Johanna Pirker

Johanna Pirker: "Der Schritt zum Metaverse ist noch groß"

Lässt Österreich eine Internetrevolution an sich vorbeiziehen? Die auf Gaming-Technologie spezialisierte Informatikerin Johanna Pirker erklärt das Metaverse.

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"Wir glauben, dass das Metaverse der Nachfolger des mobilen Internets ist. Wir werden uns anwesend fühlen-so als ob wir mit Menschen beisammen wären, egal wie weit wir voneinander entfernt waren",mit diesen Worten skizzierte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vor einem Jahr seine Vorstellung der nächsten Internetrevolution. Nach der Vision kommt die große Ernüchterung: Der Meta-Konzern soll bereits mehrere Milliarden US-Dollar in die Entwicklung seiner Metaverse-Plattform gesteckt haben, jedoch nur wenige Nutzerinnen und Nutzer damit erreichen. Und selbst in der Technologiebranche herrscht Uneinigkeit darüber, ob das Metaverse nur ein Schlagwort oder eine Innovation ist. Die Informatikerin Johanna Pirker beschäftigt sich als Assistenzprofessorin an der TU Graz und ETH München und seit November als Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Virtual Reality und Gaming. Die Expertin sieht viel Hype um das Metaverse, aber auch viel Potenzial für die Gesellschaft.

Es gibt viele unterschiedliche Definitionen und Auffassungen vom Metaverse, was ist Ihre?
Johanna Pirker
Der Begriff wird oft verwechselt mit anderen wie virtuelle Welten oder Augmented Reality. Virtuelle Welten, zu denen ich seit 2010 forsche, sind Welten, in denen man sich als Avatare zum Beispiel in 3D-Räumen trifft. Das Metaverse will aber einen Schritt weiter gehen: nämlich durch Interoperabilität verschiedene Räume zusammenzubringen, in denen man Freunde treffen, spielen oder arbeiten kann. Das kann mit Technologien wie Virtual-Reality-Brillen oder Augmented Reality-also erweiterter Realität-unterstützt werden, um die digitale und reale Welt zu verschmelzen. Die Idee von Metaverse ist, das alles zusammenzuführen.
Warum wird jetzt so viel über das Metaverse diskutiert? Diese virtuellen Räume gibt es ja schon länger.
Pirker
Das hat mehrere Gründe. Auf der einen Seite sind wir technologisch fortgeschritten. Wir haben in einem Forschungsprojekt vor Jahren probiert, virtuelle Lernräume in der Plattform "Second Life" aufzubauen. Die wurden jedoch nicht angenommen, weil die wenigsten Menschen die technischen Voraussetzungen wie eine ausreichend leistungsfähige Internetverbindung oder die notwendige Grafikkarte hatten. Inzwischen ist die Technologie so zugänglich geworden, dass die virtuellen Welten über einen Web-Browser abrufbar sind. Zweitens haben wir bei Virtual Reality nun Brillen auf dem Markt, die im Vergleich zu früher günstiger sind. Und der dritte Grund ist der gesellschaftliche Aspekt. Durch die Pandemie und die Zeit im Homeoffice haben wir gemerkt, was an Tools wie Zoom gut funktioniert und was fehlt. Für ein Begräbnis einen Zoom-Call zu machen, fühlt sich nicht gut an. Aber in einer virtuellen Welt kann ich eine digitale Ko-Präsenz schaffen-das ist eine ganz andere Art, digital Zeit miteinander zu verbringen, als sich nur in einem Call zu sehen. Das Spiel "Animal Crossing" wurde zum Beispiel schon für Geburtstagsfeiern genutzt. Außerdem gehen große Firmen wie Microsoft in Richtung Game-Technologie. Eine Welt wie "World of Warcraft" funktioniert seit mehr als zehn Jahren, das Know-how für das Design von 3D-Welten ist bereits da. Diese Erfahrungen der Spieleindustrie drängen jetzt in den Gesamtmarkt.
Wo stehen wir bei der Akzeptanz vom Metaverse? Ist der Status vergleichbar mit den frühen Tagen der Social-Media-Plattformen?
Pirker
Beim Metaverse bin ich etwas kritisch, da der Begriff gerade gehypt wird und viele Unternehmen versuchen, auf diesen Trend aufzuspringen. Wo wir sehr weit vorangekommen sind, ist der Bereich Virtual Reality, da können wir uns in Österreich viel vom US-oder asiatischen Markt abschauen. Dort wird die Technologie schon für medizinische und Industrie-Anwendungen eingesetzt. Bei uns gibt es Skepsis gegenüber neuen Technologien, und bei virtuellen Welten ist das ähnlich.
Ein Unternehmen, das viel in Metaverse-Applikationen investiert, ist der Facebook-Konzern Meta. Wird das Metaverse wieder von einigen großen Playern dominiert, oder wird das Internet tatsächlich dezentraler, wie es der Web3-Gedanke verfolgt?
Pirker
Ich glaube nicht, dass es jetzt die große Internetrevolution geben wird. Es gibt auch keine Pläne, die Grundstruktur groß zu verändern. Ich finde aber positiv, dass viele Firmen gerade in Richtung Metaverse drängen und in die Technologien investieren. Da sind natürlich die großen, aber auch viele kleine dabei. Man muss das kritisch sehen, aber es ist gut, dass viele Perspektiven darunter sind.
Sie beschäftigen sich auf wissenschaftlicher Ebene mit Gaming. Wieso prägt dieser Bereich die Entwicklung von Metaverse?
Pirker
Historisch gesehen hatte die Spieleindustrie schon oft einen großen Einfluss auf den Massenmarkt, die Weiterentwicklung von Grafikkarten kommt zum Beispiel daher. Auch die Netzwerkstruktur hinter großen Spielen wie "World of Warcraft" oder Tools wie die sogenannten Content-Engines haben viel Potenzial für andere virtuelle Räume. Trotzdem gibt es eine gewisse Zurückhaltung, wenn der Begriff Gaming aufkommt. Da muss die Gesellschaft aufgeschlossener werden, weil es dafür viele andere Anwendungsmöglichkeiten gibt.
Wie nutzen Sie diesen Ansatz in Ihren Forschungsprojekten?
Pirker
Wir haben in einem Projekt die Räumlichkeiten der TU Graz virtuell nachgebaut, um dort den Energiehaushalt beschreiben zu können. Damit wollen wir simulieren, wie sich Maßnahmen auf den Energieverbrauch auswirken. Mit solchen Projekten wollen wir zeigen, welchen Einfluss gewisse Entscheidungen haben. Die Räume wurden mit Tools aus der Spieleentwicklung umgesetzt, haben aber nichts mit einem Spiel zu tun.

