Zweikampfzone: Richtungsstreit in der Wiener SPÖ

Zweikampfzone

Der bittere Zweikampf um die Häupl-Nachfolge.

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Die Wiener Sozialdemokratie ist immer noch die größte Stadtpartei der Welt, doch steckt sie in einem Dilemma, das von Woche zu Woche offenkundiger wird. Alles läuft auf einen Showdown beim Parteitag am 27. Jänner zu: den Machtkampf zwischen dem Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (57) und dem geschäftsführenden SPÖ-Klubobmann im Parlament, Andreas Schieder (49).

Seit 100 Jahren wird Wien von der Sozialdemokratie regiert - bis auf die Jahre des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus. Die Stärke des legendären "Roten Wien" bestand immer darin, dass ihre Parteivorsitzenden und Bürgermeister linke wie rechte Strömungen integrieren konnten, mit populistischem Geschick und harter Hand. Doch jetzt scheint es keinen Weg mehr zu geben, den alle gemeinsam gehen wollen. Die Wiener Genossen sollen nun Entscheidungen treffen, zu denen die Bundespartei nicht in der Lage ist - wie das Hü und Hott der vergangenen Wochen zeigt.

Im Odeon-Theater im 2. Wiener Gemeindebezirk stellten sich die beiden Kontrahenten den Fragen interessierter Delegierter. Die Übung war auch dazu gedacht, vor dem Parteitag, bei dem nun doch auch Journalisten zugelassen sein werden, schon einmal etwas Dampf abzulassen. Man war sehr nett zueinander, sehr lieb, so erzählen Beobachter. Über heikle Themen wurde nicht gesprochen: Zuwanderung, Integration, Asyl, Schulen, Spitäler, Infrastruktur, Inserate für den Boulevard. Diese Partei ist solche Debatten nicht gewohnt; sie ist diszipliniert und harmoniesüchtig. Manche berufen sich sogar auf den französischen Philosophen Michel Foucault und sagen: "Diskurse haben die Macht, Wirklichkeit zu definieren." In diesem Sinne wollen sie keine Diskurse führen, die ihnen von der FPÖ aufgezwungen werden. Doch das ist ein grobes Missverständnis. Natürlich geht es beim High Noon am kommenden Samstag auch um Pfründe: Wer wird künftig in der neuen Stadtregierung sitzen, wer wird bleiben, wer muss weichen? Der Gewinner wird sich mit Funktionären seines Vertrauens umgeben, für den Verlierer und seine Unterstützer wird das bitter werden. Die Kandidaten werden nicht nur nach persönlichem Anstand (den besitzen sie beide), sondern nach ihrer Erfolgsaussicht bei kommenden Wahlen beurteilt. Die Frage, mit wem man eher gewinnen kann, wird naturgemäß unterschiedlich beurteilt. Ganz glücklich ist man in keinem der Lager.

Ein Gutteil dieses Dilemmas ist Michael Häupl geschuldet. Auf die Frage, wann er zurücktreten werde und ob er nicht rechtzeitig seine Nachfolge regeln wolle, sagte der Langzeitbürgermeister im profil-Interview vor einem Jahr: "Die Zeit ist noch nicht reif." Es war noch nicht klar, wann Sebastian Kurz die ÖVP übernehmen würde, aber es lag schon in der Luft. Häupl dachte, Kern habe die allerbesten Chancen, doch die Wunderwaffe hat bekanntlich nicht gezündet.

Es war Hybris von ihm, zu glauben, er könne noch Weichen stellen. Einem ähnlichen Irrtum saß übrigens einst auch Alfred Stingl auf. Der langjährige, beliebte und über alle Maßen pflichtbewusste Grazer Bürgermeister, der die linken Jungen und den rechten Gewerkschaftsflügel versöhnen konnte, ließ zu spät los. Nach seinem Abgang zerfleischte sich die Stadtpartei. Bis heute haben sich die Grazer Roten davon nicht erholt.

