Kampf um Steuergerechtigkeit in der EU

Die Steuertricks internationaler Konzerne sollen in der EU verhindert werden – doch bis zu mehr Steuergerechtigkeit ist es noch ein langer Weg.

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Vor einer Stunde entdeckt, soeben mit einem Klick bestellt, morgen geliefert: Weihnachtseinkäufe werden immer öfter über Online-Plattformen erledigt. Jedes zweite Geschenk, das heuer unter den Christbaum gelegt wird, bestellen die Österreicher laut einer Umfrage von Paysafecard bereits im Internet. Davon profitieren vor allem die großen Konzerne, allen voran Amazon.

Der Online-Händler, aber auch andere mächtige Konzerne wie Apple oder Alphabet (Google) sind Nutznießer dieser Digitalisierung, die alle Wirtschafts- und Lebensbereiche erfasst hat, sondern auch von den steigenden Möglichkeiten zur Steuervermeidung. Zuletzt haben die „Paradise Papers“ einen Einblick in die kreative Steuergebarung der Multis geboten. Ein Musterbeispiel ist Apple, dessen sündteures iPhone X ein Renner im heurigen Weihnachtsgeschäft sein wird. Nach Ansicht der EU müsste der US-Konzern nicht weniger als 13 Milliarden Euro plus Zinsen nachzahlen, weil in Irland Steuervergünstigungen in Anspruch genommen wurden, die laut EU-Kommission verboten sind. Aber nicht nur die Firma, auch Irland selbst sträubt sich gegen die Abgaben. Kein Wunder, ist doch unter Staaten ein regelrechter Wettkampf darum ausgebrochen, wer Konzernen die niedrigsten Steuern bietet. So müsste Amazon in Luxemburg nach Berechnung der EU 250 Millionen Euro nachzahlen. In der EU sorgt das für zunehmenden Unmut; auch unter Entwicklungsländern ist ein ruinöser Wettstreit ausgebrochen um die Ansiedlung jener Konzerne, die zwar viel Cash besitzen, aber wenig Bereitschaft, Steuern zu bezahlen.

Vor allem Internetkonzerne nehmen solche Vergünstigungen gerne in Anspruch, denn ihnen fällt das Verschieben von Gewinn und Verlust in dafür geeignete Länder besonders leicht – wo das eigentliche Geschäft gemacht wird, ist ihrer Meinung nach Auslegungssache. Steuern sollten daher in Zukunft dort eingehoben werden, wo die Services und Produkte letztlich tatsächlich verkauft werden, meine Rita de la Feria, Professorin für Steuerrecht der Universität Leeds, kürzlich bei einem Vortrag in der Arbeiterkammer Wien. „Kunden kann man ja nicht so leicht verschieben“, sagte die Steuerexpertin.

Die EU hat die Steuervermeidung endlich als ernsthaftes Problem erkannt.

Gertraud Lunzer, Steuerexpertin der Arbeiterkammer Wien, findet, dass Kommission und OECD die Steuervermeidung der großen Konzerne nun „endlich als ernsthaftes Problem“ erkannt hätten. Als langfristiges Ziel für mehr Steuergerechtigkeit ist dabei die Einführung einer Konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (CCCTB, Common Consolidated Corporate Tax Base) vorgesehen – dabei soll der gesamte Konzerngewinn besteuert werden; Gewinnverlagerungen in bestimmte Länder mit günstigen Steuern würden damit nicht mehr greifen. Die CCCTB wäre eine Form einer Unitary Tax, das sind Steuern auf weltweite Gewinne, wie sie weltweit diskutiert und von multinationalen Konzernen heftig bekämpft werden. „Dies ist eine wirksame Möglichkeit, um die Steuervermeidungsstrategien der multinationalen Konzerne und hier insbesondere die digitalen Konzerne wirklich in den Griff zu bekommen und sicherzustellen, dass sie angemessene Gewinnsteuern zahlen“ sagt Lunzer. Der Teufel steckt aber im Detail. Der Kommissionsvorschlag zur CCCTB sieht nämlich eine zweistufige Umsetzung vor, bei der zunächst die Konsolidierung fehlt und ein Mindeststeuersatz ebenfalls nicht vorgesehen ist Diese Punkte seien aber die Voraussetzung, damit es überhaupt funktionieren kann, meint Lunzer.

