Jahresausgabe

Wie es mit Krypto und Meme-Stocks weitergeht

Nach zwei Jahren des Booms erlebte der Krypto-Markt 2022 einen brutalen Dämpfer. Kehren jetzt ide alten Werte zurück?

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Der Befund fiel eindeutig aus: Der Patient ist mindestens scheintot. "Ein künstlich induzierter letzter Atemzug vor dem Weg zur Irrelevanz", beschrieb die Europäische Zentralbank (EZB) Ende November den Zustand der Krypto-Währung Bitcoin. Die Einschätzung basierte nicht zuletzt auf dem spektakulären Kollaps der Krypto-Börse FTX, die am 11. November mit Milliardenverbindlichkeiten in die Insolvenz geschlittert war. Die plötzliche Pleite einer der größten Handelsplattformen hatte den Kryptomarkt tatsächlich in arge Turbulenzen versetzt. Allerdings war die Ernüchterung schon in den Monaten davor zu spüren gewesen.

Welleneffekte in der Krypto-Branche

Während der Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie hatten sich Bitcoin und andere virtuelle Währungen zum Massenphänomen entwickelt: Anfang 2020 lag die Marktkapitalisierung aller Krypto-Assets weltweit bei rund 200 Milliarden US-Dollar, im November 2021 stand sie bereits bei drei Billionen US-Dollar. Heute, etwas mehr als ein Jahr später, liegt der Wert bei unter einer Billion US-Dollar. Was ist geschehen?

Zunächst einmal verlief die Entwicklung der Krypto-Währungen parallel zu den traditionellen Aktienmärkten, die heuer ebenfalls durchwegs Verluste schrieben. Darüber hinaus sorgten mehrere Skandale für Verunsicherung: Im Mai 2022 etwa stürzte eine sogenannte Stablecoin namens TerraUSD um 96 Prozent ab. Diese Art von Krypto-Währungen bildet herkömmliche Währungen nach und gilt deshalb eigentlich als stabil. Im Fall von TerraUSD deutet einiges auf betrügerische Manipulationen durch die Betreiber der Coin hin. Der Absturz sorgte für einen Welleneffekt in der Branche, der andere Kryptofirmen in die Pleite riss. Das war für Krypto-Skeptiker eine Bestätigung dafür, dass das Ende der virtuellen Währungen bevorsteht.

In afrikanischen Ländern ist der Use-Case für Bitcoin so viel klarer. Es geht hier nicht um Spekulation.

Anita Posch

Bitcoin-Expertin

"Die Stimmung gegenüber Krypto ist in Europa derart feindlich", ärgert sich die österreichische Krypto-Expertin Anita Posch über solche Prognosen. "In afrikanischen Ländern ist der Use-Case für Bitcoin so viel klarer. Es geht hier nicht um Spekulation. Es geht darum, Grundrechte wie das Recht auf Eigentum oder Privatsphäre zu gewährleisten." Posch propagiert die gesellschaftliche Wirksamkeit der Blockchain-Währungen. Als Beispiel nennt sie Simbabwe, ein Land mit Fremdwährungskontrollen: "Wenn du Geld überweisen möchtest, ist das mit vielen Einschränkungen und bürokratischem Aufwand verbunden." Die simbabwische Diaspora schickt laut der Landeszentralbank pro Jahr mehr als eine Milliarde US-Dollar in die Heimat. Die meisten dieser Transaktionen laufen über Transferanbieter wie Western Union, die zehn bis 15 Prozent Gebühren vorschreiben. "Die Menschen müssen das Geld in den Filialen abholen und fahren dafür zum Teil stundenlang. Das kannst du natürlich mit Krypto-Währungen viel einfacher machen." Bitcoin und Co. seien insofern ein Beitrag zur persönlichen Freiheit.

Da virtuelle Währungen in afrikanischen Ländern immer öfter als Zahlungsmittel dienen, habe hier der Krypto-Crash aber noch eine ganz andere Bedeutung als für jene, die bloß damit spekulieren: "Wenn Bitcoin an Wert verliert, ist das für die Leute hier schlimmer. Darum rate ich, Bitcoin immer gleich auszugeben, wenn man sich diese Volatilität nicht leisten kann." Was den Fall der insolventen Börse FTX und deren Gründer Sam Bankman-Fried betrifft, ist Posch überzeugt: "Das ist ganz klarer Betrug gewesen. Das war das Pyramidensystem, von dem bei Bitcoin immer geredet wird."

