Digitalisierung verschärft Einkommensschere

Die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sind in Österreich noch immer groß – und die Digitalisierung könnte die Ungleichheit weiter verstärken.

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Die Österreicher lieben Geheimnisse, auch wenn es um ihr Einkommen geht. Tatsächlich könnte es in vielen Unternehmen zu brisanten Debatten kommen, würden die Gehälter der Mitarbeiter offen gelegt werden – und zwar vor allem wegen der Unterschiede zwischen den Bezügen der Frauen und jenen der Männer. Allen politischen Beteuerungen und Anstrengungen zum Trotz sind nämlich Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern in Österreich längst nicht ausgeräumt. Die Lohnschere beträgt mehr als 21 Prozent, in Europa schneiden nur drei Länder in dieser Hinsicht schlechter ab. Die Gründe dafür sind vielfältig: Knapp die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit und diese wird schlechter entlohnt; außerdem sind Frauen seltener in Führungspositionen tätig, Berufsunterbrechungen wie Karenz wirken sich negativ aus und in jenen Berufen, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, wird generell schlechter bezahlt als beispielsweise in den von Männern dominierten Technikbranchen.

Zwar hat es zuletzt erste schwache Signale gegeben, dass die Lohndifferenz geringer werden könnte, doch die Digitalisierung könnte diesen Trend zunichte machen. Einer Wifo-Studie zufolge könnten Frauen vom erwarteten Strukturwandel stärker betroffen sein, da sie häufiger Routinearbeiten verrichten, die leicht zu ersetzen sind. Für Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung Frauen und Familie der Arbeiterkammer Wien, ist es zwar noch zu früh, genaue Prognosen dazu zu erstellen. „Aber es wurde in der Debatte rund um die Digitalisierung lange vernachlässigt, dass auch der Dienstleistungssektor, wie etwa Banken, stark betroffen sein wird.“ Und genau in diesem Bereich würden Tätigkeiten dominieren, die häufig von Frauen ausgeübt werden – etwa in Bankfilialen, im Call-Center oder in der Personalverrechnung. „Es gibt hier einen großen Druck, sodass die Bezahlung schlechter werden könnte.“ Die Frage, wie sich die Veränderung der Wirtschaft auf die Chancengleichheit auswirkt, werde bisher selten gestellt.

Ein großes Thema bei der Einkommensschere ist die ungleiche Verteilung der Arbeitszeit: Vollzeitjobs und Überstunden werden vorwiegend von Männern gemacht, Teilzeitjobs vor allem von Frauen – das liegt unter anderem an deren Aufwand für unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit und am traditionellen Rollenbild, das in Österreich noch immer äußerst populär scheint. Um das Arbeitsvolumen gleichmäßiger zu verteilen und damit den sogenannten „Gender-Time-Gap“ zu verringern, schlägt eine im Dezember veröffentlichte Wifo-Studie Maßnahmen im Arbeits- und Steuerrecht vor; auch neue Karenzmodelle könnten sich auswirken. Ein Fakt ist zudem, dass Teilzeit und Führungsrollen hierzulande noch immer als unvereinbar gelten – ein Klischee, das durch zahlreiche Beispiele längst widerlegt ist. So sind etwa beim Möbelhaus Ikea in Haid zwei Geschäftsführerinnen tätig, die jeweils in Teilzeit arbeiten. „Teilzeit mit Führung ist eine Frage der Organisation und grundsätzlich möglich“, sagt Ingrid Moritz. Es gebe keine Beweise, dass mit Teilzeit nicht genauso gut geführt werden kann wie in einem Vollzeitjob. In diesem Zusammenhang wird von der Arbeiterkammer gefordert, dass Elternteilzeit auch in Kleinbetrieben mit weniger als 20 Beschäftigten möglich sein soll. „Das ist für kleinere Firmen natürlich eine größere Herausforderung als für größere“, sagt Moritz. Mit unterstützender Beratung und einem kollegialen Klima könnte das aber in der Praxis durchaus machbar sein.

Was kann aber konkret getan werden, um die Lohnunterschiede zwischen Frau und Mann in den nächsten Jahren zu verringern und die möglichen Effekte der Digitalisierung abzufedern? Nach Ansicht von Ingrid Moritz müsste vor allem bei Einkommensberichten angesetzt werden. „Man müsste auch langfristig überlegen, wie man Transparenz bei den Einkommen mit Förderungen und Vergaben koppeln kann.“ Außerdem könnten ihrer Ansicht nach bestehende Instrumente verbessert werden – so sind Gehaltsangaben bei Stelleninseraten zwar verpflichtend, in der Praxis werden aber oft nur die Mindestgehälter ausgewiesen, die tatsächliche Bezahlung kann dann erst recht wieder zwischen den Geschlechtern unterschiedlich ausfallen. „Es gibt auch viele wichtige Berufe, die einfach generell aufgewertet werden müssten, etwa Pflege oder die Arbeit mit Kindern.“

Stichwort Kinder: Eine Karenz ist in Österreich noch immer gleichbedeutend mit einem Karriereknick und damit auch mit Gehaltseinbußen. Studien über Wiedereinsteigerinnen nach der Karenz zeigen, dass diese häufig Einkommensverluste hinnehmen müssen. „Es ist einfach ein Zurückbleiben im Unternehmen, das viele Frauen erleben.“ Der vergleichsweise geringe Anteil an Vätern, die in Karenz gehen, verschärft das Problem. „Es kommt aber immer auch auf die Einstellung des jeweiligen Unternehmens zur Karenz an, einige sind da sehr aufgeschlossen, andere gar nicht“, berichtet Moritz.

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Niveauausgleich

Laut einer Wifo-Studie sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei Berufserfahrung und Arbeitsausmaß in Österreich noch stark ausgeprägt – damit verringern sich die beruflichen Aufstiegschancen von Frauen. Um die ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Hausarbeit, Unterschiede in der Berufserfahrung anzugleichen und Aufstiegschancen der Frauen zu verbessern, seien unter anderem ein Ausbau der Kinderbetreuung und längere Väterkarenz nötig.

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21,7 Prozent beträgt die Lohnschere zwischen Frauen und Männern in Österreich – das geht aus Eurostat-Daten für das Jahr 2015 hervor. Österreich liegt damit deutlich schlechter als der EU-Schnitt von 16,3 Prozent; nur Estland, Tschechien und Deutschland schneiden noch schlechter ab. Vergleichsweise mehr Gerechtigkeit gibt es beispielsweise in Italien, wo der arbeitszeitbereinigte Lohnunterschied nur 5,5 Prozent ausmacht.

49 Prozent der berufstätigen Frauen in Österreich arbeiten in einer Teilzeitbeschäftigung, bei den Männern sind es nur 12 Prozent.

Ein Drittel der Lohn- und Einkommensteuersenkung im Zuge der Steuerreform 2015/16 ist Frauen zugute gekommen, hat der Rechnungshof berichtet. In einem entsprechenden Bericht wurde kritisiert, dass Maßnahmen bestehen, die negative Erwerbsanreize für Frauen setzten.

Den ersten Teil der dreiteiligen Serie zu „Arbeit & Digitalisierung“ lesen Sie hier: Kampf um Steuergerechtigkeit in der EU

Den zweiten Teil hier: Wenn der Job krank macht