Weil es aber bis zur Einführung der besagten neuen Bemessungsgrundlage – nicht zuletzt wegen des zu erwarteten Widerstands einzelner Länder – ohnedies länger dauern dürfte, sollen kurzfristig andere Maßnahmen helfen; die EU will daher bis zum Frühjahr 2018 entsprechende Vorschläge zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft vorstellen; möglich ist etwa eine Art Abgeltungssteuer für Online-Transaktionen. Auch die OECD hat für das Frühjahr Vorschläge angekündigt, die mit jenen der EU abgestimmt werden sollen. Es ist zwar wichtig, dass diese Themen endlich auf der politischen Agenda sind, meint Martin Saringer, ebenfalls Steuerexperte der AK Wien. „Inwieweit diese Maßnahmen dann wirklich praktikabel sind, bleibt aber abzuwarten.“ Eine Kernfrage bei einer möglichen Digitalsteuer speziell für die Online-Riesen bleibt die Frage nach dem Standort des Digitalunternehmens. Über eine sogenannte „Virtuelle Betriebsstätte“ sollte es möglich sein, die Steuern im jeweiligen Land einzuheben, die sonst vorgesehene physische Anwesenheit des Unternehmens vor Ort wäre damit nicht zwingend notwendig für eine Besteuerung. Dies ist auch bei den laufenden Koalitionsverhandlungen in Österreich ein Thema. Für Rita de la Feria wäre eine genaue Definition jedenfalls ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber nicht mehr. Könnte Österreich überhaupt nationale Regelungen erlassen, um Steuertricks der Konzerne zu verhindern? „Einzelne Maßnahmen sind möglich, es ist beispielsweise denkbar, über eine Ausweitung der Werbeabgabe auch die Internetkonzerne zu erfassen“, sagt Gertraud Lunzer. Wollte man die Probleme aber wirklich in den Griff bekommen, seien koordinierte Maßnahmen auf EU- oder OECD-Ebene unumgänglich.

Dass Steuervermeidung nicht nur für die Großen verlockend ist, beweist indes AirBnB: Der US-Konzern, über dessen Plattform Privatwohnungen an Reisende vermittelt werden, hat den Vermietern eine steuerschonende Abrechnung erleichtert, wie in Frankreich vor Kurzem publik wurde: Über eine in Gibraltar registrierte Kreditkarte könnten Mieteinnahmen an der Finanz vorbeigeschummelt werden. Ganz nach dem Motto: Wenn es die Großen doch auch tun...

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9 unter den ersten 20 Unternehmen weltweit mit der größten Marktkapitalisierung sind in der digitalen Wirtschaft tätig, darunter Apple und Amazon.

9 Prozent betrage die effektive Steuerbelastung für Unternehmen mit einem digitalen Geschäftsmodell, rechnet die EU-Kommission vor. Sonst sind es knapp 21 Prozent.

32 Prozent beträgt das durchschnittliche Einnahmenplus der fünf größten E-Commerce-Händler zwischen 2008 und 2016. Im gesamten EU-Handelssektor war es ein Prozent pro Jahr.

13 Milliarden Euro plus Zinsen müsste Irland vom US-Konzern Apple laut EU-Kommission erhalten. Das Land hat sich bisher aber geweigert, diese Steuerschuld einzutreiben. Irland habe unerlaubte Vergünstigungen gewährt, die Körperschaftsteuern für Apple hätten nur 0,005 Prozent betragen.

Den zweiten Teil der dreiteiligen Serie zu „Arbeit & Digitalisierung“ lesen Sie hier:Wenn der Job krank macht