#brodnig: EUphorisch reguliert

Die EU feilt an neuen Regeln für das Internet - mit teils fragwürdigen Konzepten, wie Urheberrecht und Datenschutz zeigen.

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Europa muss aufpassen, dass es das Internet nicht kaputtreguliert. Vergangene Woche scheiterte im EU-Parlament eine Urheberrechtsreform knapp, die zu großen Unsicherheiten im Netz geführt hätte. Einzelne Passagen der Richtlinie waren so weitreichend formuliert, dass Internetgrößen wie Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, und Jimmy Wales, der Mitbegründer von Wikipedia, davor warnten. Sie fürchteten, dass die geplanten Änderungen zu "Upload-Filtern" führen würde. Solche Filter bewirken, dass Nutzer sozialer Medien keine Bilder mehr hochladen können, die urheberrechtlich geschützt sind - der Filter blockiert das. Ein Beispiel: Will ein privater Nutzer ein Bild von Micky Maus auf Facebook posten, könnte ein solcher Filter den Upload verhindern (denn der durchschnittliche Internetnutzer hat wohl keinen Copyright-Vertrag mit Disney abgeschlossen).

Selbst die deutsche Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) forderte die Abgeordneten im EU-Parlament auf, dem Entwurf nicht zuzustimmen - sie war erfolgreich. Mit 318 zu 278 Stimmen wurde das Dokument abgelehnt. Auch SPÖ und Grüne waren dagegen, die ÖVP dafür, die FPÖ enthielt sich, die NEOS-Abgeordnete Angelika Mlinar war nicht anwesend.

Der umstrittene Entwurf ist noch nicht vom Tisch: Im September wird erneut abgestimmt, wobei Abänderungsanträge jetzt möglich sind. Der erhitzte Streit um das Urheberrecht zeigt ein tieferliegendes Problem: Gerade bei Internetthemen neigen die EU-Repräsentanten dazu, harte neue Gesetze zu formulieren -und über das Ziel hinauszuschießen.

Das deutlichste Beispiel ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die am 25. Mai in Kraft trat. Sie führt zu einem strengen Datenschutz in Europa. Wenn ein Internetkonzern exzessiv Daten sammelt und Bürgerrechte verletzt, können hohe Geldbußen anfallen -bis zu vier Prozent des weltweiten (!) Gesamtumsatzes des Konzerns. Das ist gut -so werden Datensünden geahndet.

Ärgerlich ist hingegen, dass die EU-DSGVO ein bürokratisches Monstrum erschuf: So wird in Bezug aufs Internet kein großer Unterschied zwischen digitalen Riesen und kleinen Unternehmen gemacht. Alle müssen dieselben hohen Auflagen erfüllen - egal, ob Facebook oder eine Gärtnerei mit zwei Mitarbeitern, die nebenbei eine Website betreibt. Zu Recht stöhnten Bürger über die neu geschaffene Bürokratie. Ähnlich beim Urheberrecht: Den aktuellen Entwurf haben speziell Start-ups kritisiert: Sie fürchten, dass Jungunternehmen mehr unter den harten Auflagen leiden würden als die dominanten Marktführer.

Doch warum werden gerade beim Internet so weitreichende Regeln überlegt?

Das hat drei Gründe: Erstens muss man ernüchtert feststellen, dass sich die EU aus vielen politischen Bereichen zurückgezogen hat. Europa ist zu zerstritten, um in Fragen wie Asylrecht oder Steuerpolitik eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Das Internet hingegen ist Neuland und einer der wenigen Bereiche, wo die EU noch innovative Konzepte vorlegt: Hier haben viele Mitgliedsstaaten keine festgefahrene Position, und es ist naheliegend, dass die EU diesen Gestaltungsraum erobert.

Zweitens gibt es ein grundsätzliches Problem der europäischen Regulierung: Es fehlt die mediale Aufmerksamkeit. Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Vertrag von Maastricht hat sich keine europäische Öffentlichkeit etabliert: Rein europäisch ausgerichtete Kanäle, die ein Massenpublikum erreichen, existieren nicht. Selbst über wichtige Entwürfe wird oft nicht oder nur wenig berichtet. Auch aktuell: Die geplante Urheberrechtsreform wurde erst wenige Wochen vor der entscheidenden Abstimmung zum Thema -dabei existiert der Entwurf seit 2016. Die fehlende mediale Aufmerksamkeit bedeutet, dass hauptsächlich Lobbys den Gesetzwerdungsprozess verfolgen, was nicht gerade der Ausgewogenheit hilft.

Drittens stellt das Internet an sich ein Problem dar: Uns fehlt noch immer das Verständnis, wie tief die Digitalisierung unsere Gesellschaft durchdringen wird. Bei neuer Technologie besteht die Gefahr, dass überbordende oder skurrile Regeln eingeführt werden -um den Status quo einzuzementieren. Dieses Phänomen ist altbekannt, man konnte es beispielsweise beobachten, als die ersten Automobile losfuhren. 1865 hat Großbritannien den "Red Flag Act" eingeführt: Alle Fahrzeuge, die nicht von Tieren gezogen wurden, durften nicht schneller als vier Meilen pro Stunde (6,4 km/h) fahren. Und es musste vor dem Auto immer ein Mensch mit einer roten Fahne in der Hand laufen, um Passanten zu warnen. Wenig überraschend wurde das Gesetz später abgeschafft.

Der Red Flag Act verrät viel über gute und schlechte Regulierung: Natürlich hatten die britischen Politiker recht, dass sie neue Regeln für den Straßenverkehr wollten. Doch ihre ersten Regulierungsversuche wirken rückblickend betrachtet absurd. Die Hoffnung ist nun, dass wir solch überbordende Reaktionen im 21. Jahrhundert vermeiden können: Natürlich soll die EU für das Internet und auch im Urheberrecht klare Regeln vorgeben -nur müsste darauf geachtet werden, dass dabei nicht die Freiheit von Internetnutzern eingeschränkt oder die Wettbewerbschancen kleiner europäischer Unternehmen gefährdet werden.

Wie denken Sie darüber? Schreiben Sie mir unter [email protected] facebook.com/brodnig twitter.com/brodnig

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.