Tatort Bahamas

Ganz ähnlich sieht das der Filmemacher Tobias Deml, der Ende November auf den Bahamas war, dem FTX-Firmenstandort und Lebensmittelpunkt von Bankman-Fried, um dort für einen Dokumentarfilm über die Kryptobranche zu recherchieren. Der in New York lebende Österreicher sieht in dem Fall "eine gigantische Geldwaschanlage" am Werk, glaubt aber, dass der Kryptomarkt trotzdem eine Zukunft habe: "Meiner Meinung nach wird Krypto nicht verschwinden." Je mehr finanzielle Bildung verfügbar sei, desto mehr könnten sich Privatanleger:innen auch vor Risiken und Betrug schützen, meint Deml. Ein Beitrag dafür sei seine jüngste Produktion: In "Gaming Wall Street" beleuchtete der Regisseur den Memestock-Boom des Jahres 2021, bei dem ausgewählte Aktien wie jene des wirtschaftlich angeschlagenen Computerspiel-Händlers GameStop in Online-Foren künstlich gepusht und dabei auch traditionelle Big Player der Finanzbranche überrumpelt wurden. Viele sprachen damals von einer Revolution des Finanzsystems, und Deml erkennt tatsächlich nachhaltige Veränderungen: "Das hat dafür gesorgt, dass das Sentiment, also die öffentliche Meinung zu einem Unternehmen, ein neuer, fundamentaler Faktor für den Aktienkurs wird. Die Kinokette AMC zum Beispiel wäre ohne den Memestock-Hype pleitegegangen. Und der E-Automarkt hat sich auch wegen der Bewertung der Tesla-Aktie so positiv entwickelt. Die Memestock-Bewegung hat klar gemacht, dass man das Sentiment ernst nehmen muss." Hier sieht der Filmemacher auch die zentrale Schnittmenge zwischen der Krypto-Bewegung und der Memestock-Community: Beide agieren unabhängig von den traditionellen Finanzmarkt-Strukturen.

Von diesem Anti-Establishment-Geist profitierte lange Zeit auch die österreichische Krypto-Plattform Bitpanda. Das Unternehmen war Mitte 2021, als Bitcoin Rekordwerte brach, mit knapp 3,5 Milliarden Euro bewertet. Im Sommer 2022 folgte die Korrektur-und mit ihr eine drastische Kündigungswelle. Trotz dieser Ernüchterung sieht Bitpanda-Gründer und Geschäftsführer Paul Klanschek eine positive Tendenz: "Die Memestock-Bewegung hat vielen Leuten den Aktienmarkt nähergebracht. Das ist wahrscheinlich für viele nicht gut gegangen, aber andere haben sich zum ersten Mal damit auseinandergesetzt und sind dabei geblieben." Dass viele Krypto-Währungen in diesem Jahr eingestürzt oder gar verschwunden sind, bezeichnet Klanscheks Co-Gründer Eric Demuth als "vernünftige Marktbereinigung." Bitpanda selbst habe durch die FTX-Pleite sogar einen Kundenzuwachs verzeichnet, aber: "Wenn die Leute vorsichtiger sind, wird weniger getradet", sagt Klanschek-und das wirkt sich natürlich negativ auf das Geschäft des Krypto-Brokers aus. Neben Krypto-Währungen bietet Bitpanda jedoch mittlerweile auch Teilaktien, Edelmetalle und Rohstoffe an, langfristig will das Unternehmen nicht nur als Krypto-Plattform, sondern als App für alle Investments wahrgenommen werden.

Konservativere Anlageformen

Das deutsche Investment-Start-up Scalable Capital geht derweil auf Distanz zum pandemischen Trading-Boom: "Sehr wenige Kunden haben bei uns tatsächlich Memestocks gehandelt. Die meisten unserer Kunden, etwa 60 Prozent, legen ihr Geld in ETFs an", erklärt Scalable-Managerin Martina Forsthuber. Besonders bei jungen Nutzern seien konservative Sparpläne gefragt. Krypto bleibe ein Randthema: "Nur ein, zwei Prozent haben ihr Geld in Krypto investiert. Der Trend geht eindeutig zu langfristigem ETF-Sparen", prognostiziert Forsthuber für das kommende Jahr.

Etwas weiter lehnt sich bezüglich zukünftiger Entwicklungen der Silicon-Valley-Investor Tim Draper aus dem Fenster. Er behauptete Anfang Dezember gegenüber CNBC, dass der Preis für Bitcoin Mitte nächsten Jahres 250.000 US-Dollar erreichen werde. Zum Vergleich: Derzeit steht der Kurs bei 16.000 Euro (Minus 62 Prozent seit Jahresbeginn). Die Wette gilt.