Weltsichten und Wirklichkeiten prallen aufeinander

In der Wiener SPÖ haben sich im vergangenen Jahr die persönlichen Animositäten vervielfacht, die Lager radikalisiert, wie immer in solchen Fällen. Es prallen Weltsichten und Wirklichkeiten aufeinander. Michael Ludwig ist vor allem der Kandidat der sogenannten Flächenbezirke Floridsdorf, Donaustadt, Simmering, Penzing, Liesing. Hier liegt alles weit auseinander, und man fährt mit dem Auto zum Einkaufen und nicht mit dem Fahrrad. Viele ehemalige Parteimitglieder zogen in den 1960er-und 1970er-Jahren aus ärmsten Verhältnissen hier in neue Gemeinde- und Genossenschaftsbauten ein. Sie haben die Mühen ihres kleinen Aufstiegs nicht vergessen. Sie glauben, dass es den später Gekommenen - das heißt: den Zugezogenen - heute viel leichter gemacht wird als ihnen damals. Viele von ihnen stecken voller Ressentiments und wählen mittlerweile FPÖ.

Jeder kennt das. Man stellt sich an der Kassa an, man weiß, wann man drankommt, und ist verärgert, wenn sich Leute vordrängen.

Ludwig kennt das Milieu. Er stammt selbst aus bescheidenen Verhältnissen, die sich durch Scheidung noch verschlechterten; die Mutter eine Fabriks-und Heimarbeiterin, die Kinder mussten mithelfen. Während der Gymnasial-und Studienzeit trug Ludwig Pakete aus und verlegte Eisenbahnschienen. Er war der erste Akademiker in der Familie, der einzige Akademiker in einer SPÖ-Sektion in Floridsdorf. Sein Aufstieg verlief im unmittelbaren Einzugsbereich der Partei, in der Bildungsorganisation, im Gemeinderat. Ludwig ist belesen, historisch gebildet, ein Antifaschist. Die sozialistischen Freiheitskämpfer sind empört, wenn sie hören, dass man Ludwig vorwirft, ein Rechter zu sein. Doch Ludwig sagt Dinge, die das andere Lager als Anbiederung an die FPÖ empfindet. Ludwig erklärt seine Vorstellung von Gerechtigkeit mit dem Bild von der Supermarkt-Kasse: "Jeder kennt das. Man stellt sich an der Kassa an, man weiß, wann man drankommt, und ist verärgert, wenn sich Leute vordrängen." Übersetzt heißt das: Zugezogene, Zuwanderer sollen sich in der Warteschlange hinten einreihen. Es zählt nicht allein die Bedürftigkeit, sondern die Frage, wie lange man schon in Wien lebt. Für den Zugang zu Sozialwohnungen hat Ludwig bereits einen "Wien-Bonus" eingeführt. Wer schon länger in der Stadt lebt, rückt auf der Warteliste vor. Ludwig kann sich "dieses Ordnungsprinzip auch für andere Sozialleistungen vorstellen".

Andreas Schieder, ebenfalls ein Urwiener, ist eher Kandidat der Innenstadtbezirke. Er stammt aus sozialdemokratischem Establishment. Kurz nachdem Schieder zur Welt kam, wurde sein Vater als jüngster SPÖ-Nationalratsabgeordneter angelobt; als er in die Schule kam, war sein Vater Wiener Stadtrat. Später, in der Jugendinternationale, trat Andreas Schieder selbst in Vaters Fußstapfen. Schieder kann auf eine solide, breit gefächerte politische Erfahrung verweisen. Während der ersten schwarz-blauen Koalition in den 2000er-Jahren saß er im Wiener Gemeinderat, dann im Nationalrat. Sieben Jahre lang war er Staatssekretär im Finanzministerium. Im Internet wirbt Schieder etwas pathetisch für seine Kandidatur, indem er den Kampf gegen Schwarz-Blau auf Bundesebene ins Zentrum rückt: "Sie tun alles, um Wien zu schaden. Sie wollen Wien einnehmen." Doch wolle er "nicht nur Bedrohungen abwehren", sondern auch "einen Zukunftsentwurf vorlegen, frischen Wind in die Partei bringen, aus der SPÖ eine offene Plattform machen", versichert Schieder.

Die versprochene Öffnung der Partei erfreut vielleicht Wähler und Sympathisanten der SPÖ, doch Parteimitglieder fürchten, dass während ihrer Ochsentour durch die Gremien vor ihrer Nase Quereinsteiger an ihnen vorbeigeschleust werden. In Zeiten der Krise verschärft sich eben auch die innerparteiliche Konkurrenz.

Wenn die Witterung des Boulevards ein Gradmesser für den Ausgang der Geschichte ist, müsste Michael Ludwig gewinnen. Die Zeitungen "Heute","Krone" und "Österreich", die seit Jahren von Inseraten der Stadt Wien leben, stellen sich schon auf neue Verhältnisse ein.

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Christa   Zöchling

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