Wir müssen aufpassen, dass wir Schwierigkeiten der realen Welt nicht in die virtuelle Welt einbringen.

Johanna Pirker

Virtual-Reality-Expertin

Sie haben erwähnt, dass bei uns die Akzeptanz von virtuellen Welten noch überschaubar ist. Wie wird sich das Metaverse in den nächsten Jahren entwickeln?
Pirker
 Ich glaube, dass der Schritt zum Metaverse, das viele im Kopf haben, noch sehr groß ist. Ich hoffe, dass sich Virtual Reality mehr verbreitet, denn da gibt es viel Potenzial für den Großteil der Gesellschaft: Man kann Menschen mit Demenz unterstützen oder Kinder im Geschichtsunterricht zu den Maya-Stätten bringen. Es wird auch viel davon abhängen, wie viele günstige VR-Brillen und Anwendungen am Markt sind. In Österreich gibt es sehr viele gute Ideen und Start-ups, die sich damit beschäftigen. Wir haben generell eine gute Struktur für diese Entwicklungen, wir sind sowohl künstlerisch als auch technologisch gut aufgestellt. Aber mehr Förderungen in diesem Bereich wären wünschenswert.
Sollte man sich jetzt schon mit dem Metaverse beschäftigen, sowohl als Privatperson oder auch aus Unternehmenssicht?
Pirker
Es wäre gut, sich mit der Grundtechnologie vertraut zu machen. Tools wie Gather.town sind eine gute Möglichkeit, über den Browser ins Metaverse einzusteigen. Es gibt auch in vielen Museen die Möglichkeit, Virtual Reality zu testen. Bei Unternehmen sehen wir, wie wichtig die Digitalisierung ist, und deshalb rate ich auch hier, einfach mal herumzuprobieren. Als Unternehmerin bekomme ich dann vielleicht auch eigene Ideen für Anwendungen. Technologisch gesehen leben wir in einer sehr spannenden Zeit. Und wir können als Gesellschaft jetzt noch sehr viel mitgestalten. Viele haben Angst, dass das Metaverse eine Kopie von klassischen sozialen Medien wird, die auch ihre Probleme brachten. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Gesellschaft sich daran beteiligt. Wir müssen aufpassen, dass wir Schwierigkeiten der realen Welt nicht in die virtuelle Welt einbringen. Wir können Menschen inkludieren, die früher ausgeschlossen waren. Aber es darf nicht sein, dass Probleme wie Rassismus oder Sexismus Teil davon werden.