Panorama

Schöne neue Arbeitswelt

Die Pandemie und auch die Demografie pflügen unsere Arbeitswelt um. Nach Homeoffice machen jetzt Schlagwörter wie Remote Work, New Work oder Workation die Runde.

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Irgendwann war es der gebürtige Burgenländer Jochen R. leid, in Österreich in einer Anwaltskanzlei als Konzipient routinemäßig seinen Juristen-Job zu tun. Täglich der gleiche Trott. Scheidungen, Verkehrsunfälle und das Eintreiben nicht bezahlter Rechnungen boten dem Juristen zu wenig Sinn im Leben. Eine Erkrankung sollte alles ändern. Er reflektierte sein Leben und entschloss sich, nach Brasilien auszuwandern. Mit rund 1500 Euro für Recherchen, Textarbeiten und Internetdienstleistungen, die er auf freier Basis für europäische Agenturen erledigt, kann er im brasilianischen Guarapari gut leben. Heute ist er dort verheiratet, geht mittags eine Runde am Strand spazieren und genießt seinen 30-Wochenstunden-Job.

Urlaub mit Arbeit

So wie Jochen R. denken heute viele junge Menschen. Schuften bis zum Umfallen war gestern, heute zählen der Sinn und die Work-Life-Balance. Die Pandemie hat den Umbruch beschleunigt. Themen wie Remote Work, New Work und Workation – Urlaub kombiniert mit Arbeit – erfahren eine breite Diskussion, und viele Unternehmen stellen gerade ihre Arbeitsmodelle auf den Prüfstand. Arlette Zakarian, selbstständige Rechtsanwältin und Spezialistin für internationales Arbeitsrecht: "Jahrelang schien unsere Art zu arbeiten in Stein gemeißelt zu sein. Unveränderliche Bürozeiten, ein fester physischer Arbeitsort und eine begrenzte Möglichkeit zur Telearbeit. Obwohl der Ruf nach einer neuen Art zu arbeiten schon lange durch die Büros und Unternehmen dieser Welt hallte, wurde er an vielen Orten nie in die Tat umgesetzt. Mit der Pandemie hat sich das geändert."

Dass Unternehmen heute beim Recruiting und den Jobangeboten immer kreativer werden, resultiert nicht zuletzt aus dem großen Arbeitskräftemangel. Ursache dafür ist, dass immer weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen. Laut Statistik Austria macht die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20-64 Jahre) rund 60,9 Prozent an der Gesamtbevölkerung aus. Bis 2080 soll dieser Anteil auf 53,3 Prozent sinken. Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind enorm. Laut einer aktuellen Studie der Synthesis Forschung GmbH im Auftrag der Wirtschaftskammer (WKO) und Analysen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) zum Arbeitskräfteangebot könnte es bis 2040 insgesamt 569.500 offene Stellen geben, 2022 lag die Zahl der offenen Stellen bei 206.500 und war damit bereits auf einem Rekordhoch. Der Kampf um die besten Köpfe tobt schon seit Jahren in der IT-Branche. Dort ist es besonders schwer, neue Mitarbeiter zu finden, und daher wird in dieser Branche das Thema Arbeit schon seit Jahren neu gedacht, wie etwa beim oberösterreichischen Software-Unternehmen Celum mit 150 Mitarbeitern. CEO Michael Kräftner erklärt: "Die Pandemie war sicher ein Katalysator, der viele zum Um-und uns selbst zum Weiterdenken gebracht hat. Von zu Hause arbeiten hat plötzlich funktionieren müssen, und Unternehmen haben sozusagen unfreiwillig den Beweis erhalten, dass das keinesfalls nichts arbeiten heißt. Auf jeden Fall haben die Mitarbeiter die möglichen Vorteile erkannt."

Kampf um Talente

Der Arbeitgeber bietet drei Modelle: Remote Work, Remote Office und Homeoffice in Kombination mit Büroarbeit. Bei Remote Work erlaubt Celum, dass die Mitarbeitenden von einem Ort innerhalb der EU oder als Freelancer sogar außerhalb der EU arbeiten können. Remote Office ist eine Form von Workation, bei der Beschäftigte an einen Urlaub noch bis zu drei Wochen im Jahr arbeitend anhängen können, aber aus der Ferne zuarbeiten. Und die eingespielteste Version ist Homeoffice bis zu vier Tage in der Woche. Laut Chef Kräftner müssen nur am Mittwoch alle in den Büros in Wien und Linz anwesend sein. Dieser hohe Flexibilisierungsgrad lohnt sich für das Unternehmen, erzählt der Gründer: "Eine flexible Arbeitskultur ist ja nicht nur ein Wert an sich, sondern sie impliziert auch eine Vertrauenskultur, ohne die so etwas nicht funktionieren kann." Doch bei einer hohen Flexibilisierung gibt es auch Risiken. Zu leicht geht die Identifikation mit dem Unternehmen verloren, und das sieht auch Kräftner: "Das ist eine reale Gefahr, die wir in der Pandemie erkannt haben, und der muss in den Unternehmen auch begegnet werden. Hier haben wir einiges dazugelernt, wo wir nun aktiv Maßnahmen, wie etwa den Office-Tag am Mittwoch, entgegensetzen."

