsieht, Österreich bis 2030 zu 100 Prozent auf Ökostrom umzustellen. Noch ist zwar fraglich, ob es gelingen wird, in diesen paar Jahren ausreichend viele Windräder und Photovoltaikanlagen aufzustellen. Aber immerhin wurde für den Ausbau jedes Jahr eine Milliarde Euro budgetiert.

Nebenbei fand Leonore Gewessler noch Zeit, den Bau des Lobautunnels abzusagen und die CO2-Bepreisung in die Steuerreform zu reklamieren. Parteichef Werner Kogler war Chefverhandler für die Steuerreform. Aber auch die politisch unerfahrene Ministerin, die das größte Ressort mit den größten Ressourcen führt, weiß offenbar, wie man sich durchsetzt.

Derzeit ist im Hause Gewessler ein neues Klimaschutzgesetz in Vorbereitung. Es hakt. Umweltschutzorganisationen setzen darin die größten Erwartungen. Das Gesetz soll Entscheidungen leichter machen: Naturschutz oder Klimaschutz? Den Lebensraum der Ziesel sichern oder sauberen Strom gewinnen? Derzeit ist der CO2-Ausstoß bei Umweltverträglichkeitsprüfungen kein Thema. Auch das soll sich ändern.

In der Migrations- und Asylpolitik ist es still geworden

Für Klimaticket, Steuerreform und CO2-Bepreisung mussten die Grünen in anderen, für ihre Identität ebenso wichtigen Bereichen Federn lassen. In der Europapolitik hört man nichts von den Grünen. In der Migrations- und Asylpolitik ist es still geworden. Vor einem Jahr brannte das griechische Flüchtlingslager auf Lesbos, illegale Pushbacks an Europas Grenzen wurden bekannt. Die außenpolitische Sprecherin der Partei, Ewa Ernst-Dziedzic, war vor Kurzem an der polnisch-weißrussischen Grenze, wo Hunderte Flüchtlinge zwischen den beiden Ländern im Freien campieren und nicht vor und zurück können. In EU-Außenministerräten sind Österreich und Ungarn die Hardliner an vorderster Front. Gegen den Beschluss zur Aufnahme höchst gefährdeter Frauen aus Afghanistan (etwa Richterinnen und Wissenschafterinnen) drohten sie mit einem Veto. "Es ist schmerzlich, zu sehen, dass wir kein Ressort haben, in dem wir auf europäischer Ebene stärker auftreten können",sagt Ernst-Dziedzic.

Die Haltung gegenüber Migranten und Flüchtlingen war schon in den Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und ÖVP ein großer Konflikt gewesen. Und die Grünen haben ihn verloren. Das tut vielen in der Partei noch immer weh. Es gibt Grün-Abgeordnete, die selbst als Flüchtlinge nach Österreich kamen-wie Justizministerin Alma Zadić. Grüne unterstützen die Seenotrettung im Mittelmeer, übernehmen Patenschaften und engagieren sich in Hilfsvereinen. Sie glauben, je heftiger sie öffentlich Forderungen erheben, desto weniger setzen sie in der ÖVP durch. Sie hoffen, mit dem Wechsel von Kurz zu Nehammer bekämen sie mehr Raum für ihre Anliegen.

Kurz-Berater Stefan Steiner hatte für Türkis-Grün einst den Slogan "Das Beste aus beiden Welten" erfunden. Davon rückt man beim kleineren Koalitionspartner leise ab. "Ich habe den Spruch noch nie verstanden. Es gibt nur eine Welt", sagt der stellvertretende Grünen-Chef Stefan Kaineder.

Man wird sehen, was das heißt: In diesem Jahr sollen eine Neugestaltung der Presseförderung, das ORF-Gesetz, das Klimaschutzgesetz, das Parteien-Transparenzgesetz und vor allem das Informationsfreiheitsgesetz beschlossen werden.

Rosemarie Schwaiger

Christa   Zöchling

Christa Zöchling