Spezial-Podcast

Bieber zur Kosovo-Krise: „Image der EU als neutraler Vermittler nimmt Schaden"

Florian Bieber spricht mit Franziska Tschinderle über die jüngste Eskalation im Kosovo.

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Der Kosovo steht wieder einmal im internationalen Fokus. Die Lage ist so angespannt, wie seit Jahren nicht mehr. Und das muss etwas heißen. Denn bereits 2022 war ein echtes Krisenjahr für das kleine Balkanland gewesen, das 2008 einseitig seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat. Hier lesen Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen und hier über die historischen Wurzeln des jahrzehntelang schwelenden Konflikts. 

Diese Woche haben wir einen neuen Höhepunkt der Eskalation gesehen.

Am Mittwoch, dem 14. Juni, wurden im Norden des Kosovo drei kosovarische Polizisten von serbischen Sicherheitskräften festgenommen. Ein Foto zeigt sie mit gefesselten Händen und zugebundenen Augen am Boden liegen. Prishtina spricht von einer Entführung auf kosovarischem Territorium, Serbien weist das zurück.

Über den Vorfall und seine Folgen spricht profil-Auslandsreporterin Franziska Tschinderle mit dem Balkan-Experten Florian Bieber. Er ist der Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz.

„Der Verdacht liegt nahe, dass diese Polizisten auf dem Gebiet des Kosovo verhaftet beziehungsweise vielleicht sogar gekidnappt wurden, als dass sie nach Serbien rübergegangen sind,“ sagt Bieber im Podcast. Ein solcher Übertritt wäre „ein großer Skandal“ und ein Bruch mit der seit 1999 geltenden UN-Resolution.

 

Die Ereignisse schüren einmal mehr die Angst vor einem militärischen Konflikt. Nicht zuletzt, weil Russland als der wichtigste Alliierte Serbiens gilt, während der Kosovo unter dem Schutzschirm der NATO steht.

Wäre ein Krim-Szenario im Kosovo denkbar?

 

Bieber verneint das, weil – anders als in der Ukraine – die NATO im Kosovo stationiert ist „Wenn es die NATO zulassen würde, dass sich Serbien Territorium im Kosovo aneignet, dann würde das die Glaubwürdigkeit der NATO massiv in Frage stellen. Gerade im Kontext des Krieges mit der Ukraine ist das kaum denkbar. Die Glaubwürdigkeit des Westens würde massiv darunter leiden.“

Doch das Image der EU als neutraler Vermittler habe Risse bekommen, so Bieber. „Die EU und die USA suchen die Verantwortung für die Eskalation fast ausschließlich in Prishtina,“ sagt er im Gespräch mit Tschinderle. Albin Kurti, der Ministerpräsident des Kosovo, habe ganz klar strategische Fehler gemacht und sei deutlich weniger kompromissbereit als seine Vorgänger, aber die Position gegenüber Belgrad sei angesichts der Provokationen viel zu unkritisch. Dadurch, so Bieber, erhoffe man sich, das Land aus der russischen Einflusssphäre zu ziehen. 

„Der Westen setzt Kosovo unter Druck, weil er glaubt, sich das leisten zu können. Bei Serbien hat man das nicht getan. Das erweckt ein fatales Bild der Einseitigkeit“, kritisiert Bieber. 

Die EU und die USA vermitteln zwischen Kosovo und Serbien. Anfang des Jahres sah es danach aus, dass sich eine Lösung anbahnt – mehr dazu hören Sie hier.  Aber insbesondere im mehrheitlich von Serben bewohnten Norden kommt das Land nicht zur Ruhe.

 

 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.