Doch nicht nur junge Unternehmen überzeugen mit innovativen Arbeitsstellen, sondern auch ein Traditionsunternehmen wie die Wiener Städtische Versicherung baut auf flexible Arbeitszeitmodelle. Robert Bilek, Personalchef der Wiener Städtischen: "Wir bieten eine Fülle von sehr flexiblen Arbeitszeitmodellen, die Mitarbeiter in Absprache mit den Führungskräften in Anspruch nehmen können. Das reicht von Teilzeit bis zu Homeoffice-Regelungen. Für uns zählt, dass Mitarbeiter Berufs-und Privatleben gut miteinander vereinen können. Flexible Arbeitszeitmodelle sind ein wesentlicher Bestandteil, damit das gut funktionieren kann."Dieser Ansatz komme auch bei Bewerbern gut an. Bilek: "Waren flexible Modelle vor der Pandemie ein Nischenthema, so ist das heute bei fast jedem Bewerbungsgespräch ein wesentlicher Punkt. Man merkt auch, dass das Thema Work-Life-Balance für jüngere Generationen einen höheren Stellenwert hat. Den Jungen wird oft nachgesagt, dass sie weniger arbeiten möchten. Wir sehen aber vielmehr, dass jüngere Generationen einen anderen Zugang dazu haben, Berufs-und Privatleben miteinander zu vereinen." Bei der Wiener Städtischen lege man Wert darauf, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Homeoffice und Büroarbeit besteht, erklärt der Personaler: "Uns ist besonders wichtig, dass die Bindung und Identifikation mit der Wiener Städtischen weiterhin hoch bleiben, daher gibt es die Regelung, dass es für die Mitarbeiter einen ausgewogenen Mix aus Büro und Homeoffice gibt. Erstaunlich war aber, dass die Mitarbeiter nach den Lockdowns während der Pandemie den Wunsch hatten, wieder im Büro zu arbeiten."

Altes Arbeitsrecht für neue Modelle

Neue Wege geht man auch in der Hotelbranche. Die Münchner Ruby Gruppe, an der auch die Soravia Group beteiligt ist, betreibt 15 Ruby Hotels und hat dementsprechend Personalbedarf. Im Oktober 2022 führte die Hotelgruppe unternehmensweit für alle Mitarbeiter in den Hotels, Workspaces und in der Reservierung eine 35-Stunden-Arbeitswoche ein, und das bei gleichbleibendem Gehalt. Mitarbeiter, die gerne weiterhin 40 Stunden pro Woche arbeiten wollen, profitieren vom neuen Arbeitsmodell, da alle auflaufenden Überstunden erfasst werden und die Mitarbeiter selbst entscheiden können, ob diese in Freizeit oder in Geld abgegolten werden sollen. Darüber hinaus erhalten alle Mitarbeiter seit Beginn dieses Jahres auch eine Gewinnbeteiligung. "Unsere Mitarbeiter identifizieren sich stark mit Ruby. Wir wollen diese Identifikation und das Commitment mit der Gewinnbeteiligung stärken und in die Beziehung mit unseren Mitarbeitern investieren", begründet Michael Struck, Gründer und CEO von Ruby, diese Maßnahme. Aufmerksamkeit erregte die Recruiting-Kampagne "Ready for a new tattoo?",wo jeder neue Mitarbeiter von Ruby nach sechs Monaten im neuen Job einen Zuschuss von bis zu 500 Euro für eine Tätowierung oder ein Piercing erhält. Laut Auskunft des Unternehmens wurde die Kampagne angenommen, und sogar bestehende Mitarbeiter sollen aufgrund des großen Interesses nun diesen Zuschuss erhalten. Darüber hinaus bietet die Hotelkette zahlreiche zusätzliche Extras wie Vertrauensarbeitszeit, zehn Tage Workation pro Jahr und temporäre Teilzeit.

Steigende Energiekosten gefährden das neue Arbeitskonzept Homeoffice.

Arlette Zakarian

Arbeitsrechtsexpertin

Die bunte neue Arbeitswelt bringt aber zahlreiche juristische Herausforderungen mit sich. Rechtsanwältin Zakarian: "Die steigenden Energiekosten gefährden zum Beispiel das neu etablierte Arbeitskonzept Homeoffice und werfen arbeitsrechtliche Fragen auf, die Unternehmen frühzeitig klären sollten. Denn einen zwingenden Anspruch auf Erstattung der für das Homeoffice anfallenden Strom-oder Heizkosten regelt der Gesetzgeber nicht." Es gilt also, faire Lösungen im beidseitigen Interesse zu finden, damit die steigenden Energiekosten die Attraktivität des Homeoffice-Konzepts nicht verhindern. Lockt gerade junge Arbeitnehmer das Thema "Work from Anywhere",so treibt das HR-Verantwortlichen und Juristen die Schweißperlen auf die Stirn. "Diese grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnisse werfen zahlreiche heikle Fragestellungen auf, und das sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer",so Zakarian. Allein der administrative Aufwand in Bezug auf die Lohnverrechnung ist enorm, denn das bezogene Einkommen muss zwischen den verschiedenen Staaten im Verhältnis der Arbeitszeit gesplittet werden. Zakarian: "Das Homeoffice-Land des Mitarbeiters bezieht die angefallene Einkommenssteuer vom Arbeitnehmer, und Österreich tritt das Besteuerungsrecht ab. Weiters sind die Lohnnebenkosten sowie die Sozialversicherungsbeiträge an das lokale Finanzamt zu entrichten. Zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen wie etwaige Urlaubsansprüche oder der Kündigungsschutz des Gastlandes sind auch noch in Betracht zu ziehen."Haben die neuen Arbeitstrends in der Wirtschaft bereits Fuß gefasst, so hinkt der Gesetzgeber noch hinterher. Zakarian: "Das österreichische Arbeitsrecht versucht sich zwar den neuen Arbeitsmodellen anzupassen, aber es besteht noch viel Luft nach oben."